So sollen Innenstädte und Einzelhandel überleben

Wie ist es möglich, dass Innenstädte leben, Einzelhandelsgeschäfte genutzt werden und Menschen in einer Innenstadt verweilen? Atmosphäre heißt das Zauberwort, doch was ist Atmosphäre und wie können Kommunen diese erzeugen? Damit beschäftigt sich das Wirtschaftsforum Wetterau, das zu einem Vortragsabend eingeladen hat. Dieser findet in der Bad Vilbeler Neuen Mitte statt, einem leuchtenden Beispiel für eine belebte Innenstadt.
„Wir sind hier im Herzen der Stadt Bad Vilbel“, verkündet Bürgermeister Thomas Stöhr (CDU) stolz vor fast ausverkauftem Saal in der Stadtbibliothek. Der Veranstaltungsort ist nicht zufällig gewählt: Im Herzen von Bad Vilbel ist die Neue Mitte entstanden, deren Hingucker die Stadtbibliothek ist: Der moderne Bau thront auf der Brücke über die Nidda.
Doch nicht nur die Optik ist außergewöhnlich, auch die Atmosphäre ist es. Wie es zu schaffen ist, dass Menschen nicht nach Frankfurt zum Einkaufen fahren, sondern Städte wie Bad Vilbel dafür nutzen, fragt Thomas Stöhr in die Runde. „Stillstand ist etwas, das zurückfallen lässt“, beschreibt Stöhr die Entwicklungen in der Stadt und erwähnt die geplante Stadthalle und den Kurhausanbau.
Architektur und Ästhetik
Jan Weckler (CDU), Erster Kreisbeigeordneter des Wetteraukreises, spricht in seinem Grußwort von 10 000 Wohneinheiten, die im Kreisgebiet in den kommenden drei bis fünf Jahren hinzukommen werden. Um in einer Stadt nicht nur wohnen, sondern auch leben zu können, dafür sei Atmosphäre in den Zentren wichtig.
Bad Vilbels Kulturamtsleiter Claus-Günther Kunzmann hält den ersten Vortrag des Abends. Er geht auf Besonderheiten und Geschichte der Neuen Mitte ein, die zuvor auch die Moderatoren des Abends Bernd-Uwe Domes und Klaus Karger, beide Geschäftsführer der Wirtschaftsförderung Wetterau, gelobt und als gutes Beispiel für eine atmosphärische Innenstadt benannt haben. „Hier steckt wirklich Herzblut drin“, fährt Kunzmann fort. Auf Architektur und Ästhetik habe man schon bei der Planung besonders geachtet, Sitzstufen machen die Nidda erlebbar, zählt er auf. Die Stadtbibliothek auf der Brücke sei nicht nur ansehnlich, sondern auch mit 50 000 Medien bestückt, die für 100 000 Euro pro Jahr erneuert würden. Sitzplätze, Zeitungen und kostenfreies Internet laden zum Verweilen ein.
Das würden auch die Zahlen beweisen: „25 0000 Menschen besuchen die Stadtbibliothek im Jahr, das sind etwa 1000 pro Tag.“ Das kulinarische Angebot an der Neuen Mitte mit dem Café Wessinger, dem Restaurant Mondnacht sowie dem Eiscafé Milano sei ideal. All diese Aspekte würden die Neue Mitte zu diesem beliebten und stark frequentierten Ort machen, der sie heute ist.
Doch nicht in allen Kommunen läuft es so rund. Über die Gründe dafür macht sich André Haußmann seit langer Zeit Gedanken. Der Vorsitzende des Vereins „Wirtschaft Regionalentwicklung Wetterau“ lebt in Bad Vilbel und leitet eine Marketing- und Kommunikationsagentur. „Atmosphäre muss kein Zufall sein“, findet Haußmann. „Wenn sich in einer Stadt alles dicht beieinander befindet, was man braucht, dann wird von Atmosphäre gesprochen“, erklärt er.
Bürger beteiligen
Es gebe massenhaft Konzepte, konkrete Schritte, wie Städte ein atmosphärisches Zentrum schaffen können. „Kulturelles Leben ist ein weiterer Frequenzbringer. Allerdings ist Kultur eine freiwillige Leistung und so nicht immer realisierbar.“
Am allerwichtigsten bei der Entwicklung eines atmosphärischen Stadtzentrums sei jedoch die Partizipation. „Verbände, Initiativen und Politik müssen zusammenarbeiten. Und auch die Bürger dürfen sich dabei nicht ausgeschlossen fühlen“, nennt Haußmann. Ein solcher Prozess koste deutlich mehr Zeit, sei aber wesentlich nachhaltiger. Ein gemeinsames Leitbild und das Hervorheben der städtischen Identität sei weiterhin zu beachten. „Städte sollten nicht in Quartieren denken, sondern sich als ganze Stadt betrachten“, betont er.