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Brücken bauen und Familien unterstützen

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Manuela Selberdinger hat mit ihrem neuen Job »ihre Berufung« gefunden. © PATRICK EICKHOFF

Seit einer Woche ist Manuela Selberdinger die neue Geschäftsführerin von »Philip Julius«. Der Verein aus Bad Vilbel unterstützt Familien mit mehrfach schwerstbehinderten Kindern. Im Interview spricht die 39-Jährige über ihre Ziele und Pläne, das Programm für dieses Jahr und was die Arbeit des Vereins ausmacht.

Bad Vilbel. Philip Julius aus Bad Vilbel unterstützt Familien mit schwerstbehinderten Kindern. Diese Familien sind durch die häufig sehr komplexen Bedürfnisse ihrer Kinder hoch belastet. Der Verein berät rund um das Thema Pflege, bietet Austauschformate, Entlastungsangebote, Info-Abende und Auszeiten für Mütter, Väter und Geschwister. Die neue Geschäftsführerin Manuela Selberdinger plant das Angebot mittelfristig weiter auszubauen.

Frau Selberdinger, Sie sind seit einer Woche die neue Geschäftsführerin von Philip Julius. Wie waren die ersten Tage?

Aufregend. Ich bin voller Tatendrang und bereits seit einigen Wochen eingebunden - ein fliegender Start, wenn man so will. Ich denke, ich konnte mir bereits einen guten Überblick über die Aufgaben und Prioritäten der nächsten Zeit verschaffen. Besonders freue ich mich, dass es nun ganz offiziell losgeht und ich den Verein nun auch nach außen repräsentieren darf.

Sie sind selbst Mutter eines schwerbehinderten Sohnes (siehe Info-Kasten). Wie lange kennen Sie den Verein?

Schon seit einer ganzen Weile. Als klar wurde, dass der Jüngste unserer drei Söhne ein besonderes Kind ist, hat mein Mann relativ schnell Kontakt zu Philip Julius aufgenommen. Wir wurden herzlich aufgenommen und waren für die diversen Angebote sehr dankbar. Zwischenzeitlich haben wir etliche Gleichgesinnte hier kennengelernt und Freundschaften knüpfen können.

Jetzt führen Sie den Verein als Geschäftsführerin. Was steht für Sie in den ersten Wochen an?

Ich habe mich viel eingelesen, lange mit den Gründern Katrin und Jörg Eigendorf und vor allem auch den Mitarbeitern gesprochen. In den kommenden Wochen werde ich an bestehende Kontakte anknüpfen, das Netzwerk kennenlernen und in den persönlichen Austausch mit unseren treuen Spendern gehen. Die Projekt-Planung für dieses Jahr steht größtenteils schon, jetzt geht es um die Details.

Was steht denn 2023 alles an?

Einiges. Zunächst einmal feiert unser Verein dieses Jahr einen wichtigen Geburtstag, denn wir werden zehn Jahre alt. Im Spätsommer soll es aus diesem Anlass ein Festwochenende geben. Wir wollen im Andenken an Philip Julius einen Gottesdienst abhalten. Neben diesem besonderen Anlass finden unsere bewährten Angebote statt. Außerdem planen wir eine einwöchige Atempause für unsere Familien im Herbst - dieses Urlaubsangebot ist uns besonders wichtig. Wir werden sicher auch noch mehr über unsere Arbeit berichten und so unsere Bekanntheit erhöhen, um noch mehr Familien unterstützen zu können. Der Bedarf ist groß.

Die tägliche Arbeit wird dennoch weitergehen. Philip Julius hat sich gerade in der Corona-Pandemie digital zu einem deutschlandweiten Ansprechpartner für Familien entwickelt. Wie soll es mit der Entwicklung weitergehen?

Die Beratungsstelle ist und bleibt das Herzstück des Vereins. Uns ist wichtig für die Familien da zu sein und ihnen bei Fragestellungen im Alltag zur Seite zu stehen und bestmöglich zu unterstützen. Neben dem Urlaub mit schwerstbehinderten Kindern ist auch die Arbeit mit den Geschwisterkindern ein Schwerpunktthema.

Was bedeutet das?

Wir haben dort bisher die kleineren Kinder abgedeckt von sechs bis zwölf Jahren. Beispielsweise machen wir Ausflüge in Zoos oder Museen oder basteln mit den Kindern. Viele Geschwister begleiten wir schon sehr lange, sie sind dem Format mittlerweile entwachsen. Wir werden jetzt auch daran arbeiten, Angebote für Jugendliche von zwölf bis 17 zu schaffen. Wir starten mit einem langen Wochenende im Schwarzwald.

Sie haben auch Urlaube angesprochen. Wie meinen Sie das?

INFO INFO: Zur Person Gegründet 2013

Manuela Selberdinger ist im Saarland aufgewachsen und studierte Betriebswirtschaft in Trier. Die heute 39-jährige arbeitet zunächst als Projektmanagerin in einer Werbeagentur. Ein Wechsel in die Consulting Branche sorgt für einen Umzug nach Genf. Später geht’s aus der Schweiz wieder zurück nach Frankfurt.

Die Wahl-Vilbelerin bringt über zehn Jahre Erfahrung im Bereich Marketing und Projektführung mit. Sie hat drei Söhne im Grundschul- und Kindergartenalter. »Bei unserem jüngsten Sohn ist uns im ersten Jahr aufgefallen, dass etwas nicht stimmt«, sagt sie.

»Es stellt sich heraus, dass er schwerstbehindert ist.« Nach der Diagnose kämpfte die Familie mit den besonderen Herausforderungen, die das Leben mit einem schwerbehinderten Kind mit sich bringen. »Philip Julius war für uns immer eine Anlaufstelle mit Herz. Deshalb freue ich mich umso mehr, nun ein Teil davon zu sein.« wpa

Der Namensgeber des Vereins »Philip Julius« wurde 1994 mit einem schweren Krampfleiden geboren und war schwerst mehrfachbehindert. Seine Eltern Katrin und Jörg Eigendorf gründeten den Verein zwei Jahre nach dem Tod ihres Sohnes gemeinsam mit Menschen, die ihn betreut, gepflegt und sein Leben begleitet haben. Dieses Jahr wird der Philip Julius e. V. 10 Jahre alt.

Infos unter https://philip-julius. de/. Dort gibt es auch die Hinweise zum Spendenkonto und den Aktionen des Vereins. wpa

Mit unserer »Atempause« bieten wir einmal im Jahr eine Ferienfreizeit für Familien mit mehrfach schwerstbehinderten Kindern an. Aufgrund der hohen Nachfrage möchten wir dieses Angebot ausweiten. Zusätzlich werden wir unser Netzwerk erweitern, um Familien bei der Urlaubssuche noch besser zu unterstützen.

Wie meinen Sie das?

Reisen mit einem schwerbehinderten Kind erfordert sehr individuelle Lösungen. Es braucht beispielsweise rollstuhlgerechte Zugänge, Pflegebetten oder andere Hilfsmittel. Pflegepersonal oder andere Betreuungsmöglichkeiten sowie ein erreichbarer Arzt oder Krankenhaus sind Grundvoraussetzungen. Die Familien haben im Alltag kaum Zeit - häufig muss die Urlaubsplanung hinten anstehen. Aber gerade sie brauchen Zeit zum Durchschnaufen. Auf unserer Webseite gibt es bereits eine eigene Rubrik zum Thema Urlaub.

Wie sieht ihr Job dabei aus? Sind sie dauerhaft in der Geschäftsstelle?

Unsere Geschäftsstelle ist jeden Tag besetzt. Gleichzeitig bin ich sehr glücklich darüber, dass mir ermöglicht wird meine Arbeitszeit unserer persönlichen Situation flexibel einzuteilen. Mir kommt die Arbeit zu Randzeiten oder am Wochenende entgegen, wenn mein Mann die Betreuung der Kinder übernehmen kann.

Was ist für Sie in Ihrer Arbeit besonders wichtig?

Wir haben ein super Team mit ganz vielen tollen Ehrenamtlern, Mitarbeitern und langjährigen Unterstützern, ohne die die Arbeit des Vereins nicht möglich wäre. Gegenseitige Wertschätzung, Gestaltungsspielraum und das Gefühl, etwas sinnstiftendes zu tun ist mir wichtig.

Nach drei Jahren der Förderung endete die Finanzierung der Aktion Mensch. Was bedeutet das für den Verein?

Die Aktion Mensch bleibt weiterhin wichtiger Unterstützer des Vereins. Die Anstoßfinanzierung für den Aufbau der Beratungsstelle war von vornherein auf drei Jahre begrenzt und endete im Oktober letzten Jahres. Wir sind für die geleistete Unterstützung sehr dankbar. Das hat es uns ermöglicht, unser Büro aufzubauen, Mitarbeiter fest einzustellen und das Beratungsangebot zu etablieren. Jetzt müssen wir uns um die Weiterfinanzierung kümmern.

Wie wollen Sie das angehen?

Die Beratungsstelle wird spendenfinanziert weitergeführt. Jetzt sind wir mehr denn je auf die Unterstützung von Privatpersonen, Unternehmen und Stiftungen angewiesen. Wir planen gezielte Spendenkampagnen, um noch mehr Förderer zu gewinnen.

Haben Sie Ihre Berufung gefunden?

Ich würde sagen, Ja. Jeder fragt sich bei Erhalt der Diagnose »warum wir?«. Als Betroffene kenne ich die Herausforderungen - das kommt mir bei meiner Arbeit jetzt zugute. Wir bauen Brücken und zeigen den Familien, dass sie nicht alleine sind.

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