Zufällige Diagnose, oft tödliches Karzinom: Bad Nauheimer Experten reden über Lungenkrebs

Am Weltkrebstag (4. Februar) steht an dieser Stelle der Lungenkrebs, das hierzulande tödlichste Karzinom, im Fokus. Die WZ hat mit Experten von der Bad Nauheimer Kerckhoff-Klinik gesprochen.
An Lungenkrebs zu erkranken oder nicht, das haben die meisten Menschen weitgehend selbst in der Hand: Lässt man die Finger von Zigaretten, senkt man das Risiko enorm. Laut Robert-Koch-Institut (RKI) ist der Lungenkrebs mit weit über 50 000 Neuerkrankungen jährlich derzeit die dritthäufigste Krebsart in Deutschland, dabei aber prognostisch gesehen die tödlichste mit etwa 35 000 Todesfällen pro Jahr. Etwa 90 Prozent aller Fälle gehen laut RKI auf Zigarettenkonsum zurück.
Gründe genug, um am heutigen Weltkrebstag hier den Fokus auf dieses Karzinom zu richten. Zumal es in der Wetterau intensiv und interdisziplinär bekämpft wird. An der Bad Nauheimer Kerckhoff-Klinik operieren Privatdozent Stefan Guth, Direktor der Abteilung Thoraxchirurgie, und sein Team pro Jahr etwa 125 Lungenkrebs-Patienten. Die WZ hat mit ihm und mit dem Ärztlichen Geschäftsführer der Klinik und Direktor der Abteilung Allgemeine Pneumologie, Prof. Hossein-Ardeschir Ghofrani, gesprochen.
Zeit ein entscheidender Faktor
»Meistens ist es ein Zufallsbefund«, sagt Ghofrani über die Diagnose. Der Lungenkrebs mache sich oft erst im fortgeschrittenen Stadium symptomatisch bemerkbar. »Es gibt nicht ein klares Leitsymptom wie beim Herzinfarkt.« Das ist ein großes Problem, denn für eine Heilungschance bei Krebs ist die Zeit entscheidend. Während der Pandemie kam es verstärkt zu Verzögerungen in der Diagnostik, was laut Guth vor allem daran lag, dass Patienten den Gang zum Arzt gemieden haben oder geplante und notwendige Diagnostik verschoben werden musste. In der Kerckhoff-Klinik seien vermehrt Patienten im Stadium 3 oder 4 diagnostiziert worden, weniger in früheren Stadien. »Gerade bei so einer Tumor-Erkrankung können bereits Wochen relevant sein, die zwischen Wohl und Wehe entscheiden.«
Das Rauchen als Vorschlaghammer
Da die Diagnose oft zufällig zustande kommt, wäre eine regelmäßige Kontrolle bei Risikopatienten (Raucher) sinnvoll. Laut Ghofrani gibt es internationale Anstrengungen, eine »Low dose«-CT-Untersuchung als jährlichen Standard für gefährdete Personen, insbesondere starke Raucher, zu etablieren. »Low dose« heißt in diesem Fall, dass die Belastung durch Röntgenstrahlung möglichst gering gehalten wird. Die Umsetzung sei seitens der Kostenträger und zuständigen Ministerien noch in der Diskussion, sagt Ghofrani. »Auf der medizinisch-wissenschaftlichen Ebene ist die Datenlage glasklar.«
»Hauptrisiko für Lungenkrebs in neun von zehn Fällen ist und bleibt das inhalative Zigarettenrauchen«, unterstreicht der Ärztliche Geschäftsführer. Zwar gebe es auch andere Gefahren, z. B. durch Asbest und Lösungsmittel, aber: »Der Vorschlaghammer ist und bleibt das Rauchen.« Für ein familiär bedingtes Lungenkarzinom hingegen gebe es keine harte Evidenz.
Frühe OP einziger Weg zur Heilung
Welche Behandlungsmethoden gibt es? Der einzige Weg, den Patienten zu heilen, sei die operative Tumorentfernung in einem frühen Stadium, sagt Ghofrani. Dafür, erläutert Guth, müsse der Betroffene den Eingriff gut überstehen können. Gibt es da z. B. aufgrund von Gebrechlichkeit oder zu stark eingeschränkter Lungenfunktion Bedenken, bleiben Bestrahlung mit oder ohne Chemotherapie weitere Optionen. In der Anwendung moderner onkologischer Therapiekonzepte spielt die Molekulardiagnostik, bei der genetische Veränderungen des Tumors untersucht werden, eine signifikante Rolle. Hierdurch kann in vielen Fällen eine für den einzelnen Patienten und seine spezielle Tumorart abgestimmte Systemtherapie ausgewählt werden, ganz im Sinne der Präzisionsmedizin.
Chronifizierung der Erkrankung
Es sei die Frage, ob es eine Möglichkeit gebe, den Patienten zu heilen, oder ob es darum gehe, den Krebs und seine Folgen langfristig zu beherrschen, erläutert Ghofrani und bezeichnet Letztgenanntes als palliativen Ansatz. Dabei gehe es darum, eine Chronifizierung der Erkrankung zu erreichen. Heißt: Man lebt länger und das mit einer guten Lebensqualität. »Statt wie früher ›an‹ Krebserkrankungen zu sterben, stirbt man heute immer öfter ›mit‹ dem durch die Therapien kontrollierten Krebs«, sagt Ghofrani und zieht eine Parallele zu Diabetes vor und nach der Erfindung des Insulins.
Es gibt auch die Verläufe, bei denen ein Patient operiert wird und der Krebs nach fünf Jahren nicht zurückgekommen ist. »Dann«, sagt Stefan Guth, »gilt im Falle des Lungenkarzinoms der Patient als geheilt. Für andere Tumorarten trifft das leider nicht zu.«
Operationen im Lungenkrebszentrum
Die Bad Nauheimer Kerckhoff-Klinik bildet gemeinsam mit der Uni-Klinik Gießen-Marburg und dem Evangelischen Krankenhaus in Gießen das Lungenkrebszentrum Mittelhessen unter der Leitung von Prof. Friedrich Grimminger. Mit eingebunden sind das Gesundheitszentrum Wetterau, Kliniken im Taunus, bis hin zu Kooperationspartnern im Rhein-Main-Gebiet. Prof. Hossein-Ardeschir Ghofrani und Privatdozent Dr. Stefan Guth plädieren dafür, dass die Behandlung von Lungenkrebspatienten ausschließlich in solchen spezialisierten und zertifizierten Zentren geschehen solle. Die Menschen sollten dort versorgt werden, wo es die größte Erfahrung und eine hohe Schlagzahl bei den Therapien gebe. Das führe zu weniger Komplikationen und zu höheren Heilungschancen. »Wir müssen weg davon, dass so hochkomplexe Behandlungen in kleiner Zahl irgendwo behandelt werden«, fordert Ghofrani. »Jeder Patient wird in unserem interdisziplinären Tumorboard besprochen und anhand der Art und Ausdehnung der Erkrankung die jeweils beste Therapie gewählt.«
Exzellente Videotechnik nötig
Ein weiterer Vorteil der Konzentration auf Zentren sei das Sammeln von Daten und deren wissenschaftliche Auswertung, was dem nächsten Patienten zugutekommen könne. »Die Lernkurve ist in einem Zentrum wie unserem viel steiler und die Expertise hoch.«
Die effektivste Methode, den Lungenkrebs zu entfernen, ist die Operation. Vorausgesetzt, man diagnostiziert und handelt rechtzeitig und der Patient ist in der Lage, den Eingriff voraussichtlich zu überstehen. Solch eine OP dauert normalerweise zweieinhalb bis drei Stunden, erläutert Stefan Guth. Der Anästhesist könne dafür sorgen, dass beide Lungenflügel beatmet werden oder nur derjenige, der gerade nicht operiert werde.
Früher habe man bei allen Patienten auf einer Länge von 15 bis 20 Zentimetern in die Haut geschnitten und den Zwischenrippenraum geöffnet. Die Folge: Schmerzen nach der OP. Heutzutage versuche man, minimalinvasiv vorzugehen, erläutert Guth. Ein drei bis vier Zentimeter langer Schnitt reiche, eine Kamera werde eingeführt, durch die kleine Öffnung würden Lungengewebe und Lymphknoten entfernt. »Es ist ein aufwendiges Verfahren«, sagt Guth, schließlich müssten mit einem sogenannten Stapler (Klammergerät) die Lungengefäße und Bronchien durchtrennt und gleichzeitig verschlossen werden. »Man hat einen höheren technischen Aufwand und braucht eine exzellente Videotechnik.« Bei den Lungenkrebs-Operationen kommt in der Kerckhoff-Klinik hierfür ein dreidimensionales Videosystem zum Einsatz, das räumliches Sehen ermöglicht.
Noch am selben Tag auf Normalstation
Ist der Eingriff vorbei, wird der Beatmungstubus noch im OP-Saal entfernt, der Patient kommt - wenn es keine Komplikationen gibt - noch am selben Tag auf die Normalstation. Am zweiten oder dritten Tag werden die Drainagen gezogen, spätestens am siebten Tag geht es nach Hause oder in die Reha. Danach muss der Patient in bestimmten Intervallen zur Tumornachsorge kommen. Die Behandlung an sich kann mit der Operation abgeschlossen sein - andernfalls können Bestrahlung und/oder Chemotherapie folgen.