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Verborgene Paradiese des Jugendstils

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Von: Gerhard Kollmer

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Friedrich-Karl Feyerabend © Gerhard Kollmer

Bad Nauheim (gk). Wer geglaubt hatte, den europäischen Jugendstil in all seinen nationalen Ausprägungen gut zu kennen, der sah sich am Donnerstagabend im Erika-Pitzer-Haus wohl eines Besseren belehrt: Friedrich-Karl Feyerabend vermittelte - auf Einladung des Kulturforums Bad Nauheim - in seinem Lichtbildvortrag anhand selbst aufgenommener Fotografien ein lebendiges Bild vom toskanischen Jugendstil - bekannt unter den Begriffen »stile liberty« und »stile floreale«.

Während bedeutende Zentren des »art nouveau« in Italien wie Mailand, Turin oder Varese sich mittlerweile auch hierzulande eines hohen Bekanntheitsgrades erfreuen, dürfte kaum bekannt sein, dass sich zum Beispiel auch im toskanischen Lucca, Viareggio und Guardistallo eindrucksvolle Zeugnisse des »stile floreale« finden.

Um diese oft verborgenen Juwelen - seien es Gebäude, Mobiliar, Gegenstände des täglichen Gebrauchs - zu entdecken, braucht es Geduld und Spürsinn. Beides hat der Referent auf vielen Reisen bewiesen und eine reiche Ernte eingefahren.

Zum besseren Verständnis auch der weniger informierten Gäste bot Feyerabend einen gerafften Überblick über die nationalen Ausprägungen des internationalen Jugendstils.

Die Ostseemetropole Riga (vom Referenten in eindrucksvollen Fotos vorgestellt) weist eine Reihe stattlicher Jugendstilbauten auf. Erbauer der meisten dieser großbürgerlichen Wohn- und Geschäftsgebäude ist der Vater des sowjetischen Regisseurs Sergej Eisenstein. Das englische »arts and crafts Movement« mit seinem Hauptvertreter William Morris setzt sich ab etwa 1850 die Wiederbelebung alter Handwerkstechniken zum Ziel. Morris versteht sich darüber hinaus als Sozialreformer und verfasst zahlreiche theoretische Schriften.

Dem aus seiner Sicht seelenlosen Historismus mit seinem funktionslosen Zierrat setzt nicht nur die »arts & crafts«-Bewegung die Devise: »Das Schöne muß zugleich nützlich und das Nützliche auch schön sein« entgegen. Erstrebt wird die Aufhebung der Trennung von Kunst und Leben. Diese Ziele macht sich neben anderen auch der belgische Architekt Henry van de Velde - Gründer der Kunsthochschule Weimar - zu eigen.

Hessen-Darmstadts letzter Großherzog Ernst Ludwig holt zahlreiche bedeutende Künstler in seine Residenz und errichtet mit der »Mathildenhöhe« (seit 2021 Weltkulturerbe) einen weithin strahlenden Leuchtturm des europäischen Jugendstils. Unter seiner Ägide entstehen seit 1905 auch die Bad Nauheimer Badehäuser - der Sprudelhof. »Ecole de Nancy«: Hinter diesem Etikett verbergen sich überragende Glaskünstler des französischen »art nouveau« wie Emile Gallé, Louis Majorelle, René Lalique und andere. Der Referent hatte zwei Objekte (Glas und Vase von Legras) als Ansichtsexemplare mit ins Pitzerhaus gebracht.

Nach etwa 45 Minuten werden die Hörerinnen und Hörer mit 30 Fotos aus den oben genannten toskanischen Städten belohnt. Die opulente Badearchitektur in reinstem »stile floreale« hat Viareggio zu einem bedeutenden Seebad in der Nähe Luccas werden lassen. Neben den Bagni stellte Feyerabend das dortige »teatro Eden« vor. An der ovalen piazza centrale der Stadt Lucca reihen sich exklusive Schmuck- und Modeläden in die Perlenkette des toskanischen stile nuovo ein. In Guardistallo schließlich sind es neben anderem reich verzierte Toreinfahrten und edles Interieur, die den Blick auf sich ziehen.

Prof. Feyerabends gut einstündiger Vortrag wird mit intensivem Applaus bedacht.

Dieter Heßler Vorsitzender des Kulturforums, wird den nächsten Vortrag im Erika-Pitzer-Begegnungszentrum halten. Am Donnerstag, 19. Januar, spricht er um 19.30 Uhr über das Thema »Die Bürde des Weißen Mannes!? Westlicher Ethnozentrismus heute - Allgemein und in der Philosophie«.

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Verborgene Juwele: Fotos, wie dieses aus Lucca, hat der Referent gezeigt. © Siggi Klingelhoefer

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