SPD will sich modern aufstellen
Sie sind schon lange, wenn auch einer mit Unterbrechungen, in der Bad Vilbeler Politik vertreten. Dennoch denken der bisherige SPD-Vorsitzende Rainer Fich und sein Nachfolger Horst Seißinger ganz realistisch, was die Anforderungen an eine moderne Partei angeht. Sie wollen sich lösen von verkrusteten Strukturen, die Menschen dort abholen, wo sie sich befinden.
Die lokalen Themen, die wollen Rainer Fich und Horst Seißinger ihrer Fraktion überlassen, auch wenn der scheidende und der neue Vorsitzende der SPD Bad Vilbel dazu durchaus eine Meinung haben. Ihnen geht es darum, die großen Themen zu bearbeiten und die Menschen wieder für politische Arbeit zu interessieren. Im Gespräch in der FNP-Redaktion sprechen sie über einen derzeit starken Mitgliederzuwachs und machen dies nicht nur am Schulz-Effekt fest.
188 Mitglieder hat die SPD Bad Vilbel derzeit, 25 mehr als zu Beginn des vergangenen Jahres. „Die meisten kamen schon, nachdem Martin Schulz seine Kanzlerkanidatur erklärt hat“, sagt Rainer Fich, der aus gesundheitlichen Gründen einen Schritt zurück treten will. Doch sei Schulz nicht der alleinige Grund für ein wachsendes Interesse an den Parteien der Mitte. „Auch die Wahlen in Ostdeutschland mit hohen Zahlen für die AfD haben dazu geführt. Und nicht zuletzt die Wahl von Donald Trump zum US-Präsidenten“, ist Horst Seißinger überzeugt. Seit vergangenem Monat ist er neuer Chef der Vilbeler SPD.
Seißinger war bereits früher bei der SPD engagiert, saß in den 90er-Jahren im Bad Vilbeler Stadtparlament. Für das Unternehmen Airbus, wo er für die Absatzfinanzierung zuständig war, ging er dann aber für zwei Jahre nach Frankreich, legte seine politischen Ämter wieder. Nach einer Zeit bei der Kreditanstalt für Wiederaufbau befindet sich der 60-Jährige jetzt im Vorruhestand. Und widmet sich auch deswegen wieder der lokalen Politik.
Leute für Themen begeistern
Das allerdings ging nicht von jetzt auf gleich. Rainer Fich, der seit Jahrzehnten chronisch krank ist, betrieb deswegen einen Rückzug auf Raten. Zunächst zog er sich aus dem Bürgermeisterwahlkampf im vergangenen Frühjahr zurück. Das bedauert er, die Wähler hätten bei der SPD niemanden gefunden, an dem sie sich hätten orientieren können. Den Vorsitz aber immerhin wollte er noch machen, bis jemand geeignetes gefunden sei, keinesfalls aber noch die beiden Jahre, die turnusgemäß vorgesehen waren.
„Man kann sich nicht einfach jemanden ausdenken für diesen Job. Die Oppositionsarbeit in der größten Stadt des Wetteraukreises ist nicht gerade einfach“, sagt Fich. Deswegen habe man behutsam überlegt, wer die nötige ständige Präsenz zeigen könnte. Seißinger stieg im vergangenen Jahr als zweiter Vorsitzender wieder ein, bis er sich aber bereiterklärte, ganz an die Spitze zu gehen, bedurfte es noch einiger Gespräche und mehrerer Monate. Seißinger soll diese Präsenz zeigen.
Das verlangt er aber nicht von allen Mitgliedern, hier sind seine Ansätze ganz modern: „Die Menschen haben Jobs, bauen Häuser, gründen Familien. Da bleibt für ehrenamtliche Politik wenig Zeit“, ist er überzeugt. Mit Haut und Haaren dabei zu sein, werde nicht mehr funktionieren. „Wir müssen fragen, welche Kapazitäten uns Mitglieder zur Verfügung stellen wollen“, sagt er. Und er will auch verstärkt auf die Interessen der Menschen eingehen. Seißinger nennt ein Beispiel: „Auf uns kam jemand zu, der sich stark für Sicherheitspolitik interessiert, aber kein Mitglied ist. Ich konnte ihm einen Platz bei einem Vortrag einer Koryphäe auf diesem Gebiet vermitteln.“ Mitglied sei der Begünstigte noch immer nicht, aber das politische Interesse sei weiter gestiegen.
Gremienarbeit sei nicht für jeden etwas. „Bei Haushaltsberatungen merkt man plötzlich, dass man an vier Abenden pro Woche nicht zu Hause ist. Bei den vorhandenen enormen Arbeitsbelastungen verzweifeln manche Menschen daran.“ Auch zu den Wahlzeiten einfach Plakate kleben sei nicht mit jedem zu machen. „Wir müssen die Menschen dort abholen, wo sie sind, sie nicht mit alten Strukturen überziehen“, ist auch Fich überzeugt. Und er erzählt von einem Interessierten, der politische Straßenmusik machen wollte. Soll er tun, wenn dies sein Ding ist, sagte sich Fich.
Man müsse zwischen den lokal Aktiven in Parlament, Ausschüssen und Beiräten und dem Ortsverein unterscheiden. „Natürlich können wir uns auch im Verein etwa darüber unterhalten, ob Bad Vilbel so viele neue Hotels braucht. Doch ist es vielmehr die Aufgabe der Partei, über die großen Themen Informationen zu geben und Diskussionen anzustreben. So etwa zum Thema Rechtspopulismus, den Geschehnissen in der Türkei oder in den USA. Dazu wollen wir in Zukunft auch noch mehr Veranstaltungen anbieten“, sagt Seißinger. Die sollen so ausgerichtet sein, dass die Leute auch wiederkommen.
Dazu gehört für Seißinger aber auch der gegenseitige Respekt. „Es ist nicht immer einfach in Bad Vilbel“, sagen Fich und Seißinger und beziehen sich auf parlamentarische Sitzungen, die emotionale Wellen schlagen. Die etablierten Parteien müssten sich hier besinnen, den fairen Dialog suchen, der von gegenseitigem Respekt geprägt sei.
Auf mehr Schultern verteilen
Dass der Bedarf nach politischer Orientierung da sei, zeigte sich an einem jüngsten Coup, den die Bad Vilbeler SPD landete. Jannis Ahäuser, Sohn des früheren Gronauer SPD-Ortsbeiratsmitglieds Jürgen Ahäuser, sprach mit Fich darüber, eine Arbeitsgemeinschaft Jungsozialisten (Juso) ins Leben zu rufen. „Da habe ich zugegriffen“, freut sich Fich über dieses Engagement. Inzwischen träfen sich sechs junge Leute regelmäßig, drei weitere hätten schon Interesse bekundet. „Und das in einer Zeit, in der politische Jugendorganisationen eher aufgelöst werden.“
Fich hingegen hat sich nun von den meisten E-Mail-Verteilern der SPD herunternehmen lassen. „Da merkt man erst einmal, wie viel Energie mich das die letzten 30 Jahre gekostet hat.“ Fich war nicht nur in Bad Vilbel politisch aktiv, sondern zuvor auch in seiner eigentlichen Heimat Wöllstadt.
Diese E-Mail-Flut kommt nun auf Seißinger zu. Auch hier will der neue Vorsitzende für einen ruhigeren Umgang sorgen. „Es muss nicht sein, dass ein Thema schon in 30 Mails behandelt wurde, bevor es überhaupt in der folgenden Sitzung diskutiert wird. Das Medium Mail ist dafür auch völlig ungeeignet. Video und Telefonkonferenzen sind besser.“ Seißinger will die anstehenden Aufgaben auf mehr Schultern verteilen, fordert Eigenverantwortlichkeit. „Es muss nicht sein, dass jedes Vorstandsmitglied seinen Senf dazugibt, wenn wir eine einfache Pressemitteilungen herausgeben wollen. Das geht einfacher“, ist er überzeugt.
Und eine dieser Schultern ist dann doch wieder Fich. „Ich werde mich auch weiterhin um die Betreuung neuer Mitglieder kümmern“, verspricht er seinem neuen Vorsitzenden.