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Weihrauch schwebt - Geschichte lebt

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Haben die Besucher am Tag des offenen Denkmals in der Russischen Reinhardskirche willkommen geheißen (von links): Wilfried Claßen, Brigitta Gebauer und Katja Bohn-Schulz. © pv

Beim »Tag des offenen Denkmals« erkunden Geschichtsinteressierte die Vergangenheit. Das war beispielsweise in der russischen Reinhardskirche in Bad Nauheim der Fall.

Am Eingang zur Russischen Reinhardskirche steht Wilfried Claßen, der Vorsitzende des rund 25 Personen starken Fördervereins. »Herzlich willkommen«, sagt er. Es ist Sonntag und Tag des Offenen Denkmals. Auch in Bad Nauheim präsentieren sich verschiedene historische Bauwerke der Öffentlichkeit - die russische Kirche in der Reinhardstraße ist mit von der Partie. Eine Führung ist angekündigt. »Hallo!« Mit einem Lächeln begrüßen Brigitta Gebauer und Stadträtin Katja Bohn-Schulz die rund 15 eintretenden Gäste. Gebauer ist stellvertretende Vorsitzende, Bohn-Schulz neue Dezernentin für die Kirche.

Es ist erfrischend kühl im Innenraum, der Duft von Weihrauch schwebt in der Luft. Nach der langen Pandemie-Pause sind regelmäßig wieder Gottesdienste terminiert. Wenn die Gläubigen zur Messe zusammenkommen, lauschen sie im Stehen. Für die Gäste der Führung stehen indes Stühle bereit, bei deren Aufstellung und Abräumung Claßens Sohn Markus hilft. Es ist denn auch weniger eine Führung als vielmehr mehr ein Vortrag, den Gebauer hält, unterstützt durch den Vorsitzenden. Das ist angenehm bei den sommerlichen Temperaturen.

Die eine oder andere zuhörende Person schließt entspannt die Augen, während Gebauer in die russische Vergangenheit entführt. Der Förderverein versucht, wie sie sagt, die Politik aus der Kirche zu lassen. Als ihre Aufgabe verstehen die Ehrenamtlichen die Fürsorge für das Denkmal, das eine ökumenische Geschichte hat. Der Verein begleitete die Sanierung, in die 1,5 Millionen Euro aus Fördertöpfen von Denkmalpflege, Stadt und Kreis flossen. »Wir freuen uns sehr, dass es in diesem Jahr wieder möglich ist, die Kirche am ›Tag des offenen Denkmals‹ zu öffnen«, sagt Gebauer. Zunächst war es ihren Worten zufolge die Corona-Krise, die für eine Unterbrechung sorgte, anschließend waren es private Gründe. »Aber nun haben wir es geschafft«, freut sie sich.

1733 erst lutherisch eingeweiht

Wie Gebauer erwähnt, ist die Kirche nicht in typisch russischer Architektur erbaut, denn sie wurde 1733 lutherisch eingeweiht. Zeitweise war sie katholisch, bis sie 1908 zur russischen Kirche wurde. Eigentümer ist die Bruderschaft Bratstwo. »Das ganz Besondere ist die Ikonenwand, die aus drei Jahrhunderten stammt«, erläutert sie.

Das Kunstwerk stand ursprünglich in Kloster Sarow in Zentralrussland, wo der Mönch Seraphim gelebt hatte, der Schutzpatron der Reinhardskirche ist. »Die Ikonostase wurde der Gemeinde geschenkt, weil Seraphim heiliggesprochen wurde. Man hatte das Kloster nach der Heiligsprechung vergrößert, verschönert und mit einer neuen Ikonenwand ausgestattet«, erläutert sie. Weitere Besonderheit ist der große bronzene Kronleuchter, der aus der »Privatschatulle« des letzten Zaren Nikolaus stammen soll. Mittlerweile funktioniert er mit elektrischem Licht, früher waren es Kerzen.

1910 Besuch der Zarenfamilie

Die Zarenfamilie dürfte die Reinhardskirche seinerzeit besucht haben, da sie 1910 in Bad Nauheim kurte. Die Wahrscheinlichkeit ist somit groß. Zarin Alexandra nahm Bäder im Badehaus 3, der Zar genoss die Trinkkur. »Insofern hatte die Zarin einen besonderen Bezug zu dieser Kirche«, schildert Gebauer. Alexandra und ihre Schwester Elisabeth übernahmen die Patenschaft für das Gotteshaus, was sie per Telegramm verkündeten. Die Zaren sollen auch ein Messbuch und eventuell Messgewänder geschenkt haben. »Ein Teil dieser Dinge ist verschwunden, auch einige Ikonen, die man im ersten oder zweiten Weltkrieg ausgelagert hat. Man transportierte sie nach Ostdeutschland, weil man dachte, dort - in der Nähe von Russland - seien sie sicherer. Aber das war nicht der Fall.« Die Führung ist vorbei, die Gäste erheben sich, vielleicht mit dem Bild früherer Kirchenbesucher vor dem geistigen Auge. Vor allem waren es damals wohl Kurgäste. In heutigen Zeiten setzt sich der Personenkreis anders zusammen - die Messebesucher kommen aus dem Wetteraukreis, dem Vogelsberg, Gießen und Frankfurt. In Zukunft soll das Gotteshaus samstags nach Möglichkeit wieder für Besichtigungen offen stehen.

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