1. Startseite
  2. Region
  3. Wetteraukreis
  4. Bad Vilbel

»Ein Patient auf der Intensivstation«

Kommentare

pku_bv_Podiumsdiskussion_4c_2
Die Teilnehmer der Podiumsdiskussion zur Zukunft des Waldes hören sich Mark Harthuns (2. v. r.) Vortrag an (v. l.): Moderator Christof Strohkark, Dr. Tina Baumann, Klaus Borger, Prof. Rainer Luick und Jörg Nitsch. © Jürgen W. Niehoff

Wie sieht die Zukunft der Wälder in Deutschland aus und wie können die Menschen zur Erhaltung der Waldgebiete beitragen? Diese Fragen wollten Forstfachleute des NABU, BUND und des Arbeitskreises Bad Vilbeler Wald am Mittwochabend auf einer Podiumsdiskussion beantworten. Die Experten sind sich einig: Der aktuelle Weg ist nicht der richtige.

D eutschland ist das waldreichste Land Mitteleuropas. Aktuell sind rund 11,4 Millionen Hektar mit Wald bedeckt. Doch dieser Wald leidet unter den Folgen des Klimawandels. Darüber haben die Ortsverbände von NABU, BUND und der Arbeitskreis Bad Vilbeler Wald am Mittwochabend diskutiert.

Über 100 Bürger waren der Einladung der Bad Vilbeler Umweltgruppen ins Dortelweiler Kulturforum gefolgt. Auf die Idee, die Zukunft des Waldes mit Bürgern diskutieren zu wollen, sei die Bad Vilbeler NABU-Ortsgruppe nach Worten ihrer Sprecherin Karin Schmidt vor zwei Jahren angesichts des selbst für Laien weithin erkennbaren Rückgangs der Waldbestände gekommen.

Walderhaltung vor Waldnutzung

Am Mittwoch diskutierten Dr. Tina Baumann, Leiterin Stadtforst Frankfurt, Klaus Borger, Forstbetriebsgemeinschaft Saar-Hochland, Mark Harthun, stellvertretender Geschäftsführer des NABU-Hessen, Professor Rainer Luick, Hochschule Rottenburg, und Jörg Nitsch, Landesvorsitzender des BUND-Hessen und des Bundesverbands Arbeitskreis Wald. Als Moderator fungierte Diplom-Agraringenieur Christof Strohkark auf der Bühne. Die Veranstaltung begann zunächst mit einem Impulsvortrag von Mark Harthun von NABU Hessen. Er erläuterte anhand von zehn Kriterien die momentan schwierige Situation des Waldes. Heutzutage sei er für vieles zuständig, darunter Holzgewinnung, Erholungsgebiete, Raum für Windräder, CO2-Speicher und Klimaschutz. Damit sei der Wald seiner Meinung nach eindeutig überfordert. Es müssten also Prioritäten gesetzt werden. Harthun forderte deshalb eine Neuausrichtung des Waldes. Walderhaltung vor Waldnutzung, Naturverjüngung statt schneller Aufforstung, mehr Artenvielfalt im Wald und vor allem keine Kapitulation vor dem Klimawandel.

Deshalb müsse der Schutz des Waldes vor dessen Umbau oder Neuausrichtung gestellt werden. In der anschließenden Fragerunde waren sich alle Podiumsteilnehmer darin einig, dass der aktuelle Weg das Aus für den Wald bedeute. Nutzfunktion, Erholungsfläche und Schutzfunktion für Natur und Wasser seien gleichzeitig nicht möglich. Als vor rund 300 Jahren die Wälder in Deutschland weitgehend abgeholzt und zu Brennholz verarbeitet waren, musste ein Neuanfang her. »Dabei hat der Mensch die Natur aber sich nicht selbst überlassen, die dann alleine für Vielfalt in den neuen Wäldern gesorgt hätte, sondern hat mit der Anpflanzung von Nutzhölzern die Richtung vorgegeben«, sagte Borger. Heute seien deshalb nur noch zwei Prozent des Waldes (in Hessen fünf Prozent) naturnah. Zur Erinnerung: Auf dem Weltnaturgipfel 2022 in Montreal wurde vereinbart, dass bis zum Jahr 2030 30 Prozent der Landfläche und 30 Prozent der Meere unter Schutz gestellt und damit aus der Nutzung genommen sein sollen.

Luick verglich den Wald sogar mit einem Patienten auf der Intensivstation, der um sein Leben ringe und dort noch lange verweilen müsse. Auch danach brauche er noch Zeit für die normale Station und einen Reha-Aufenthalt. »Doch wir nutzen den Wald heute schon, als sei er kerngesund«, sagte Luick. Das Fazit der fünf Fachleute auf dem Podium lautete daher übereinstimmend: »Überlasst zumindest einen Teil des Waldes sich selbst. Er wird dann von sich aus für Vielfalt und eine stabile Zukunft sorgen.«

Wenn die Fachleute auch im Ziel einig waren, so gab es auf dem Weg dahin doch einen Unterschied. So will beispielsweise Baumann kein Totholz in ihren Wäldern akzeptieren, weil es »Unterkunft für Schädlinge« biete.

Die anderen lehnten diesen Standpunkt ab, da Totholz keine Nahrung mehr biete sondern nur noch Unterschlupf.

Danach herrschte aber wieder Einigkeit, vor allem auch in der Forderung an die Politik, den Wald endlich als schützenswertes Ökosystem zu betrachten und nicht als Holzlieferanten. Hier setzten auch die Fragen der Bürger ein. »Was soll man unternehmen, wenn die Politik solche Förderungen übergeht?« oder »Was hindert Frankfurt oder Bad Vilbel, 30 Prozent ihres Waldes unter Schutz zu stellen?« Ein anderer Bürger fragte nach dem Schutz des Wassers im Wald, eine junge Frau, warum die Jugend dazu nie gefragt würde. Die Antworten gingen stets in dieselbe Richtung: »Das letzte Wort dazu hat die Politik. Am Ende entscheidet sie und deshalb muss auch auf sie mehr Druck ausgeübt werden«.

Schließlich seien in Deutschland nur 50 Prozent des Waldes in Privatbesitz. Der Rest teile sich auf Staat und Kommunen auf. Gut zweieinhalb Stunden hat die Veranstaltung gedauert und trotzdem blieben am Ende noch viele Fragen offen. Beispielsweise: »Was kann ich als einzelne Bürgerin tun? Wie kann ich Druck auf die Politik ausüben?«, fragte eine Besucherin am Ende wenig zuversichtlich.

Auch interessant

Kommentare