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Bernd Conrad: »Eltern sollten Rechte aktiv einfordern«

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Für Bernd Conrad sind Kreis- und Landeselternbeiräte wichtige Bausteine für eine verlässliche Qualität in der Kinderbetreuung. © Anja Carina Stevens

Seit Juni haben Kita- und Tagespflege-Eltern mit der hessischen Kita-Landeselternvertretung eine neue Stimme in der Landespolitik. Bernd Conrad aus Oberau schildert die Gründe für die Entstehung und die Chancen, die damit verbunden sind.

In Hessen werden laut einer Studie der Bertelsmann-Stiftung bis zum Jahr 2030 25 000 zusätzliche Erzieher benötigt. In Deutschland sind es im selben Zeitraum sogar 230 000. Dieser Mangel wirkt sich bereits jetzt auf die Verfügbarkeit von Kita-Plätzen aus. Zwar gibt es seit 2013 für Kinder ab dem vollendeten ersten Lebensjahr einen Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz. Dennoch kommen längst nicht alle Eltern zum Zug. Als Schritt gegen die von Eltern empfundene Hilf- und Machtlosigkeit wählte die Landeselternversammlung am 30. Juni die erste Kita-Landeselternvertretung in Hessen. Als Delegierter dieser Versammlung aus dem Wetteraukreis spricht Bernd Conrad über Missstände im Kita- und Tagespflege-Betrieb und die Pläne zur Ausweitung des Mitspracherechts von Eltern in der Politik.

Eltern von Schulkindern dürfen in der Politik schon lange mitreden. Welche Gremien gibt es für Kita-Eltern?

Jeder Kindergarten sollte eine Elternvertretung haben, auch wenn das vereinzelt nicht der Fall ist, weil es an Eltern fehlt, die sich ehrenamtlich engagieren wollen. Auf der Ebene der Gemeinden und Landkreise ist eine Vertretung möglich, aber nicht verpflichtend. Die Gemeinde Altenstadt möchte einen Gesamtelternbeirat für alle fünf Kitas und die Tageseltern einrichten. Eine Kreiselternvertretung im Wetteraukreis ist angedacht. In Hessen wurde bislang lediglich im Main-Taunus-Kreis und im Kreis Groß-Gerau eine solche Vertretung beschlossen. Seit dem 30. Juni gibt es eine Landeselternvertretung in Hessen, die von der Landeselternversammlung gewählt wurde, deren Delegierter ich bin. Dort vertrete ich den Wetteraukreis neben meiner Tätigkeit als Elternbeiratsvorsitzender der Kita in Oberau. Schleswig-Holstein hat eine solche bereits seit 30 Jahren. Außerdem gibt es eine Bundeselternvertretung. Sie soll unabhängig von länderspezifischen Vorgaben die Rechte von Eltern und Kindern vertreten.

Sehen Sie Kita-Eltern politisch gut vertreten?

Eltern kleiner Kinder brauchen eine zivilgesellschaftliche und keine parteigebundene Vertretung. In letzterer stehen eher Wahlkampfthemen im Vordergrund. Viele Eltern haben den Eindruck, dass man als Elternvertreter nicht viel bewirken kann. Dieser Ansicht liegt das Gefühl von Machtlosigkeit zu Grunde, wenn das eigene Kind keinen Betreuungsplatz bekommt. Als Elternvertreter treffe ich zwar keine Entscheidungen, aber ich habe ein Anhörungs- und Mitspracherecht. Das erzeugt einen gewissen Nachdruck. Auch gibt es die Möglichkeit, Erziehungsberechtigte zu den zuständigen Ämtern zu begleiten. Eltern sollten sich als relevante Wählergruppe wahrnehmen und aus dieser gefühlten Machtlosigkeit herauskommen.

Was sind Ihre Aufgaben als Delegierter des Wetteraukreises in der Landeselternversammlung?

In Hessen gibt es 33 Jugendamtsbezirke. Diese sind den kreisfreien Städten und den Landkreisen zugeordnet. Für jeden dieser Bezirke ist jeweils ein Delegierter und ein Ersatzdelegierter für die Kitas und die Tagespflege vorgesehen. Ich vertrete den Wetteraukreis. Die Delegierten fungieren als Schnittstelle zwischen der Landesebene und der kommunalen Ebene. Dabei sollen sie sich für die Bildung von kommunalen Elternvertretungen einsetzen. Diese sind wichtig, weil die Landeselternvertretung ansonsten ein Stück weit in der Luft hängt, was Informationen angeht. Relevante Auskünfte gibt es nämlich vorwiegend an der Basis. Es geht um systematische Abfragen, Betreuungszeiten, Schließungen und vieles mehr.

Nun möchten Sie, dass im Wetteraukreis eine Kita-Kreiselternvertretung ins Leben gerufen wird. Was erhoffen Sie sich davon?

Zunächst einmal geht es darum, dass sich Eltern auch auf dieser Ebene einbringen können. Das führt zu einer Vernetzung der unterschiedlichen Kommunikationsstränge aller Ebenen: der Kita-, Gemeinde-, Kreis-, Landes- und Bundesebene. Zudem ist die Aufgabe der Jugendhilfe - wozu auch der Kindergarten gehört - eine Kreisaufgabe. Der Kreis hat einen Jugendhilfeausschuss, in dem zumindest ein Vertreter eines Kreiselternbeirats Mitglied sein sollte. Zuletzt steht auch hier im Fokus, eine ausreichende Datenlage zu schaffen. Erst dann entsteht Transparenz und bestehende Missstände können angegangen werden.

Einer dieser Missstände sind fehlende Kita-Plätze. Was raten Sie betroffenen Eltern?

Theoretisch hat jedes Kind seit 2013 bundesweit einen Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz. Praktisch kann dieser Anspruch nicht realisiert werden. Ich ermutige Eltern dazu, ihren Rechtsanspruch gegenüber dem Jugendamt anzumelden und alle Möglichkeiten des Rechtsweges auszuschöpfen. Je mehr Eltern ihre Rechte aktiv einfordern, desto mehr Druck wird aufgebaut. Dieser ist nötig, damit Familie und Beruf miteinander vereinbart werden können.

Kann ein Kind in einer anderen Kommune unterkommen, wenn sich kein Platz findet?

Der Anspruch auf einen Kita-Platz garantiert lediglich eine wohnortnahe Betreuung und umfasst einen Radius von fünf Kilometern um das Elternhaus. Für die Familie ist es oft eine Katastrophe, wenn das Kind nicht vor Ort aufgenommen wird, selbst wenn die Fahrtzeit unproblematisch ist. Das Kind kann dann nicht im sozialen Gefüge der Kita vor Ort unterkommen.

Unterstützen sich die Kommunen untereinander oder herrscht eher Wettbewerb?

Ein Problem ist, dass sich Kommunen Kita-Fachkräfte abwerben. Lena Herget, Bürgermeisterin von Reichelsheim, hat in einem Interview auf dieses Problem hingewiesen. Es gibt Absprachen, dass so etwas unterlassen wird. Aber durch höhere Gehälter oder Boni werden diese Vereinbarungen untergraben. Das führt dazu, dass die finanzstarken Kommunen diesen Wettbewerb gewinnen und die finanzschwachen verlieren. In letzteren fehlen dann die Plätze, und die betroffenen Kinder haben eine reduzierte Betreuung. Die frühkindliche Betreuung darf jedoch nicht vom Wohnort abhängig sein. Eine einheitliche Tarif-Gruppierung, die bestenfalls höher ist, sollte Standard sein.

Was bringt eine adäquate frühkindliche Bildung?

Die Palette an Vorteilen ist groß: Die Kinder lernen motorische, sprachliche, kognitive und sozial-emotionale Fähigkeiten. Ein Kind, das erst mit vier Jahren in die Kita kommt, könnte in seiner Entwicklung benachteiligt sein. Des Weiteren sind Kindergärten auch für gesellschaftlich wichtige Themen wie Integration und Inklusion wegbereitend. Schon die Kleinsten lernen in einem Gruppengefüge den Respekt vor und die Akzeptanz von anderen Lebenswelten und Kulturen. Für all diese Dinge brauchen wir gut ausgebildetes und motiviertes Personal.

Wie ist denn die Lage der Kita-Fachkräfte?

Durch die Öffnung des Kita-Fachkräftekatalogs, die Fachfremde für die Betreuung zulässt, befürchte ich einen Rückgang in der Qualität der frühkindlichen Bildung. Manche Kita-Leitungen munkeln unter der Hand, dass auf jeden Fall die »3 S« - sicher, sauber, satt - sichergestellt werden müssen. Andere erzieherische Notwendigkeiten würden dann aber erst nachrangig erfüllt, je nach Personal und Zeit. Ich denke, man müsste der mangelnden Wertschätzung für den wichtigen Erzieherberuf entgegenwirken. Und Anerkennung geht am Ende auch über Geld. Auch hier kann eine Elternvertretung Öffentlichkeitsarbeit leisten. Zusätzlich sollte das Schulgeld für angehende Erzieherinnen und Erzieher abgeschafft und die Ausbildungszeit vergütet werden, um die Ausbildung attraktiv zu gestalten.

Gibt es beim Fehlen eines Kita-Platzes - abgesehen von der fehlenden Betreuung - noch weitere gesellschaftliche Auswirkungen?

Wenn Eltern nicht rechtzeitig einen Platz in einem Kindergarten finden, steigt der Druck drastisch, Familie und Beruf unter einen Hut zu bekommen. Gerade Alleinerziehende wissen dann oft nicht mehr, wie sie ihren Alltag regeln sollen. Auch erlebt die Geschlechtergerechtigkeit einen erheblichen Rückschritt. Das betrifft vor allem Frauen, die dann eher nicht arbeiten. Zusätzlich verliert der Staat durch den Wegfall an Berufstätigen ein Gros an Steuern. Und das in Zeiten des Fachkräftemangels. Und schließlich ist immer wieder davon die Rede, wie wichtig es ist, den ländlichen Raum zu stärken. Mit der jetzigen Kita-Situation schwächen wir unsere Region. Diese sollte aber dringend wieder gestärkt werden.

Am 30. Juni dieses Jahres wurde die erste hessische Kita-Landeselternvertretung gewählt. Um die Wahl zu ermöglichen, wählten die Eltern zunächst Delegierte in ihren jeweiligen Jugendamtsbezirken. Eine Bewerbung für die Landeselternvertretung stand allen Eltern offen. Die 14 Landeselternvertreter und Landeselternvertreterinnen sollen den Eltern nun eine demokratisch legitimierte Stimme auf Landesebene geben. Sie werden bei Angelegenheiten der Erziehung, Bildung und Betreuung der Kinder in Kitas und Kindertagespflegeeinrichtungen angehört. Darüber hinaus ist die Landeselternvertretung für die Wahl der folgenden Landeselternversammlung zuständig und hat einen Sitz im Landesjugendhilfeausschuss. Die Elternvertreter werden vom Land Hessen mit einer Geschäftsstelle und zwei erfahrenen Fachkräften unterstützt. Weitere Informationen gibt es online auf https://lev-kita.hessen.de.

Bernd Conrad (52) ist gelernter Diplom-Betriebswirt. Er ist für die betriebswirtschaftliche Beratung und das damit verbundene Risikomanagement für Vertragsunternehmen des Auto- und Motorradhandels in der Deutschlandzentrale eines internationalen Konzerns zuständig. Seit dem 30. Juni gibt es eine Landeselternvertretung in Hessen, die durch die Landeselternversammlung gewählt wurde, deren Delegierter er ist. Dort vertritt er den Wetteraukreis neben seiner Tätigkeit als Elternbeiratsvorsitzender der Kita in Oberau. Die Gemeinde Altenstadt möchte derzeit einen Gesamtelternbeirat für alle fünf Kitas und die Tageseltern einrichten. Eine Kreiselternvertretung im Wetteraukreis ist angedacht. Bis zur ihrer Entstehung können sich Eltern per E-Mail mit ihren Anliegen an Bernd Conrad wenden: Die Adresse lautet info@elterninitiative-kita-eltern-wetterau.de. Conrad ist verheiratet und hat eine Tochter (vier Jahre). VON ANJA CARINA STEVENS

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