Wetterau: Rosbacher Fotograf zwischen »wachgeküssten« Traditionen, Altem und Jungem

Alte Traditionen, junge Leute: Dr. Marcus Müller aus Rosbach schlägt in seinen Fotos den Bogen zwischen alter hessischer Tracht und den jungen Leuten, die darin stecken. Wie gelingt das?
Bad Nauheim (hms). Den Bogen schlagen zwischen alter hessischer Tracht und jungen Menschen und als Portraits würdig in Szene gesetzt: Daraus hat der Tierarzt und Fotograf Dr. Marcus Müller ein Projekt aus 35 anspruchsvollen großformatigen Fotografien geschaffen. Bis Ende Februar sind sie noch im »ArtHotel Arabella« zu sehen.
»Wir müssen sie wachküssen, die alten Trachten« hatte Gabi Freyer, Geschäftsführerin des Bauernhausmuseums Hof Haina und Gästeführerin in Bad Nauheim, gesagt. Damit war der Titel der Fotoausstellung geboren: »Wachgeküsst«. Der Kuss musste sehr zart sein, denn nicht nur die Stoffe der historischen Stadt- und Landbekleidung sind äußerst empfindlich, sondern auch die Art der Fotografie ist so besonders, dass man die Motive mit Ehrfurcht betrachtet. Altes wird in Verbindung mit Jungem lebendig, und Junges zollt Altem Respekt.
Fotoprojekt aus Rosbach: Vergangenheit zum Leben erwecken
Der aus Reutlingen stammende, seit 2007 auf einer Hofreite im Kreis Gießen lebende und in Rosbach Höhe praktizierende Tierarzt ist leidenschaftlicher Portrait-Fotograf. »In einem Portrait kann man Geschichten erzählen«, sagt er mit schwäbischem Akzent und blitzenden Augen. Seine Fotografien erzählen vom früheren Leben in Mittelhessen, genauer zwischen Wetzlar, Gießen und Biebertal.
Aber die 20 Protagonisten sind moderne Menschen mit Tattoos und Piercings, zauberhaft geschminkt von Make-Up-Artist Sascha Ellmers aus Wertheim. Es sind Mitarbeiterinnen und Freunde sowie Verwandte von Gabi Freyer. Menschen, die begeistert waren von der Idee, die heimische Vergangenheit zum Leben zu erwecken.
Freyers Mutter gründete im Haus ihrer Vorfahren in Hof Haina bei Biebertal ein Bauernhausmuseum zum Anfassen. Die Trachten waren zum Teil in Kisten verpackt. Mit dem Fotoprojekt gab es einen trefflichen Grund sie hervorzuholen.
Fotoprojekt aus Rosbach: Hessenkittel, Gehrock und Co.
Da trägt ein zufrieden lächelnder Junge die Schwalmer Jugendtracht und hat eine »Botanisiertrommel« zum Kräutersammeln umgehängt. Mit stoischem Blick, sanftem Schwung des roten Mundes und Sommersprossen zeigt Lilli eine junge Tracht aus Krofdorf. Liliana trägt ein kostbares Hüttenberger Gewand. Zum Alter passend hat Ronja ein schlichtes Konfirmationskleid mit Spitzenkragen angelegt, andächtig das Gesangbuch mit Spitzenhülle in der Hand. Natürlich fehlen nicht der typische Hessenkittel, Gehrock und Stadttracht, eine Schlafmütze von 1880, Schulterkragen und Stülpchen, die Haube, wie sie verheiratete Frauen trugen.
Ein ganz besonderes Wertstück ist eine Brauthaube aus Waldgirmes, die aus kunstvoll verzierten Borten besteht. Müllers Ehefrau durfte sie anlegen und sich im Profil zeigen.
Die meisten Fotos sind aber frontal aufgenommen, sodass die Betrachter dem Blick nicht entkommen. Ihr Ausdruck ist meist ernst, ein kleines Lächeln höchstens, voller Würde, Anmut und Schlichtheit. Und vollkommen zeitlos.
Fotoprojekt aus Rosbach: Sechs Fotoshootings in einem Jahr
Den Reiz der Fotografien machen neben der unausweichlichen Präsenz der Augen und den leuchtenden Farben vor allem winzige Lichteffekte im Haarknoten, auf Schleifen oder Händen. Die Kunst, dunklen Stoff vor schwarzem Hintergrund so zu fotografieren, dass er sich gerade noch davon abhebt, beherrscht Müller hervorragend.
Sechs Fotoshootings über ein Jahr verteilt waren zur Produktion notwendig. Dazu kam ein Jahr Vorbereitung, viele Gespräche miteinander über das damalige Leben. »Das Anziehen der bis zu fünf Kleiderschichten und das Schminken dauerte immer länger als das Fotografieren selbst«, erzählt Müller, dem als Mentor ein befreundeter Leica-Fotograf zur Seite stand. Dieser durfte auch auf das Abschlussfoto: Eine blickgetreue Nachstellung eines bäuerlichen Genrebildes von Ernst Bieler unterhalb der Gleiburg.
Fotoprojekt aus Rosbach: Ausstellung Bad Nauheimer Hotel
Gäste, die schon im Eingangsbereich des Hotels auf die sakral anmutende Aufnahme der »Laura mit der Rose« stießen, fragten Besitzerin Heidi Sigismund, warum die Bilder so dunkel seien. »Wenn ich ihnen die Geschichte dazu erzähle, haben sie auf einmal einen ganz anderen Blick darauf«, antwortet sie. Sie fand, dass diese Motive sehr gut in das Konzept ihrer Wechselausstellung passen würden und bot dem mit ihr lange bekannten Tierarzt die Präsentation an. Über drei Stockwerke verteilt ziehen sie die Aufmerksamkeit auf sich. Jeder kann staunen kommen.
Info: Bis Ende Februar
Die Ausstellung »Wachgeküsst« im »ArtHotel Arabella« in der William-Kerckhoff-Straße 3 in Bad Nauheim ist noch bis Dienstag, 28. Februar, zu sehen. Hotelbesitzerin Heidi Sigismund bittet um vorherige Terminvereinbarung unter 0 60 32/ 9 60 70.
Am Sonntag, 29. Januar, findet von 15 bis 17 Uhr eine Vernissage in Wetzlar statt. In sieben verschiedenen Geschäften sind vier Wochen lang 15 Fotos aus der hier dargestellten Serie ausgestellt.
