Bewegend und leidenschaftlich

Schotten (em). So ungewöhnlich endet kaum ein Konzert: auch die Zuhörer waren aufgesprungen, klatschten und bewegten sich im Rhythmus des Chores, wiederholten die Liedzeilen, die ihnen der Vorsänger zurief. Die ganze volle Liebfrauenkirche schien in Bewegung. »Back to the roots«, zu den Wurzeln der Gospel Songs - unter diesem Motto stand das Sommerkonzert des Gospelchores »Father’s Children«, geleitet von Dekanatskantor Kiwon Lee.
Nachdenkliche Kommentare von Pfarrer Dr. Peter, die die biblischen Inhalte der Gospels aufgriffen, waren ein wichtiges Element des Konzerts. Wohl auch ein Moment der Entspannung für Sängerinnen und Sänger, denn bei den Liedern war ihre ganze Stimmkraft und Ausdrucksstärke gefragt. Wohl wurde eine Instrumentalbegleitung im Stil von Contemporary Gospel Music als Hintergrund eingespielt, aber Kiwon Lee in der Rolle des Vorsängers verlangte seinem Chor viel ab.
Sehnsucht nach Freiheit
Im engen Zusammenspiel von »call and response« gab er den Singenden temperamentvolle Impulse, klatschte den Rhythmus, und alle ließen sich voll in vitalen Gesang hineinziehen. »Every praise ist to our God« - immer leidenschaftlicher wurde der Lobgesang an den rettenden, befreienden, heilenden Gott und endete mit einem langgezogenen Refrain.
Damit war auch der Bogen zur einer der Wurzeln der moderneren Gospels geschlagen, zu den Spirituals der vom 17. bis 19. Jahrhundert in die Sklaverei Verschleppten. Das spontane Singen biblischer Texte war die einzige Möglichkeit, ihre Sehnsucht nach Freiheit, nach Erlösung und Gleichberechtigung auszudrücken. Daraus entwickelten sich später Gospel-Songs, die auch andere aktuelle Musikelemente - Blues, Jazz, Rock - aufnahmen. So folgte jetzt kräftig in elektrisierenden Synkopen »Every Praise ist to our God, every Worship with one accord«. Und Lee feuerte den Chor zu einem ekstatischen, langgezogenen Schluss an.
Möser erinnerte an die Glaubenskraft, die afroamerikanische Bürger später in die Bürgerrechtsbewegung führte. Auch nach der Aufhebung der Sklaverei blieb ihnen Gleichberechtigung vorenthalten. Die große Vision von Martin Luther King »I have a dream« wurde zitiert. In einem eindringlichen, raschen Staccatorhythmus nahm »This is the gospel of Jesus Christ« den Glauben an die Erlösung, an den Sieg über den Tod auf. Mit dem Zuruf »I believe!« forderte Lee den Chor zu Wiederholungen auf, die in Ekstase mündeten. Möser griff Elemente des Kirchenraums auf, verwies auf das Fenster, an dem Konfirmanden Szenen aus dem Leben Albert Schweitzers und Dietrich Bonhoeffers dargestellt hatten. Bei einem USA-Studienaufenthalt lernte Bonhoeffer Gospel-Kirchen in Haarlem kennen, nahm Anregungen von dort in seine Tätigkeit für die Bekennende Kirche mit. Zugleich sprach Möser mit einem Hinweis auf die ausdrucksvolle gotische Pieta vom Leid der Mütter, etwa beim aktuellen Konflikt, unter dem Familien in der Ukraine wie in Russland zu leiden haben. So folgte ein weitaus ruhigeres, wohl Blues-inspiriertes Gospel »My desire«, geprägt von inniger Hingabe an Jesus.
Einen Abschnitt aus dem Buch des Propheten Jesaja greift das Loblied »Holy is the Lord« auf. Fast beschwörend folgte »Lord, you are good«, die Gnade Gottes für eine in Kriegen zerrissene Welt wurde erbeten. Möser: »Wir sollten unsere Bitten vereinen um einen Frieden, der mehr ist als das Schweigen von Waffen.«
»Total Praise« - ein bekanntes Gospel des Komponisten Richard Smallgood stand am Ende des Gottesdienstes. Lee setzte seine ganze Energie ein, und Chor und Zuhörer verschmolzen zu einer einzigen singenden Gemeinde.
Wechselspiel mit Publikum
Chorsängerin Carmen Butzer dankte Michael Duchardt (Technik), Stefan Buß (Podeste), vor allem aber dem »Ohr und der Seele des Chores«, Kiwon Lee. Dann blieb nur Tumultapplaus und »This little light of mine« als Zugabe.
Wie empfanden die Chormitglieder selbst diese anderthalb Stunden mit totalem Einsatz? »Anstrengend« stimmten Carmen Butzer und ihre Chorkollegin Petra Skrodzki überein. Butzer: »Aber hinterher fühlt man sich richtig glücklich, in einem dichten Wechselspiel mit dem Publikum.« Skrodzki: »Beim Singen vergisst man alles um sich herum. Der Moment zählt!«
Vor der Sommerpause probt der Chor noch zweimal donnerstags um 20 Uhr im Bonhoeffer-Haus und freut sich über neue Stimmen.