Mein neuer Freund, der Salafist
In die Gedankenwelt gewaltbereiter junger Islamisten entführte Christian Linker mit seinem Buch „Dschihad Calling“. Er ist einer von sechs Autoren einer Lesereihe der Europäischen Schule Rhein-Main (ESRM).
Die Schreckensbilder kennen die Zehntklässler bisher nur aus den Nachrichten: Terroristen des „Islamischen Staats“ (IS), die unter schwarzen Fahnen grausame Massaker begehen und diese stolz über die sozialen Medien verbreiten. Viele der Mitstreiter, aber auch die Attentäter aus Paris und Brüssel, aber haben gar keinen religiösen Tiefgang, viele kommen bloß aus dem kleinkriminellen Milieu. Oder sie haben einfach Lust darauf, mit Gewalt zu provozieren, erzählt der Autor Christian Linker, der sich für seine Recherchen ebenfalls Facebook & Co. bediente.
Eigentlich wollte er über die Islamisten schon 2007 ein Buch schreiben, erzählt er, doch dann habe er so viele Fakten zusammengetragen, dass ihm keine Romanerzählung mehr gelungen sei. Vor zwei Jahren bat ihn seine Verlegerin um einen neuen Anlauf. Der ist geglückt.
Gebannt hörten die ESRM-Schüler zu, wie Linker mit großer Energie seine Story vorstellte. Dabei umschiffte er zwei Klippen. Mit kraftvollen, aus der Ich-Perspektive erzählten, vorwärts treibenden Szenen entführt er die Zuhörer in die Welt der Aussteiger, lässt deren Radikalisierung wie eine mögliche Selbsterfahrung erleben. Zugleich vermeidet er pädagogische Gesten.
Linkers Protagonist ist der angehende Student Jacob. Zufällig hilft er der von Hooligans angegriffenen Muslima Samira. Jacob wird neugierig, sucht den Kontakt zu ihr. Doch es kommt zu keiner Affäre. Als Jacob aus seiner WG fliegt und nach einer durchzechten Nacht Obdach sucht, lädt ihn Samiras Bruder Abdil in dessen Wohnung ein. Abdil ist Salafist, schaut sich Videos von Massakern an, will als Märtyrer in den Krieg ziehen.
Brüderliche Belagerung
Jacob erlebt die Begegnung zunächst als freundschaftliche, brüderliche Nähe, staunt mehr, als dass er erschrickt. Abdil bringt den haltlosen Sinnsucher zum Nachdenken. Gewalt sorge doch nur für Gerechtigkeit, auch die Französische Revolution habe grausam begonnen, meint der. Jacob konvertiert zum Islam. Schon bald wird es ernst. Abdil schickt Tagebücher aus dem „Kalifat“, Kriegsgräuel und Hinrichtungen im syrischen Raqqa.
Im anschließenden Gespräch berichtet Linker von seiner Online-Recherche in den sozialen Netzwerken, wo junge Kämpfer wahllos Kalaschnikows, Leichenberge und süße Katzenfotos einstellten. „Haben Sie Angst gehabt, sich verdächtig zu machen, wenn Sie sich damit beschäftigen?“, fragte ein Schüler. Er habe zunächst beim Verfassungsschutz angefragt, kontert Linker.
Neue Jugendkultur
Die Szene sei „überraschend offen“, wolle missionieren. Es sei auch der Versuch, eine Jugendkultur mit eigenem Style zu begründen. Ein Schüler sagt, er habe aus Interesse im Internet solche Foren besucht.
Ob die Recherche seinen Blick verändert habe, wird gefragt. „Eher vertieft“, entgegnet Linker. Ein solches Abgleiten in den Fanatismus sei „schon plausibel“. Oft sei es Zufall, dass die meist nicht-muslimischen Jugendlichen bei den Salafisten und nicht bei den Rechten landeten. Im Gegensatz zu den gläubigen Terroristen des 11. September hätten viele keine religiösen Erfahrungen. „Die Attentäter von Paris waren Prols.“