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Boris Meinzer: Ein Plädoyer für mehr Humor im Alltag

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Möchte durch Aktionen witzige Bilder von Erwachsenen schaffen, die Altenstadt bunt und verrückt zeigen: der Comedian Boris Meinzer. © Anja Carina Stevens

Boris Meinzer, Comedian-Redakteur bei Hit-Radio FFH, stellt beruflich »dumme« Fragen und sucht nach lustigen Antworten. Seinen komödiantischen Blick auf aktuelle Themen teilt er im Gespräch mit dieser Zeitung.

Nach Charlie Chaplin ist jeder Tag ohne Lachen ein verlorener Tag. Der legendäre britische Komiker servierte in seinen Filmen neben leichter komödiantischer Kost auch tiefgründige sozialkritische Parodien. So richtete er unter anderem eine satirische Anklage gegen den Nationalsozialismus. Boris Meinzer, Comedian-Redakteur bei Hit-Radio FFH, folgt dieser Tradition und spricht über die Notwendigkeit von Humor beim Blick auf aktuelle Themen.

Sie ziehen regelmäßig durch die Fußgängerzonen Hessens und stellen Passanten Fragen. Ist die »Dummfragerei« durch Ihren Bekanntheitsgrad aufwendiger geworden?

Es ist schwieriger geworden, die Leute mit Fragen zu überraschen, und dementsprechend dauert es länger, Antworten zu bekommen. Während die »Dummfragerei« früher fünfmal pro Woche in der Morgen-Sendung lief, wird sie heute einmal pro Woche ausgestrahlt. Vergangene Woche fuhr ich nach Viernheim statt - wie früher - nach Gießen oder Fulda.

Ihre Fragen reichen von Fangfragen bis hin zu Sprichwörtern. Ist die Bezeichnung »Dummfrager« den Fragen oder den Antworten geschuldet?

Mit dem »Dummfrager« stelle ich dumme Fragen und möchte dadurch lustige Antworten generieren. Auf manche Äußerungen kann der talentierteste Komödiant nicht kommen, weil das Leben die besten Witze schreibt. Dabei geht es mir nicht darum, irgendwelche Bildungsnotstände aufzudecken oder irgendjemanden vorzuführen. Aus diesem Grund würde ich dieses Sendungsformat auch nicht im Fernsehen umsetzen. Im Radio ist eine gewisse Anonymität vorhanden, die schützt.

Witze können alle Bereiche des Lebens streifen. Soll Humor Grenzen haben oder darf er schrankenlos sein?

Jeder kann Witze machen, worüber er möchte, und jeder, der sich das dann ansehen oder anhören will, soll das auch tun. Es gibt Leute, die andere Schwerpunkte setzen und bewusst provozieren. Wir leben in einer Demokratie und insofern darf Humor alles. Ich ziehe meine Grenzen dort, wo moralische Gesichtspunkte gegen einen Witz sprechen. So würde ich mich nie über die Anschläge in Paris oder auf das World Trade Center, den Holocaust oder Corona-Tote lustig machen. Über die Hamsterkäufe oder die Maskenpflicht kann und soll man schon scherzen. Durch das Lachen verlieren Dinge teilweise ihre Bedrohlichkeit und man kann manches besser ertragen.

Deutschland ist in den vergangenen Jahren recht krisengebeutelt. Hilft Humor durch schwierige Zeiten?

Auf jeden Fall. In Krisenzeiten stelle ich nicht die Frage, ob man Comedy machen sollte, sondern ich sage, dass man Comedy machen muss. Wir hören regelmäßig Nachrichten über den Ukraine-Krieg, die Inflation oder den Klimawandel. Zwischen all dem ist es unfassbar wichtig, etwas Lustiges zum Abschalten zu haben. Lachen sollte aber nicht nur in herausfordernden Momenten zum Leben dazugehören, sondern generell Bestandteil des Alltags sein.

Auf Ihrer Haustür steht »Villa Kunterbunt« nach »Pippi Langstrumpf« von Astrid Lindgren, in deren Werken manche Wörter umgeschrieben werden. Ist es richtig, dass der einstige »Negerkönig« jetzt ein »Südseekönig« ist, oder dürfen literarische Werke nicht geändert werden?

Ich bin groß geworden mit Otto, der Begriffe wie »Schwarze« in den Mund nahm. Heutzutage würde man gewisse Witze mit speziellen Begriffen nicht mehr machen. Auch bei mir gab es bestimmt Ausdrücke, die ich jetzt wahrscheinlich nicht wieder verwenden würde. Wenn ich ein Werk mit problematisch anmutenden Wörtern auf die Bühne hole, dann kann ich dieses Stück anders aufführen. Deshalb würde ich aber nicht ein ganzes Buch umschreiben. Schließlich handelt es sich dabei auch um Zeitdokumente. Auch kann ich diesen ganzen Gender-Wahnsinn nur mit Humor nehmen. Ich stelle dann Dinge überspitzt dar. So gehe ich beispielsweise in die Kneipe und bestelle mir eine »Radlerin«, die mir der Wirt am »Zapfhuhn« in »Frauborn« - statt Herborn - serviert.

Die Debatte rund um eine geschlechterneutrale Sprache wird in Deutschland seit Jahren geführt. Sie finden die Gender-Debatte eher nervig als notwendig?

Für mich klingen manche gegenderten Begriffe ein wenig holprig. Im Radio kann die Endung »-innen« schon unrund anmuten. In der Zeitung stört mich das beim Lesefluss dagegen weniger. Allerdings stelle ich mir bei der Gender-Debatte die Frage, ob wir keine anderen Probleme haben. Natürlich hat sich auch vieles geändert. Aber für mich sind in Wörtern wie »Gast« Frauen und Männer gleichermaßen vertreten. Viele gegenderte Ausdrücke wie »Gästin« klingen in meinen Ohren schon fast komödiantisch.

Der Philosoph Ludwig Wittgenstein meinte: »Die Grenzen meiner Sprache sind die Grenzen meiner Welt.« Kann Sprache Wirklichkeit schaffen oder ist sie dazu nicht in der Lage?

Wenn ich von Ärzten spreche, dann stelle ich mir nicht nur Männer in weißen Kitteln vor, sondern auch Frauen. Bei Bösewichten ist mir ebenso klar, dass neben Männern auch Frauen gemeint sein können. Insofern wird die Wirklichkeit hier nicht von der Sprache geschaffen. Natürlich entsprechen heute manche Begriffe nicht mehr dem Zeitgeist. Aber auch hier muss man akzeptieren, dass es unterschiedliche Meinungen gibt. Und es gilt ebenso wie bei den Krisen, dass bei dieser emotional geführten Debatte ein wenig Humor nicht schadet.

Eine andere emotional geführte Debatte wurde durch die Diversitätsregeln der Oscar-Academy ausgelöst, die unter anderem Rollen von Minderheiten besetzt haben möchte. Was halten Sie von diesen Vorgaben?

Meine Kriterien sind folgende: Der Film muss gut sein, er muss mich unterhalten und ich muss dabei lachen können. In Filmen geht es um Menschen, und ich mache da keine Unterscheidungen. Eine Person - gleich welcher Abstammung - soll aufgrund von schauspielerischem Können eine Rolle erhalten.

Nicht nur zum Thema Diversität wird im Internet diskutiert. Ist Anonymität im Netz sinnvoll oder problematisch?

Gerade, wenn man so einen Beruf ausübt wie ich, trifft man auf unterschiedliche Geschmäcker und kann es nicht allen recht machen. Kritiker gab es auch schon vor dem Zeitalter des Internets, allerdings ohne Plattform. Heute kann jeder in den sozialen Medien - sei es Facebook, Instagram oder TikTok - seinen Senf dazugeben. Daher sind diese Netzwerke auch in der Verantwortung, ihre Nutzer vor solchen Exzessen zu schützen. Im Comedy-Bereich bekommen gerade Kolleginnen immer wieder obszöne Bilder zugeschickt. Hier ist es unfassbar wichtig, dass die Versender dies nicht anonym machen können, sondern an den Pranger gestellt werden.

Die Autorin Donna Leon hat öffentlich ihre Sorge vor Selbstzensur aufgrund von Empfindlichkeiten zum Ausdruck gebracht. Braucht Deutschland eine neue Diskussionskultur?

Ob es eine neue Kultur braucht, weiß ich nicht. Grundsätzlich ist es wichtig, dass es in einer Gesellschaft Debatten gibt, innerhalb derer man sich Meinungen anhört und auch zulässt. Ausnahmen bestehen dort, wo keine Diskussionsgrundlage vorhanden ist, wie bei der Wahl eines NPD-Mitglieds zum Ortsvorsteher in der Waldsiedlung. Dieses Ereignis ging damals bundesweit durch die Medien und landete sogar in der »New York Times«. Dabei muss man allerdings bedenken, dass 95 Prozent der Menschen in Altenstadt anders denken. Um den Blick von den fünf rechten Prozent auf die restlichen zu lenken, versuche ich, lustige Bilder zu erzeugen. Zum einen, indem ich beispielsweise Inserate im Supermarkt kreiere, über die man schmunzeln kann. Zum anderen, indem ich durch Aktionen witzige Bilder von Erwachsenen schaffe, die Altenstadt bunt und verrückt zeigen. VON ANJA CARINA STEVENS

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