1. Startseite
  2. Region
  3. Wetteraukreis

Bedrohliche Engpässe: Apotheker beklagen Lieferprobleme bei Arzneimitteln

Erstellt:

Von: Christoph Agel

Kommentare

agl_apotheke_FB1_221122_4c_1
Der Friedberger Apotheker Bernd Ulrich hat zwar noch so einiges im Medikamentenlager, aber bei zahlreichen Arzneimitteln hat auch er mit Engpässen zu kämpfen. © Nicole Merz

Wer derzeit in der Apotheke nach einem Medikament fragt, kann großes Pech haben. Denn viele Arzneimittel sind nicht vorrätig und werden - zumindest erst mal - auch nicht geliefert.

Standard-Impfungen für Babys und Kleinkinder, Schmerzmittel, Antiepileptika, Insuline, Blutdruckmedikamente, Antibiotika, Fiebersäfte für Kinder, Cholesterinsenker, Nasentropfen und Tabletten gegen Halsschmerzen - die Liste von Arzneimitteln, die nicht oder deutlich eingeschränkt an Apotheken geliefert werden, ist lang und hier nicht vollständig.

Der Mangel kann gefährlich werden. Zum Beispiel, wenn Tamoxifen fehlt. Das Mittel soll verhindern, dass Brustkrebs zurückkommt. Monatelang konnte es nicht geliefert werden, sagt Dr. Dirk Hildebrand von der Bad Nauheimer Kur-Apotheke.

Vorwurf Richtung Krankenkassen

Auch Menschen mit angeborener Immunschwäche seien von Lieferproblemen betroffen. Weil ihr Abwehrsystem nicht richtig funktioniere, seien sie auf Präparate mit bestimmten Antikörpern - Immunglobuline - angewiesen.

»Der in Deutschland letzte verbliebene Hersteller dieser Präparate hat den Verkauf seines Medikaments Cutaquig mit der Begründung eingestellt, die Produktionskosten seien mittlerweile höher als die von den Krankenkassen gezahlten Preise«, sagt Hildebrand. »Patienten und Patientinnen drohen ohne das Medikament gehäufte und schwere Infekte.«

Damit ist er bei einem Thema, das auch seinen Kollegen Bernd Ulrich, Inhaber der Liebig-Apotheke in Friedberg, verärgert. Er wirft den Krankenkassen vor, durch Rabattverträge enormen Druck auf Medikamentenhersteller auszuüben.

Verschreibungspflichtige Medikamente sind preisgebunden. Die Einnahmen bleiben also je Produkt gleich, die Ausgaben steigen in Anbetracht der höheren Energiekosten bei der Herstellung.

Mangel an Alternativen

Jörg Schneider von der Stadtapotheke in Büdingen bereitet die Medikamentenverknappung ebenfalls große Sorgen - beispielsweise bei Fiebermitteln wie Säften oder Zäpfchen für Kinder, die noch keine Tabletten schlucken können. »Da mangelt es an Alternativen«, sagt der Apotheker.

Ein weiterer Punkt sei die gegenüber den beiden vergangenen Jahren stärkere Erkältungswelle nicht zuletzt durch die fehlende Maskenpflicht.

Das verknappe Erkältungsmittel, weil die Hersteller sich beispielsweise an dem Bedarf im Vorjahr orientierten, allenfalls noch einen kleinen Puffer drauflegten. Die Hersteller klagten auch, dass sie wegen steigender Energiekosten nicht mehr zu dem Preis produzieren könnten, den die Krankenkassen zahlten.

Außerdem hat die Pandemie Nachteile globaler Lieferketten aufgezeigt. Ulrich und Hildebrand verweisen darauf, dass China der größte Rohstofflieferant und Indien der bedeutendste Arzneimittel-Exporteur seien. Bleibt in China ein Schiff im Hafen, kann es sein, dass der Apotheken-Kunde in Friedberg und Bad Nauheim unverrichteter Dinge nach Hause gehen muss. Wobei es in vielen Fällen Alternativen zum anvisierten Medikament gibt (siehe Info-Kasten).

Lieferengpässe sind stetig steigendes Problem

Dass es bei rezeptpflichtigen Medikamenten zu Verzögerungen komme, sei schon länger bekannt, sagt Hildebrand. Neu sei der Mangel an frei verkäuflichen Arzneimitteln wie Aspirin Complex, ACC oder Wick Medinait. »Das zeigt, wie sehr sich die Lage zuspitzt«, sagt Hildebrand und nennt als großes Problem den Mangel an Kinderfiebersäften. »Es ist eine Mangelverwaltung, die wir mittlerweile machen«, sagt Ulrich.

Die Liste der nicht verfügbaren Medikamente verändere sich, man müsse jeden Tag neu schauen, wo es was gebe. »Wir waren mal die Apotheke der Welt in Deutschland«, sagt Ulrich und meint nicht nur die Erfindungen, sondern auch die Produktion.

Lieferengpässe seien »ein gravierendes und stetig steigendes Problem«, beklagt Hildebrand. Gibt es Licht am Ende des Tunnels? »Das sehe ich jetzt ehrlich gesagt nicht.« Der Preisdruck werde noch steigen, deshalb werde es keine Produktionsverlagerung nach Deutschland geben. Selbst wenn doch: Ein solcher Prozess würde mehrere Jahre dauern,

Ein weiterer Faktor seien die Kontingentartikel: Das heißt, dass ein Unternehmen nur eine begrenzte Zahl an Produkten an Großhändler verkaufe, ansonsten den direkten Weg zu Apotheken suche. Dieser direkte Handel dauere länger, sagt Hildebrand.

Und der Hersteller verkaufe lieber im Ausland, weil er da mehr verdienen könne. Solche Freiheiten würden sich Hersteller vor allem dann herausnehmen, wenn das Patent noch nicht abgelaufen sei, es noch keine Generika gebe und der Hersteller somit über die entsprechende Marktmacht verfüge.

Info: Alternativen und der Rat des Apothekers

Wenn man auf der Website des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (bfarm.de) auf Arzneimittel und dann auf Lieferengpässe klickt, bekommt man aufschlussreiche Informationen, und mit wenigen weiteren Klicks landet man bei einer Liste mit Medikamenten, bei denen es Lieferengpässe gibt.

Ist ein Medikament nicht verfügbar, versuchen er und sein Team, Alternativen aufzuzeigen - gerade wenn es um Kinder gehe, sagt Bernd Ulrich von der Friedberger Liebig-Apotheke.

Außerdem würden die Apotheken in der Region Kunden zu einer anderen Apotheke schicken, wenn sie wüssten, dass dort das gewünschte Medikament vorhanden sei. »In den meisten Fällen gibt es Alternativen für die Patienten, es ist aber mit langwierigen Recherchen verbunden«, sagt sein Bad Nauheimer Kollege Dr. Dirk Hildebrand (Kur-Apotheke) über Medikamente, die man dem Kunden geben kann, wenn das eigentlich gewollte erst mal nicht verfügbar ist.

Apotheken können bestimmte Produkte auch selbst herstellen - zum Beispiel Kinderfiebersäfte. Viele Apotheken hätten damit begonnen. »Das ist aber nur ein Tropfen auf den heißen Stein, kann das Problem nicht lösen«, sagt Hildebrand.

Auch seine Kur-Apotheke habe damit begonnen, irgendwann aber habe es die Wirkstoffe nicht mehr gegeben. Apotheken seien fast nur noch am Improvisieren, es gebe viel Bürokratie, dadurch dauere die Rezeptbearbeitung länger. Man müsse die Patienten intensiver beraten - zum Beispiel um Medikationsfehler zu vermeiden, wenn man ein anderes als das sonst gewohnte Arzneimittel einnehme.

Patienten sollten auf den Rat des Apothekers hören, sagt Hildebrand, und nicht auf das eine Medikament warten, obwohl das andere auch in Ordnung wäre. Bis das gewohnte Medikament da sei, könne es eventuell Monate oder Jahre dauern.

Auch interessant

Kommentare