Büdinger Musikerin Tine Lott engagiert sich für Themen, die ihr wichtig sind

Die Musikerin Tine Lott aus Büdingen spricht mit dieser Zeitung über die Bandbreite der Gefühle beim Musizieren und wie sie auch heute noch auf ihren Konzerten Klischees gegenüber Frauen aus dem Weg räumt.
Musikerinnen verdienen durchschnittlich 24 Prozent weniger als ihre männlichen Kollegen. Zu diesem Ergebnis kommt die Studie »Professionelles Musizieren in Deutschland« des deutschen Musikinformationszentrums. Außerdem verdient jeder fünfte Musikschaffende unter 1500 Euro im Monat - und das bei freiberuflicher Tätigkeit ohne geregelte Absicherungen. Da ist es kaum verwunderlich, dass 70 Prozent der befragten Musiker weiteren Tätigkeiten nachgehen, um ihr Einkommen aufzubessern. Diese Zeitung spricht mit Tine Lott aus Büdingen über ihre persönliche Musikererfahrung und wie sie sich insbesondere für Gleichberechtigung einsetzt.
Sie sind als begeisterte Musikerin in der Region bekannt. Wie sind Sie auf diesen Pfad gekommen?
Das fing früh an. Meine Mutter spielte mir ständig Schallplatten vor und ich verspürte den Drang, in irgendeiner Form mitzumachen. Zuerst tanzte und sang ich, später kam unter anderem über die Pfadfinder die Gitarre hinzu. Mein erstes »Konzert« gab ich spontan in einer Skihütte in Österreich. Die Erwachsenen staunten nicht schlecht, als da plötzlich eine Achtjährige anfing, zu spielen und singen. Während meiner Schulzeit fanden mit einem Trio meine ersten Konzerte auf der Kirmes und vor amerikanischem Publikum statt.
Ich musste damals immer erst eine Erlaubnis einholen, bevor ich mit meinen 15 Jahren auf die Bühne durfte. Drei Jahre später nahm ich mit einem anderen Trio meine ersten beiden Alben auf. Das war 1987, in den Tonstudios wurde noch mit schweren Tonbändern aufgenommen. Wenn sich da ein Fehler einschlich, spulte man das Band zurück und fing von vorne an. Das waren meine ersten Erlebnisse in der Branche - und nun blicke ich in zwei Jahren auf mein 40-jähriges Bühnenjubiläum zurück.
Eine Musikerkarriere wird oft von Höhen und Tiefen begleitet. War das bei Ihnen auch so?
Zunächst ist es mir wichtig, zu betonen, dass der Beruf des Musikers oder der Musikerin ein wunderschöner ist. Grund dafür ist die Möglichkeit, so viele unterschiedliche Sachen machen zu dürfen. Für mich hängen die Höhen und Tiefen direkt mit den Auftritten zusammen. Manchmal spiele ich an Orten, an denen man denkt, dass es einfach nur unglaublich ist, dort auf der Bühne zu stehen. Das war beispielsweise beim Colos-Saal in Aschaffenburg oder beim Eltzer Hof in Mainz der Fall. Dann gibt es Abende, an denen es den Leuten im Prinzip egal ist, ob man spielt oder nicht. Mittlerweile nehme ich das nicht mehr persönlich. Früher war ich in solchen Momenten sehr traurig. Wenn man lange genug im Geschäft ist, lernt man, damit umzugehen, und spielt sein Programm auch bei einem unaufgeregten Konzert sauber ab. Besonders waren auch die »Bierschlauchkonzerte« mit bis zu neun Stunden Musik am Stück. Da schmerzen die Finger und von der Stimme will ich gar nicht erst sprechen. Solche Abende bleiben den Menschen in Erinnerung und brachten mir vor langer Zeit meine ersten Buchungsanfragen.
Einige dieser Anfragen brachten Sie auch ins Ausland. Gibt es ein Land, in dem Sie besonders gerne auftreten?
Man hat immer gute Karten, wenn man von weither kommt. Als wir in den USA in diversen Clubs auftraten, war das für die Amis der Hammer. Da waren wir schon erstaunt, schließlich ist unser europäischer Stil nicht unbedingt hipp in Amerika. Wir lernten schnell, worauf es ankommt, und passten unser Programm entsprechend an. Bei manchen Liedern, die bei uns als völlig normal empfunden werden, laufen die Amerikaner rot an. Nach dem Song »Ayo Technology« mit seinem anzüglichen Text retteten wir uns mit ein paar deutschen Songs der Neuen Deutschen Welle. Das Publikum lachte und fragte uns im Nachhinein, ob wir eigentlich wissen, was wir da singen.
In Amerika gibt es von Sängerinnen wie Billie Holiday oder Nina Simone eine lange Liste an Protestsongs. Sollte Musik unterhaltsam und dekorativ oder provokant und kritisch sein?
Musik ist vielfältig. Sie kann heilen und Leute zum Lachen bringen. Bei manchen Akkorden bekommt man Gänsehaut und spürt Tränen in den Augen, bei anderen geht man so richtig ab. Musik ist aber auch subjektiv. Für die eine Person ist ein emotionales Lied ein Graus, für die andere ein Ohrenschmaus. So oder so ist Musik ein wunderbares Transportmittel. Sie ist international und man muss nicht einmal die gleiche Sprache sprechen, um sich verständigen zu können. In Seattle spielte ich mit zwei Italienerinnen in einer Band. Eine der Frauen sprach kein Wort Deutsch, aber das war egal, weil man ja die Noten hat. Über diese verständigten wir uns und sind bis heute befreundet. Musik verbindet also auch.
Auf Ihrem Webauftritt steht ein Zitat von Viktor Hugo: »Die Musik drückt das aus, was nicht gesagt werden kann und worüber zu schweigen unmöglich ist.« Beschreibt das die Emotionen, von denen Sie sprechen?
Dieser Spruch beinhaltet für mich sowohl Freude als auch Trauer. Wenn die Gefühle schwer auf den Schultern lasten, können einem die Worte fehlen, um seinen Emotionen Ausdruck zu verleihen. Dann ist es oft einfacher, zu musizieren. Wenn ich morgens aufwache und mich am Leben erfreue, möchte ich vielleicht meinem Stimmungshoch musikalisch Rechnung tragen. Dann kann es schon mal passieren, dass ich am offenen Fenster stehe und singe. Oft kann ich gar nicht sagen, was mich in einem bestimmten Moment umtreibt, aber ich kann es singen oder spielen.
Einige Künstler nutzen ihre Konzerte auch für politische Aussagen. Wie ist das bei Ihnen?
Ich sehe mich als Demokratin und engagiere mich auch für Themen, die ich als wichtig erachte. Das kann bei FriedensDemos, Frauenrechtsaktionen oder der schwierigen Situation mit den rechtsextremen Aufmärschen in Büdingen sein. Gegen diese spielte ich gemeinsam mit anderen Büdinger Musikerkollegen auf. Solche Aktionen macht man nun einmal. Außerdem spiele ich oft auf Gewerkschaftsveranstaltungen und war beim großen Flughafenstreik dabei. Wenn man etwas aufzeigen oder zum Nachdenken anregen kann, dann gehört das auf jeden Fall zum Musikerleben dazu. Der Hauptfokus liegt aber nicht auf politischen Bekenntnissen. Außerdem kann man nicht einfach die deutsche Version der amerikanischen Sängerin und Aktivistin Joan Baez werden. Ein solches Vorbild gibt es nur einmal.
Sie sprechen von Frauenrechtsaktionen und spielten auch schon vor Frauenhäusern. Wie ist Ihr Blick auf Gleichberechtigung und Feminismus in unserer Zeit?
Ich bin eine emanzipierte Tine, mache vieles gerne selbst und nehme trotzdem manchmal den Rat eines Mannes an. Am besten wirft man alle Qualitäten in einen Pott und beobachtet das wunderbare Ergebnis. Schwierig finde ich, dass es immer noch Vorurteile gegenüber Frauen gibt. Ich bin gerne mit dem Motorrad unterwegs und werde schon mal gefragt, ob ich das Teil überhaupt halten kann. Meine Antwort lautet dann: Ich halte das Motorrad nicht, ich fahre es. Mit gleicher Manier stehe ich auf der Bühne und räume mit Humor und Augenzwinkern gewisse Klischees aus dem Weg. Bedenklich ist auch, dass sich Frauen heute oftmals auf der Arbeit ausruhen, die vor 50 Jahren geleistet wurde. Manche der Mädels sind plötzlich wieder inaktiv und stellen Küche, Herd und Kinder in ihren Lebensmittelpunkt. Ich verurteile niemanden, der lieber zu Hause den Nachwuchs großzieht. Aber ich wünsche mir, dass Frauen nicht vergessen, was sie sind: nämlich gleich. Und da ist noch viel Luft nach oben.
Bei feministischen Kundgebungen und auch anderen Protestaktionen kann die Stimmung aufgeheizt sein. Nutzen Sie bestimmter Lieder, um die Teilnehmer abzuholen?
Bei solchen Auftritten lasse ich es etwas ruhiger angehen. Ich verlasse mich ganz ohne Schnick und Schnack auf meine Gitarre und meinen Gesang. Meistens spiele ich Folksongs und eigene Stücke. So versuche ich mit meiner Musik, die Menschen abzuholen. Erst stehen alle zusammen und dann gehen wir wieder friedlich unserer Wege.
Tine Lott (54) feiert in zwei Jahren ihr 40-jähriges Bühnenjubiläum und ist für ihre Folkmusik- Konzerte bekannt. Die gelernte medizinische Fachangestellte trat bereits seit ihrer Schulzeit mit verschiedenen Musikgruppen und solo auf. Ihr Repertoire besteht sowohl aus Coversongs als auch aus eigenen Kompositionen. Ihre kräftige Stimme wird von der Gitarre begleitet und durch die Blues Harp abgerundet. Die Bühne nutzt Tine Lott auch, um soziale Themen anzusprechen, sei es bei politischen Veranstaltungen oder Streiks. Lott ist verheiratet.