Geständnis wirft viele Fragen auf
Büdingen/Gießen (jwn). Warum sind damals Schüsse gefallen? Auch der zweite Verhandlungstag im Prozess um die Vorfälle auf dem Parkplatz des Büdinger Gymnasiums in der Nacht vom 4. auf den 5. Juni 2021 brachte keine Klarheit. Zwei Männer müssen sich vor dem Landgericht Gießen verantworten. Die Anklage wirft ihnen gefährliche Körperverletzung und unbefugten Waffengebrauch vor (diese Zeitung berichtete).
Nachdem die beiden Angeklagten, ein 26- und ein 28-Jähriger, zu Prozessbeginn die Taten laut Anklage umfänglich eingeräumt hatten, war es zu einer Verständigung hinsichtlich des Strafrahmens zwischen Gericht, Staatsanwaltschaft und Angeklagten gekommen. Diese scheint aber am zweiten Verhandlungstag zu kippen. Richter Jost Holtzmann hatte betont, dass die Geständnisse umfänglich sein müssten und dass im Laufe des Prozesses keine neuen Umstände rauskommen dürften. Genau das scheint aber nun der Fall zu sein, denn das Geständnis des jüngeren Mannes, des Hauptangeklagten, der sich allein für den Gebrauch einer Schusswaffe an dem Tag verantworten muss, scheint mehr als löchrig.
Aussagen gegensätzlich
In seinem Geständnis behauptete der Mann, dass er aus Notwehr zur Pistole gegriffen habe, da seine Freunde und er von einer Gruppe junger Männer angegriffen worden seien. Er habe nicht auf Menschen gezielt, sondern nur mit der Waffe gedroht und in die Luft geschossen. Der Richter betonte, dass fast alle Zeugen ausgesagt hätten, der Hauptangeklagte sei auf die gegnerische Gruppe zugegangen und habe einem Mann, der zunächst vom 28-Jährigen beleidigt und mit den Worten »Wer will Ärger? Wer will als Erster erschossen werden?« herausgefordert worden sei, zunächst die Pistole an den Kopf gehalten und dann damit zugeschlagen.
Als dieser ihn aufgefordert habe »Steck deine Schreckschusspistole weg«, habe der 26-Jährige gelacht: »Von wegen Schreckschuss.« Dann habe er geschossen. Jedoch sei ihm ein anderer Mann in den Arm gefallen und habe so die Pistole im letzten Momente wegdrehen können. »Sehen Sie, ich habe hier Verbrennungsspuren davon an der Hand«, sagte der als Zeuge Geladene.
Auch ein weiterer Zeuge bestätigte diese Version. Er will kurz vor dem Schuss den Angeklagten von hinten angegriffen haben. Zusammen seien sie dann bei einer Rangelei zu Boden gegangen. Als der Hauptangeklagte sich befreit habe und aufstehen konnte, habe er mit der Pistole zweimal abgedrückt. Doch es habe wegen einer Ladehemmung nur Klack gemacht. Die Hülse vom ersten Schuss habe noch im Lauf gesteckt. »Als wir merkten, dass er eine scharfe Waffe hatte und von ihr auch Gebrauch machte, sind wir alle in Panik davongerannt«, berichtete der Zeuge.
Dies habe der 26-Jährige ausgenutzt und auf die Flüchtenden geschossen. Dabei traf er einen Mann von hinten in den Oberschenkel. »Ich habe zuerst gar nichts von der Verletzung mitbekommen. Nur mein Körper fühlte sich plötzlich so taub an«, berichtete er.
Angeklagter droht Flüchtenden
Er habe zuvor am Rande des Geschehens mit einem der vier Männer aus dem Auto der Angeklagten gerungen und sei dabei zu Boden gegangen. Als die Gruppe in Panik davongerannt sei, seien der Schütze und seine drei Kumpels ins Auto gestiegen und hätten wegfahren wollen.
Doch sie hätten einen weiteren Mann, der sich im Gebüsch versteckt hätte, entdeckt. Auch auf ihn habe der Hauptangeklagte die Pistole gerichtet. Diese Situation habe der zweite Angeklagte genutzt, um noch einmal auszusteigen, hinter den Flüchtenden herzulaufen und ihnen nachzurufen: »Nächstes Mal nicht so viel telefonieren, sondern schneller laufen.«
Auch wenn die Aussagen der ersten Zeugen in Punkten voneinander abwichen, stellte der Vorsitzende Richter fest, dass die Behauptung des Angeklagten, es sei eine Notwehrhandlung gewesen, in sich zusammengefallen sei.
Auf seine Folgerung, »jetzt müsse auch über den Fortbestand der Vereinbarung hinsichtlich eines geminderten Strafrahmens wegen eines Geständnisses« neu nachgedacht werden, räumte der Verteidiger ein: Sein Mandant könne sich an den Sachverhalt nicht so genau erinnern. Zu diesem Zeitpunkt sei er sehr stark alkoholisiert gewesen.