Als ein Blitz den Kirchturm traf
Kein Kanonendonner, dafür aber dumpfes Donnergrollen versetzt die Bürger in Gronau am ersten Pfingstfeiertag vor 100 Jahren in Angst und Schrecken. Zu denen, die immer wieder einen besorgten Blick hoch in den dunklen Himmel werfen, gehört Karl Sopp. Er steht im Mai 1918 „gerade am Fenster“ als er Augen- und Ohrenzeuge eines ebenso faszinierenden wie beängstigenden Naturereignisses und seiner zerstörerischen Folgen wird.
„Nachmittags zog ein Gewitter von Nordosten kommend herauf und um viertel nach fünf schlug der Blitz in unsere Kirche ein“: Karl Sopp ist von 1916 bis 1921 Pfarrer in Gronau. Eingeschlagen ist der 100 000 Kilometer in der Sekunde schnelle und 30 000 Grad Celsius heiße, aber nur eine tausendstel Sekunde lange Blitz in die Spitze des Gronauer Kirchturms.
„Glücklicherweise war es ein kalter Schlag, sonst wären von der Kirche wohl nur die Umfassungsmauern geblieben.“ Abfliegender Schiefer und Verschalungsbretter fliegen bis auf die Straße. Glück hatte an diesem Tag vor allem ein Gronauer, der „alte Kirchendiener Fassel“. Er war kurz vor dem Einschlag noch in der Kirche gewesen, um die Uhr aufzuziehen. „Da der Blitz auch durch die Uhr gefahren ist, wäre Fassel unrettbar verloren gewesen.“
Uhrkasten zertrümmert
Eingeschlagen ist der Blitz nach Vermutungen des Pfarrers „offenbar in die Turmspitze“. Von dort zieht er eine Bahn der Verwüstungen. Helmstange und ein sie stützender Seitenbalken werden zertrümmert, ein Gefach unter dem oberen Schall-Loch nach Süden herausgeschlagen. Von dort ist er „an dem Balken entlang bis zur Verteilungs-Stange der Uhrzeiger mit der Uhr gefahren“, hat diese, Balken und den äußeren Schieferbelag vielfach beschädigt, den Uhrkasten sogar zertrümmert.
Am Drahtseil entlang, an dem der Kronleuchter hängt, läuft der Blitz durch die Decke in das Kirchenschiff, zersplittert dort den unteren Teil des nördlichen, dicken Pfeilers, auf dem der Turm ruht. Dann „beschädigt er die westliche Haupttüre“, bevor er unter ihr „hinaus in die Erde gefahren“ ist. Pfarrer Sopp bietet sich beim Betreten der mit Schwefeldampf gefüllten Kirche ein Bild der Zerstörung:
Zwar habe es nicht gebrannt, aber „die Verwüstungen sind doch schon sehr arg gewesen.“ Lehmstaub lag durch das Herabfallen von Deckenteilen in der ganzen Kirche zerstreut. Zum Glück war beim Blitzeinschlag kein Gottesdienst, da sonst die unten „um den Pfeiler sitzenden Frauen in größter Gefahr gewesen“ wären.
Während der Pfarrer aufräumt, strömen schaulustige Gronauer ins Gotteshaus. Dagegen ist beim späteren „Dankgottesdienst für die Errettung des Lebens des Gemeindegliedes“ die Zahl der Besucher „sehr klein“, was Sopp auch in seiner Predigt erwähnt.
Im letzten Jahr des ersten Weltkrieges waren die Kassen der Kirchen wie auch der politischen Gemeinde leer. „Die Gemeinde hatte ihr gesamtes Barvermögen in Kriegsanleihen angelegt.“ Das geht infolge der Inflation verloren. „Der Schaden ist ziemlich bedeutend. Der Dachdeckermeister Eckhard von Vilbel hat allein einen unverbindlichen Voranschlag nur für die Dachdeckerarbeit von 472 Mark eingereicht. Hoffentlich wird die Feuerversicherung alles bezahlen“, wünscht sich der Ortspfarrer.
Bis heute dankbar
Wie „Heimatforscher“ Hansfried Münchberg, der die Geschichte in der Pfarrchronik entdeckte, heraus-fand, wurden die Reparaturkosten von über 6000 Mark durch eine Bausteuer für zwei Jahre finanziert, die 20 Prozent von der Einkommens- und 20 Prozent von der Grundsteuer forderte. „Da die politische Gemeinde ihr Versprechen, die Unkosten vorschussweise zu decken, nicht gehalten hat, musste von der Landeskirchenkasse in Hanau ein Kapital von 7000 Mark aufgenommen werden, das in drei Jahren zurückgezahlt sein soll.“
Dr. Elisabeth Krause-Vilmar ist seit Pfingsten 2017 Pfarrerin der Gemeinden Gronau und Niederdorfelden. Froh ist sie, dass der „Blitzeinschlag in unserer Gronauer Kirche glimpflich verlaufen und niemand verletzt wurde. Es ist eine Erfahrung der Bewahrung, die uns bis heute dankbar macht.“
Gewitter spielen in der Kirchengeschichte eine große Rolle. So habe der Blitzschlag bei Stotternheim Martin Luthers Leben verändert. „Ihm wurde klar, was die wichtigste Frage in seinem Leben ist.“ Bis heute sind die Gronauer keine großen Kirchgänger, was auch Pfarrer Hans-Karl Heinrich in seiner 20-jährigen Amtszeit feststellte: „Die Gronauer lieben zwar ihre Kirche, gehen aber selten hinein.“ Erbaut wurde die 1718/19.