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Vom Auswandern und wundersamen Erlebnissen

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Von: Hanna von Prosch

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Die drei Autorinnen (v. l..) Alena Nemudrova, Lamia Mekhael-Maksso, Mahnaz Jafari sowie Buchinitiatorin und Deutsch-Dozentin Angela Klein (hinten) haben zur Lesung in die Trinkkuranlage eingeladen. Stolz halten sie ihr gemeinsam mit drei weiteren Migrantinnen geschriebenes Buch »Ausgewundert« in der Hand. © Hanna von Prosch

Bad Nauheim. Sie stammen aus dem Irak, Iran, Rumänien, Russland und Kolumbien. Irgendwann und irgendwo kamen sie einmal in Deutschland an. Aber Ankommen im fremden Land heißt für die sechs Frauen, die über ihre erste Zeit in dem Buch »Ausgewundert« schreiben, viel mehr. Das Frauenzentrum Wetterau lud am Samstag zu einer Lesung und zum Mitwundern in die Trinkkuranlage.

Das Interesse an der Lesung war so groß, dass der Veranstaltungsort in Friedberg mit dem Saal der Trinkkuranlage in Bad Nauheim getauscht werden musste. Angestoßen hatte das Buchprojekt »Ausgewundert« die Deutsch-Dozentin Angela Klein. Die sechs Autorinnen hatte sie in ihren Deutschkursen kennengelernt. »Schreiben hilft ihnen nicht nur ihre Sprachkenntnisse zu verbessern und einen Platz in der Gesellschaft zu finden, sie stoßen auch andere an nachzufragen und selbst von ihren Erlebnissen zu erzählen«, erklärt Klein die Motivation. Als Zielgruppe des Buches nennt sie praktisch alle, die mit den Neuankömmlingen zu tun haben, denn ihre aufgeschriebenen Empfindungen helfen, sie besser zu verstehen. Drei Autorinnen traten ans Mikrofon.

Lamia Mekhael-Maksso war in den Neunzigern aus dem zerstörten Irak geflüchtet. Dort wohnte die Ingenieurin für Klimatechnik in einem schönen Haus. Hier kam sie schwanger mit der zweijährigen Tochter, Mann und Mutter in ein winziges Zimmer in der Erstaufnahmeeinrichtung. Akribisch beschreibt sie diesen Eindruck und den Umzug ihrer Mutter in eine Wohnung nach Frankfurt. Dann die Trennung: Die junge Familie muss nach Sachsen-Anhalt. Auf der Zugfahrt im ICE vergisst Lamia, als sie sich mit einer eleganten Dame in Englisch unterhält, dass sie Asylsuchende und keine Touristen sind. Doch später: »Im Regionalzug waren die Gesichter der Mitfahrenden müde und hart«, liest sie. Und in der vom Dorf weit entfernten Kasernenunterkunft wird es noch schlimmer.

Mahnaz Jafari ist in der »Initiative Bunte Frauen Wetterau« engagiert. Mit allen Sinnen schildert die Iranerin ihre Ankunft 1993 am Frankfurter Flughafen. »Hier riecht es nach nichts. Ich fühlte mich wie auf dem Mond. Erst der Abgasgeruch in der Tiefgarage brachte mich auf die Erde zurück.« Sie gibt ihren Geruchsempfindungen Worte: den vertrauten ihres Babys beim Stillen, den muffigen aus der Wohnung ihrer Schwester, die nach acht Jahren in Deutschland schon angekommen war. Was hängen blieb, ist der Eindruck eines scheinbar perfekten Landes, gemessen an der gefilterten Luft am Flughafen.

Der Liebe wegen kam Alena Nemudrova nach Deutschland. Sie hatte nur noch ihre Promotionsurkunde abgewartet, um am selben Tag von Russland ausreisen zu können. Da sie in der Schule bereits Deutsch-Unterricht bei einem weltoffenen, klugen Lehrer hatte, war ihr die Sprache bekannt. »Aber«, wunderte sie sich, »warum wünschen mir alle einen schönen Tag oder Abend? Sehe ich so aus, als ob ich das nötig hätte? Und wieso hört man so oft ›na?‹, und wie spricht man in dieser so genauen Sprache über die Liebe?« Ihre vehemente Empfehlung für deutsche Männer löst im Publikum Lachen aus. Inzwischen hat Alena vier Kinder, mit denen sie Russisch spricht. »Emotionen kann man schlecht in einer fremden Sprache ausdrücken. Aber wenn es gelingt, dann ist man wirklich angekommen«, verspricht sie.

In der abschließenden Fragerunde wird deutlich, dass das Buch anregt, seine eigene Position im Heimatland und in der Fremde zu hinterfragen und aufzuschreiben; in kurzen Sätzen und deutsch denken, raten die Autorinnen. Mahnaz, die einen Pflegeberuf ergriffen hat, findet es wunderbar, wenn ältere Menschen ihr von sich selbst erzählen. Alena hätte sich gewünscht, dass ihr Mann einmal gefragt hätte: »Wie fühlst du dich?« und ruft auf, dies bei Ankömmlingen zu tun. Und Lamia resümiert, nachdem sie erst sehr spät Gelegenheit hatte, Deutsch zu lernen: »Wo ich lebe, ist meine Heimat, trotzdem bleibt mein Geburtsland, wie es einmal war, in meinem Herzen.« Hanna von Prosch

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