Über Klimaschutz und Gerechtigkeit

Bad Nauheim (pm). Deutliche Worte in unsicheren Zeiten hat das Publikum in der Wilhelmskirche gehört. Agnes Römer, Vorstandsvorsitzende des Vereins »Bad Nauheim - fair wandeln«, begrüßte zahlreiche Gäste zu einem Vortrag von Dr. Wolfgang Kessler über sein kürzlich erschienenes Buch mit dem Titel »Das Ende des billigen Wohlstands, Wege zu einer Wirtschaft, die nicht zerstört«.
Ihr Vorstandskollege Dr. Helmut Francke präsentierte den Ökonomen und langjährigen Chefredakteur der Zeitschrift »Publik-Forum«. Kessler, der ebenfalls Vorstandsmitglied im Verein ist, konstatierte ein aus seiner Sicht notwendiges Ende des deutschen Wohlstandsmodells. Dieses beruhe auf dem billigen Import fossiler Energien wie Gas und Öl sowie preiswerten Produkten einerseits und dem Export von teuren hochwertigen Produkten andererseits - zusammengenommen »Schmiermittel einer scheinbar nie endenden Wachstumsspirale«, wie Kessler es formulierte. Der Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine, Ungewissheiten etwa im Handel mit China und nicht zuletzt die Klimakrise verlangen ihm zufolge nach einem neuen Modell.
Herkömmliche Instrumente nach dem Motto »Immer mehr, immer weiter, immer höher« verschärften die Krisen eher, als dass sie sie lösten. Geringere wirtschaftliche Abhängigkeit, Klimaverträglichkeit und Ressourcenschonung hätten dauerhaft ihren Preis. »Unser billiger Wohlstand auf Kosten von Klima und Armen neigt sich dem Ende zu.« Das bedeute nicht das »Ende des Wohlstands überhaupt«. Kessler fordert »eine Wirtschaft, die sich mehr am Gemeinwohl orientiert statt an einer möglichst hohen Rendite«, eine Wirtschaft, die sozial Benachteiligte finanziell entlaste.
Dass das keine Utopie sein müsse, zeigte er anhand einiger markanter Beispiele. Großbritannien und Italien etwa würden eine Steuer auf Krisengewinne erheben, zum Beispiel von Energieunternehmen. Aus dem Steuererlös erhielten Privathaushalte Energiekostenzuschüsse. Die Schweiz erhebe seit vielen Jahren eine vergleichsweise hohe CO2-Abgabe auf Heizöl und Erdgas, die an die Bürger mit einem für jede Person gleichen Betrag zurückgezahlt werde. Beispielhaft werde damit »Geld umverteilt von Klimaverbrauchern zu Klimaschützern und von wohlhabenderen Haushalten zu ärmeren Haushalten«.
Für höheren Spitzensteuersatz
In Österreich zahlen laut Kessler alle Bürger in eine gesetzliche Krankenversicherung ein, und die Beiträge bemessen sich an dem gesamten zu versteuernden Einkommen. Sie seien infolgedessen für abhängig Beschäftigte nur halb so hoch wie in Deutschland bei gleich guten medizinischen Leistungen. Ähnlich würden die Renten finanziert, die um 70 Prozent höher seien als in Deutschland. In Amsterdam werde eine Kreislaufwirtschaft eingeführt, in der nahezu alle Rohstoffe und Materialien recycelt und wieder gebraucht würden.
Kessler forderte insgesamt ein politisch gesteuertes »neues Gleichgewicht von mehr und weniger«. Mehr Investitionen etwa in erneuerbare Energien, nachhaltige Landwirtschaft sowie in das Gesundheits- und Bildungswesen, finanziert durch einen höheren Spitzensteuer- und Erbschaftssteuersatz. Weniger Autos, neue Straßen, Flugzeuge, Flächenfraß und insbesondere weniger spekulative Finanzanlagen. Mehr Sozialstaat bei allen öffentlichen Aufgaben, inklusive des sozialen Wohnungsbaus. Weniger Steuern auf Reparaturen und auf den Gebrauchtmarkt. Mehr Schritte in Richtung einer nachhaltigen Globalisierung mit höheren Zöllen auf klimaschädliche und unfair hergestellte Produkte. Nicht zuletzt sei jeder Einzelne gefragt, sein Geld gezielt auszugeben und bewusst anzulegen.
Etliche Besucher investierten im Anschluss an ein von Francke geführtes Interview und an eine rege Publikumsdiskussion mit dem Autor erstmal Geld in das prägnant vorgestellte Buch.