Zwischen Würde und Menschenleben - Schüler diskutieren Dilemma mit aktivem Luftwaffenpiloten
Ein entführtes Flugzeug rast auf 70 000 Menschen zu. Sollte ein Bundeswehr-Pilot die Maschine abschießen dürfen? Eine schwierige Frage für die Schüler der Ernst-Ludwig-Schule in Bad Nauheim.
Terror - Ihr Urteil« lautet der fiktive deutsche Fernsehfilm von Regisseur Lars Kraume nach dem gleichnamigen Theaterstück von Ferdinand von Schirach. Das Drama wurde am 17. Oktober 2016 erstmals im Abendprogramm der ARD ausgestrahlt.
Im Kontext des Politikunterrichts haben 72 Gymnasialschüler der Ernst-Ludwig-Schule (ELS) »Terror - Ihr Urteil« in der Filmbühne Bad Nauheim gesehen. Anschließend hatten sie die Möglichkeit, einem aktiven Luftwaffenpiloten Fragen zum Film und darüber hinaus zu stellen.
164 Menschen opfern, um 70 000 mutmaßlich vor dem Tod zu bewahren?
Die Handlung: Im nationalen Lagezentrum für Sicherheit im Luftraum wird die Entführung eines Passagierflugzeugs bekannt. Der Terrorist droht mit einem Anschlag. Ein Fußballstadion, aber auch ein Atomkraftwerk sind in Kursnähe. Kampfpiloten werden in die Luft geschickt, um das Flugzeug wieder unter Kontrolle zu bringen.
Der Entführer reagiert nicht auf die Signale, auch ein Warnschuss wird ignoriert. Das Passagierflugzeug abzuschießen lehnt die Bundesverteidigungsministerin ausdrücklich ab. Eine halbe Stunde warten die Piloten in der Luft, ohne etwas tun zu können. Als das Passagierflugzeug plötzlich in den Steilflug geht, fragt der Luftwaffen-Major Lars Koch, ob der Befehl nicht zu schießen, immer noch gilt. Die Entscheidung steht.
Das Flugzeug ist nur noch rund 15 Kilometer von einem voll besetzten Fußballstadion entfernt. In dem Moment schießt Lars Koch die Maschine eigenmächtig ab. Das Passagierflugzeug prallt auf einem Kartoffelfeld auf - alle 164 Menschen an Bord, darunter auch Kinder, sterben.
Ein Pilot zwischen Held und Massenmörder
Luftwaffenpilot Lars Koch - 31 Jahre, verheiratet, ein Kind - sitzt im Berliner Schwurgericht auf der Anklagebank. Die Staatsanwaltschaft wirft ihm Mord in 164 Fällen vor. Denn Artikel 1 des Grundgesetzes, »Die Würde des Menschen ist unantastbar«, verbiete das Abwegen eines Menschenlebens gegen ein anderes.
Sein Verteidiger plädiert hingegen auf Freispruch. Lars Koch sei ein Held, der in einer schwierigen Situation die Verantwortung übernommen und 70 000 Menschenleben gerettet habe.
Für den Film »Terror - Ihr Urteil« wurden zwei Abschlussszenen gedreht. Die Menschen vor den Bildschirmen sollten sich als Schöffen verstehen und entscheiden, ob Lars Koch »schuldig« oder »nicht schuldig« ist. Das Zuschauervotum, fiel eindeutig aus: 86,9 Prozent stimmten für nicht schuldig, 13,1 Prozent für schuldig. Dementsprechend wurde die Abschlussszene mit dem Szenario »nicht schuldig« im Fernsehen gezeigt.
»Ich hätte nicht geschossen.« - Schüler diskutieren mit Luftwaffenpilot »Ewin«
Die 72 Schülerinnen und Schüler der ELS entscheiden ähnlich: 57 (79,2 Prozent) stimmen für Freispruch, 10 (13,9) für schuldig und fünf (6,9) enthalten sich der Stimme. Nach einer kurzen Pause haben die Oberstufenschüler die Chance, einem aktiven Luftwaffenpiloten der Bundeswehr Fragen zu stellen.
»Ewin« lautet sein Codename. Er ist Hauptmann bei der Luftwaffe und Eurofighter-Pilot im taktischen Luftwaffengeschwader 74 in Neuburg an der Donau. Ein Schüler fragt »Ewin«, warum er Pilot bei der Luftwaffe werden wollte. »Um meinem Land zu dienen und es zu verteidigen. Zur Not mit Waffengewalt.« Zum Glück habe er aber noch nie auf einen Menschen schießen müssen. »Ewin« ist etwa so alt wie der Protagonist im Film. Wie hätte er an seiner Stelle entschieden?
»Ich hätte nicht geschossen.« Der Abschuss eines Flugzeugs mit unbeteiligten Personen sei nicht erlaubt. In einer Extremsituation anders zu reagieren könne er aber nicht ausschließen. Am Ende liege die schwierige Entscheidung bei ihm: »Ich bin immer ich. In der Luft bin ich auch ein Mensch.«
Sicherheit im Luftraum - wenn der Funkkontakt abbricht
Mehrmals täglich geht die Funkverbindung zu zivilen Flugmaschinen verloren. Fluglotsen der Deutschen Flugsicherung versuchen den Kontakt dann wieder herzustellen. Ungefähr ein bis zweimal im Monat scheitert die Kontaktaufnahme. Der Fall wird an das nationale Lage- und Führungszentrum für Sicherheit im Luftraum übergeben.
Verantwortlich sind das Bundesministerium für Digitales und Verkehr, das Bundesministerium des Innern und für Heimat und das Bundesministerium der Verteidigung. Das Bündnis wird vertreten durch die Deutsche Flugsicherung, die Bundespolizei und die Luftwaffe.
Zur Aufklärung bei Terror-Verdacht steigen zwei Eurofighter auf. Die Stützpunkte der sogenannten Alarmrotten liegen in Wittmund (Niedersachsen) und in Neuburg (Bayern). Spätestens nach 15 Minuten sollen die Piloten in der Luft sein. Im Ernstfall »Renegade« versuchen sie, die Terroristen zur Landung zu zwingen. Werden die Signale ignoriert, erfolgt ein Warnschuss.
Der Abschuss einer Passagiermaschine mit unbeteiligten Personen ist in Deutschland illegal. Nur bei einem »übergesetzlichen entschuldigenden Notstand«, einem Gewissenskonflikt, ist er unter bestimmten Bedingungen für den Piloten straffrei.