Gedenken an eine grausame Nacht

Zum 84. Mal haben sich in diesem Jahr die schrecklichen Ereignisse der Pogromnacht von 1938 gejährt. Auch in Bad Vilbel gab es am 10. November 1938 Übergriffe auf die jüdische Bevölkerung und deren Eigentum. Bei einer Gedenkveranstaltung am Donnerstagabend wurde jetzt den Opfern gedacht.
E s ist ein schreckliches Bild, das Vered Rosa Zur, Vorsitzende der jüdischen Gemeinde Bad Vilbel am Donnerstagabend zeichnet. »Da bleiben einem die Worte im Halse stecken«, sagt sie. »Heute vor 84 Jahren wurden sechs Millionen Menschen verfolgt, missbraucht, verschleppt - auch in Bad Vilbel.« Sie blickt zurück auf den 10. November 1938, »als der organisierte Mob durch die Stadt zog«. Vered Rosa Zur kämpft während ihrer Rede immer wieder mit den Tränen. Sie blickt auf die leuchtenden Kerzen am Gedenkstein hinter ihr. »Die Barbaren versammelten sich und zogen durch die Stadt. 20 von ihnen drangen in die Synagoge in der Frankfurter Straße ein, zerstörten die Einrichtung und griffen die Juden an.«
Es ist eine betroffene Stille, die trotz des starken Autoverkehrs direkt neben dem Alten Rathaus Einzug erhält, wenn die Vorsitzende der jüdischen Gemeinde spricht. Sie blickt auf die heutige Zeit. Diskriminierung sei immer noch ein dominantes Thema. »Es gibt Aussagen wie ›die Judenkarte ausspielen‹. Das ist nicht in Ordnung.« Man dürfe das nicht auf die leichte Schulter nehmen. »Kein Mensch darf für mich entscheiden, ob ich mich angegriffen fühle.« Es dürfe keine Toleranz für Antisemitismus geben. »Jüdisches Leben gehört zur Stadt dazu.« Deshalb sei es wichtig, dass im Zuge der Bauarbeiten in der Frankfurter Straße auch ein Stein, dort wo die Synagoge war, errichtet werde. Denn: »Das Vergessen ist eine latente Gefahr.«
Aktive Begegnung mit dem Judentum
Anschließend blickt Bürgermeister Sebastian Wysocki auf die Geschehnisse von damals. »Dank der Recherchen und der Aufarbeitung von Berta Ritscher können wir uns heute ein ungefähres Bild von dem damaligen Geschehen machen.« Nachzulesen sei dies in einem Werk der Autorin, das unter Mitarbeit der jüdischen Gemeinde Bad Vilbel und Mitwirkung des Bad Vilbeler Vereins für Geschichte und Heimatpflege sowie mit Unterstützung der Stadt im Jahre 1998 unter dem Titel »Geschichte der Vilbeler Juden« veröffentlicht wurde. »Dort heißt es unter anderem von einem Augenzeugen, dass er am Nachmittag des 10. November 1938 plötzlich mehr als gewöhnlich Stimmen und Lärm auf der Frankfurter Straße hörte. Er rannte zusammen mit einem Schulkameraden zum Hoftor und sah eine größere Menschenmenge, ›die sich in Richtung Rathaus bewegte.‹ Sie liefen dann einem Getöse nach, das beim Haus der ›Siegfried-Quelle‹ zu hören war. Dort sahen sie einen Menschenauflauf. Als sie näher kamen, ›beobachteten sie eine Horde Zivilisten, die das hölzerne Firmenschild auf der Mauer neben der Toreinfahrt zerschlugen. Andere warfen Teile der Büroeinrichtung aus den Türen und Fenstern. Es gab mehrere solcher Übergriffe entlang der Frankfurter Straße bis hin zum Wasserweg‹.«
Man rufe sich deshalb heute das Leid und das Unrecht ins Bewusstsein und trauere um die Opfer, sagt Wysocki. Der Bürgermeister blickt allerdings nicht nur zurück: »Es bleibt unsere Aufgabe auch in heutiger Zeit, aus der Erinnerung immer wieder lebendige Zukunft werden zu lassen. Die Erinnerung gibt uns Kraft, weil sie Irrwege vermeiden hilft, und gibt uns Orientierung auch für künftige Generationen.«
Es folgt das Gebet mit Shlomo Raskin, einem Rabbiner der jüdischen Gemeinde Frankfurt. Doch bevor er zum Gebet aufruft, brennt ihm etwas auf der Seele. Das Judentum gehöre zu Bad Vilbel. »Aber ich lese davon kein einziges Wort in Wikipedia. 300 bis 400 Jahre jüdisches Leben sind nicht präsent.« In anderen Städten wie Frankfurt oder Fulda gebe es Unterpunkte »zum jüdischen Leben«. Er richtet den Blick an den Bürgermeister. »Das muss sich ändern.« Vor 84 Jahren sei vieles zerstört werden. »Unter anderem fünf Thora-Rollen. Eine zu schreiben dauert mindestens drei Jahre und kostet mindestens 40 000 Euro.« Der Rabbiner machte deutlich, dass es viel mehr aktive Begegnung mit dem Judentum brauche. Fahrten zu Gedenkstätten seien richtig, aber es dürfe nicht immer nur um die Vergangenheit gehen.
»Es ist so einfach. Schüler, Studenten, Sportvereine. Wir können alle dafür Sorgen, dass es viel mehr Kontakt zwischen Juden und uns gibt.« Mit einem Gebet endet die Rede des Rabbiners.
