Turner haben Feuerwehr-Mentalität

»Wo Turner sind, da sind auch Feuerwehrmänner«, war im Wetterauer Boten von 1867 zu lesen. Und tatsächlich: Aus dem Turnverein 1860 ging die erste Freiwillige Feuerwehr in Bad Nauheim hervor.
Mit der Gründung der Turnvereine in Deutschland in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts ging die Erneuerung des Feuerwehrwesens einher. Beim Karlsruher Hoftheaterbrand 1847 brillierte das Durlacher Pompiercorps erstmals als Feuerwehr mit einer beweglichen Handdruckspritze. Sie setzten Turner als so genannte Steiger mit neuartigen Hakenleitern ein - die der schwäbische Turnvater Johannes Buhl erfunden hatte - , um den Brand von den Dächern der umliegenden Häuser aus zu bekämpfen. »Das Löschwesen ist Turnwesen«, hatte Löschspritzenhersteller Carl Metz richtig erkannt.
Wahrscheinlich wurden Turner in der Feuerwehr bevorzugt, weil sie Disziplin und Gemeinsinn kannten und durchtrainiert waren.
In Bad Nauheim gab es zuvor eine Salinenfeuerwehr mit einem Feuerreiter und mit zwei Spritzen. Der Ausbruch eines Feuers bedeutete aber immer den Verlust nahezu sämtlichen Besitzes. Die neue Feuerlöschordnung von 1871 brachte Verbesserungen. »Turner und andere dazu befähigte Leute bilden zwei Züge, je 12 Mann stark«, hieß es darin. Ein Jahr später wurde die Pflichtfeuerwehr mit 280 Mann straff organisiert. Die aus dem TV 1860 gebildete Wehr auf freiwilliger Basis kam 1873 dazu. Weil die Stadt aber wenig Verständnis für ihre Belange zeigte, löste sie sich 1893 auf und gründete sich erst nach zwei Jahren neu.
Blusen und lackierte Filzhüte als Uniform
Zu Beginn erfolgte die Alarmierung noch durch das geblasene Feuerzeichen der Hornisten. Pechfackeln beleuchteten die Brandstelle bis man Petroleumfackeln ausprobierte. Als »Uniform« der Feuerwehrleute dienten Blusen und lackierte Filzhüte, wenig später Messinghelme. Das Löschwasser wurde aus Brunnen und Teichen geholt, denn erst 1886 wurden in Bad Nauheim Wasserleitungen gelegt und damit die Voraussetzungen für Hydranten geschaffen. 1880 formierte sich eine Feuerwehrkapelle, 1888 eine freiwillige Sanitätskolonne. Wer Nauheimer Bürger werden wollte, hatte ein Feuereimergeld zu zahlen, wofür er einen ledernen Feuereimer bekam. Später wurde es für neue Gerätschaften verwendet.
Es war ein langer Weg, bis in der Johannisstraße eine Feuerwache errichtet werden konnte. Zunächst wurde 1890 der Antrag auf Bau eines Spritzenhauses mit Steigerturm wegen Geldmangel von den Stadtvätern abgelehnt, vier Jahre später dann doch genehmigt trotz des Einwandes des Großherzoglichen Amtsgerichts. Dies hielt »die Errichtung eines Steigerturms in unmittelbarer Nähe des Haftlokals für bedenklich, da eine unbefugte Benutzung des Steigerturms zum Zwecke der Verständigung mit den Insassen des Haftlokals keineswegs ausgeschlossen ist.«
1895 wurde die neue Feuerwache fertiggestellt. Ob der Turm jemals missbraucht wurde, ist in den Protokollen nicht festgehalten, wohl aber, dass Feuerwehrleute sich immer wieder ungehörig benahmen und manche aus disziplinarischen Gründen ausgeschlossen wurden.
1898, im gleichen Jahr als in der Stadt die Hausnummerierungen eingeführt wurden, stand eine staatliche uniformierte Feuerwehr Spalier zum Empfang von Kaiser Wilhelm II., der Kaiserin Sisi während ihres Kuraufenthaltes besuchte. Ein Höhepunkt war der 19. Hessischen Feuerwehrtag vom 19. bis 21. Juli 1902. Es folgten noch etliche mehr. Denn die Bad Nauheimer Wehr genoss großes Ansehen in Hessen.
Im Tenniscafé und in Höfen wird gelöscht
In den Jahren bis zum Ersten Weltkrieg entwickelte sich die Ausstattung der Wehr enorm weiter: Die erste Schiebeleiter wurde eingesetzt, Rauchmasken erprobt, das Rutschtuch demonstriert, das allerdings dabei riss. Die Alarmierung erfolgte durch eine Klingelleitung, zwei Jahre später stellten bereits acht Bürger ihr Telefon zur Brandalarmierung zur Verfügung. Der Handfeuerlöscher kam 1908 zum Einsatz und 1912 wurde die Sterbekasse ins Leben gerufen. In den 20er Jahren begann die Motorisierung von Spritzen, Leitern und Fahrzeugen.
Nicht nur von spektakulären Übungen, sondern auch von Bränden ist in den Annalen zu lesen: Im Tenniscafé brannte es und oft in den Höfen der Altstadt. Beim Großbrand 1911 in der Fabrik »Feuerfeste« in der Frankfurter Straße soll es Pannen gegeben haben, verursacht unter anderem durch die »Rücksichtslosigkeit der Zuschauer«.
Während des Nationalsozialismus wurde die Feuerwehr gleichgeschaltet, ihre Kommandanten bestimmt. Der Luftschutz musste ausgebaut werden, eine Schülerfeuerwehr würde als HJ-Feuerwehr gegründet. Während des Luftangriffs auf Bad Nauheim am 20. Juli 1944 brannten 33 Häuser.
1945 begann zügig der Neuaufbau durch die Amerikaner. Wegen der vielen Hotels und Kliniken bestanden sie darauf, dass die Freiwillige Feuerwehr ihre eigene ergänzte, um schlagkräftig zu sein. 1957 formierte sich die Jugendfeuerwehr. Und auch die alte Feuerwache wurde für die neuen großen Fahrzeuge und Geräte zu klein. 1986 fand schließlich der Umzug in den Stützpunkt an der Schwalheimer Straße statt. Eine neue Ära begann.
(Quellen: Festschrift der Freiwilligen Feuerwehr Bad Nauheim zum 100-jährigen Bestehen; Protokolle der Vereinsgeschichte aus »Die Freiwillige Feuerwehr Bad Nauheim 1871-1999 von Johann Stachelroth; Festschrift zum 19. Hess. Feuerwehrtag, Wikipedia: Geschichte der Feuerwehr