Hommage an Sprache und Wort

Bad Vilbel (im). »Aufregung, Begegnung, Freizeit, Probleme«, steht auf den weißen Kartons, die sich auf der Bühne zu Mauern, Kreuzen, Bibliothekstischen und Podesten zusammensetzen lassen. »Zicken, Stress, Streit, Wut, Angst, Urlaub, Reiten, Träume. Die junge Generation, Liebeskummer, Mitspracherecht.« Wichtige Begriffe, die beim Zuschauer auf Anhieb eine Menge Assoziationen wecken.
Das Bühnenbild ist ebenso ein Werk der jungen Theatergruppe wie das Bühnenstück selbst: Am Donnerstagabend feierte die Kinder- und Jugendtheatergruppe der Bad Vilbeler Burgfestspiele mit »Diary - Ready? - Go!« Doppelpremiere im Kultur- und Sportforum Dortelweil.
»Eine Wiederholung wird es allerdings nicht geben«, erläutert Theaterpädagogin Regina Fichtner-Haben, die das Stück gemeinsam mit den zehn jungen Akteurinnen und Akteuren im Alter zwischen elf und 14 Jahren erarbeitet hat. »Für viele war es der erste Kontakt mit dem Genre Theater überhaupt, die beiden Aufführungen vor Eltern, Geschwistern und Freunden sind für sie schon aufregend genug und vorerst die Krönung des Projektes«, sagt die gebürtige Mainzerin. Sie hat in Hamburg ihren Master in Performance Studies abgelegt und danach lange in England gelebt, bevor es sie wieder ins Rhein-Main-Gebiet zog.
Drei Monate lang hat ihre junge Gruppe an dem halbstündigen Theaterstück gearbeitet, einmal pro Woche für zwei Stunden in der Alten Mühle als dem Standort der »Theaterschule Junge Burg« geprobt. Die Schule und ihre Theaterprojekte werden vom Förderverein Burgfestspiele unterstützt, auch eine ältere Gruppe der 14- bis 18-Jährigen wird angeboten. »Den Arbeitstitel ›Diary - Ready? - Go!« habe ich vorgegeben, das Stück selbst haben die Kinder und Jugendlichen sich in Form von Improvisationen erarbeitet«, erläutert Regina Fichtner-Haben, die in ihrer Arbeit von Till Helfrich und Philipp Thon von der Technik der Burgfestspiele und von Franziska Neuleben unterstützt wird, die bei den Burgfestspielen ihr Freiwilliges Soziales Jahr absolviert. Das Kultur- und Sportforum wird vor Ort durch Carsten Zscherp repräsentiert.
»Diary - Tagebuch, das mag retro klingen, kam bei der Gruppe aber sofort gut an«, berichtet Fichtner-Haben. »Die Jugendlichen assoziierten damit schützenswerte persönliche Geheimnisse, Träume, Ängste, Liebeskummer, Schulprobleme und vieles andere, was man nur mit guten Freunden oder eben mit einem Tagebuch teilen möchte.«
Grundlage für die Rollenfindung der Einzelnen und das Teambuilding waren gruppendynamische und vertrauensbildende Spiele, das Herantasten an Emotionen und Handlungsstränge durch die Konstruktion eines eigenen Avatar, einer Art schauspielerischer Kunstfigur für die Bühne, die nach und nach mit Leben gefüllt wird.
Jugendsprache trifft Shakespeare
So entstanden die Figuren der Lesenden in der Bibliothek, der jungen Menschen, die in ihr Tagebuch schreiben und dessen verletzlichen Inhalt beschützen - oder auch großzügig einzelne Worte weiterverschenken, auf Papier niedergeschrieben, irgendwo versteckt in der Hoffnung, dass jemand das Wort findet und nicht darüber spottet, sondern sich freut.
Mike und Mia lernen einander in der Bibliothek kennen, mit den Blicken und Büchern wechseln zarte Botschaften zwischen ihnen hin und her. Tagebücher werden entrissen, weggeworfen und wiedergefunden. In einer Szene bilden alle Akteure einen Kreis - jeder Junge, jedes Mädchen darf seinen speziellen Move zeigen, alle bekommen verdienten Applaus. Die Wortkästen werden umgruppiert, geöffnet, umgedreht - und enthüllen gemalte menschliche Gesichter auf der Rückseite. Jugendsprache wird mit Shakespeare kombiniert, Sprache mit Musik und Tanz. Das Ganze wirkt wie im Fluss und im Aufbruch befindlich, so jung, fragil, suchend und gleichzeitig stark und selbstbewusst wie die Jugend selbst.
Mit »Diary - Ready? - Go!« hat die Kinder- und Jugendtheatergruppe der Burgfestspiele ein Kurzstück geschaffen, das durchaus ein größeres Publikum verdient hätte, zugleich eine Hommage an die Sprache und das Wort, das Lesen und Mitteilen, die Kreativität und ihre Hemmnisse, das Abgrenzen, Bewahren und Beschützen von Gefühlen und Gedanken, die noch nicht ganz in die Realität finden möchten.
