Wenn alles außer Kontrolle gerät
Wie ungemütlich es werden kann, wenn Alkohol oder andere Drogen die Sinne trüben, das konnten Elftklässler des Georg-Büchner-Gymnasiums (GBG) hautnah erleben. Wie sich ein Autocrash bei Tempo zehn im Gurtschlitten anfühlt, die Situation nach einem Überschlag oder die Sicht mit der Rauschbrille. Aber es gab auch praktische Hinweise von Polizisten und einem Anwalt.
Tempo zehn, das ist gerade mal die doppelte Schrittgeschwindigkeit. Doch als die beiden Schülerinnen aus dem Gurtschlitten klettern, sind sie geschockt. „Das geht so schnell“, sagt Kathrin (17) und ihre gleichaltrige Freundin Elif sagt: „Das hat echt weh getan!“ Es war „überraschend schmerzhaft“, meint Jonathan (17). Und es könne noch schlimmer kommen, denn die Aufprallenergie steige im Quadrat, ergänzt Gerhard Gerecht. Er ist Präventionsbeauftragter am GBG und Physiklehrer: „Die dreifache Geschwindigkeit bedeutet eine neun Mal so hohe Aufprallenergie.“ Auch wenn sie bei einem Autounfall durch die Deformation der Karosserie ein Stück weit aufgefangen werde.
Aufklärung durch anschauliche Beispiele – das ist das Konzept der Präventionstage, die am GBG und anderntags auch an der John-F.-Kennedy-Schule stattfanden. Dabei setzen die Akteure gezielt auf abschreckende Beispiele. Paul Fischer ist Crash-Instructor, stellt den Schülern den Überschlag-Simulator vor. Er sagt, wie es ist, nach einem Unfall kopfüber im Gurt zu hängen. Blut und Mageninhalt drücken in Richtung Kopf, malt Fischer detailliert aus. „Nach 15 Minuten seid ihr bewusstlos.“ Auch deshalb sei es wichtig, bei einem Unfall schnell einzugreifen.
Fahrschule mal anders
„Man hat nicht so viel im Autoinneren gesehen“, sagt Leo (17), als er sich aus dem umgedrehten Wagen herausgewunden hat. Und er stellt sich vor, wie das wäre, wenn ein Unfallopfer in dieser Lage noch unter Schock und Panik reagierte. „Man kriegt so etwas in der Fahrschule nicht beigebracht“, merkt sein Freund Tom (17) an. Schon deswegen sei der Präventionstag sehr informativ. Diesen Eindruck hat auch Timon (17), der nebenan gerade auf einem kleinen Bobbycar herumfährt.
Was auf den ersten Blick wie ein Gag aussieht, hat einen ernsten Hintergrund. Die Drogenberater Gerhard Rauschenberg und Lutz Illhardt haben Brillen verteilt, die die verzerrte Sicht unter Einfluss von Alkohol oder Ecstasy simulieren. Dass der Blick plötzlich total verschwimmt, hat Timon und seinen Freund Haesso beeindruckt, nachdem sie hilflos über den Parcours gerutscht sind. „Ich kann mir das gar nicht vorstellen“, sagt Timon, „ein ganz komisches Gefühl.“
Rauschenberg befragt eine Schülergruppe, wer noch nie Alkohol getrunken habe. Ein Mädchen meldet sich. Wenn Freunde sie fragten, ob sie mittrinken möchte, sage sie: „Mach dein Ding – aber ich möchte dich nicht nach Hause bringen.“ Es gibt aber auch Schüler, die Alkohol und Cannabis konsumieren, glauben, geringe Mengen seien vertretbar.
„Wir haben mit Cannabis sehr viel zu tun“, sagt Drogenberater Rauschenberg. Die Suchtgefahr stagniere in der Wetterau weiter auf hohem Niveau, merkt Illhardt an. Besonders problematisch seien Cocktails, etwa Wodka, gemischt mit Energy-Drinks. Schon 14-Jährige seien mit Wodkaflaschen unterwegs, hat er beobachtet.
Sponsoren gesucht
Es gibt Aufklärungsbedarf, doch dieses Jahr ging der Präventionstag mit Einschränkungen über die Bühne. Das DRK, das Erste-Hilfe-Griffe vorstellte, war nicht dabei, „sie wollten erstmals Geld haben“, berichtet Gerecht. Auch das zerstörte Unfallauto, Resultat einer tödlichen jugendlichen Alkoholfahrt, war nicht mit dabei. Für die Polizei sei der Aufwand zu groß, um Schülern nur kurz den Unfall zu beschreiben.
Auch Wilfried Wall von der Verkehrswacht Wetterau, der Initiator der Präventionstage, ist diesmal nicht gekommen und wird aus Altersgründen bald aufhören. Wenn nur noch sein Kollege die Tage organisiert, befürchtet Gerecht, dass das Angebot zurückgefahren werde. Auch aus finanziellen Gründen.
So koste die Leihe von Gurtschlitten und Überschlagsimulator 800 Euro – Geld, das im Schuletat nicht vorgesehen sei. Bislang gab es Unterstützung von der BVB-Stiftung, doch dieses Jahr mussten andere Töpfe gefunden werden, auch die Frankfurter Volksbank sprang ein. „Wir müssen uns 2016 neue Sponsoren suchen“, sagt Gerecht. Auch im Unterricht soll das Thema aktuell bleiben. Siebtklässler lernen die Effekte von Alkohol.