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Büdinger schildert in Buch 16 Schicksale verfolgter Bibelforscher in der Nazi-Zeit

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Schicksale der Bibelforscher in der Nazi-Zeit: Fast vier Jahre hat Hans-Joachim Schalies an seinem Buch gearbeitet, bis es im Frühjahr 2023 fertig war. © Monika Eichenauer

Zu den Verfolgten des Nazi-Regimes zählen auch die sogenannten Bibelforscher oder Zeugen Jehovas. Der Büdinger Autor Hans-Joachim Schalies schildert 16 Schicksale aus der Region in seinem Buch.

Büdingen (co). »Heil Hitler kam nie über ihre Lippen, allein das war schon ein Grund zur Verhaftung in der NS-Zeit«, beschreibt der Büdinger Hans-Joachim Schalies die gefährliche Situation der Zeugen Jehovas während des NS-Regimes.

»Heil kann nur über Christus kommen, so steht’s in der Bibel. Erst recht wurden sie inhaftiert und später in Konzentrationslager verbracht, weil sie den Wehrdienst verweigerten«, führt er weiter aus.

Im Frühjahr 2023 brachte er sein Buch »… damit ihr künftigen Generationen davon erzählen könnt« heraus. Es ist den Opfern unter den Zeugen Jehovas (Bibelforschern) aus der Region des Wetteraukreises gewidmet, die unter dem NS-Regime verfolgt wurden und sogar zu Tode kamen.

Die Zeugen Jehovas leisteten geschlossen Widerstand gegen das NS-Regime. Die Bibelforscher zählten nach den Juden zu den ersten und anfangs zu den meisten KZ-Insassen.

Würdigung durch Martin Niemöller

Ihr Widerstand wurde auch von Martin Niemöller, der nach dem Krieg einige Zeit im Büdinger Schloss lebte, in einem Dokument vom 7. Dezember 1945 gewürdigt. Der evangelische Theologe und spätere Kirchenpräsident der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau und Präsident im Ökumenischen Rat der Kirchen schrieb damals:

»Die ernsten Bibelforscher gingen um ihres Glaubens willen geschlossen in den Widerstand und zu Hunderten und Tausenden ins Konzentrationslager und in den Tod, weil sie den Kriegsdienst ablehnten und sich weigerten, auf Menschen zu schießen.«

Akribisch hat Schalies, Zeitungsmann durch und durch und selbst bekennender Bibelforscher, recherchiert und die Verfolgungsgeschichte namentlich genannter Personen kurz geschildert

Seine Informationen stammen aus dem Hessischen Hauptstaatsarchiv in Wiesbaden sowie weiteren Archiven. Der heute 74-Jährige war von Dezember 1970 bis April 1997 Geschäftsstellenleiter und Außendienstmitarbeiter des Kreis-Anzeigers erst in Nidda, dann in Büdingen.

Lila Winkel auf Häftlingskleidung

»Zeitung« hat er von der Pike auf gelernt, von April 1963 an drei Jahre lang bei der Neuen Ruhr Zeitung. Bis 1968 war er Geschäftsstellenleiter in Velbert, 1969 war er für die Frankfurter Rundschau tätig, ab 1970 für den Kreis-Anzeiger. Später gab er noch das »Kur- und Freizeitjournal« heraus.

Der lilafarbene Winkel auf dem Titelblatt seines Buches, das nicht gewerblich vertrieben wird, sondern nur gegen einen freiwilligen Beitrag bei ihm erhältlich ist, hat eine besondere Bedeutung: »Alle Zeugen Jehovas in Konzentrationslagern erhielten auf ihrer Häftlingskleidung den ›Lila Winkel‹. Die Bibelforscher bildeten in den KZs eine eigene Häftlingsgruppe.«

Einige der im Buch aufgeführten Opfer kamen in Konzentrationslager und verstarben dort, andere überlebten sie. Alle weiteren im Buch aufgeführten Personen gerieten ebenfalls in die Fänge der Nazis, manche wurden allerdings freigesprochen.

Schalies erinnert auch an eine große Ausstellung im Januar 2004 im Kulturzentrum Oberhof unter dem Titel »Lila Winkel. Die vergessenen Opfer des NS-Regimes - die Geschichte eines bemerkenswerten Widerstands«, die international gezeigt wurde.

Dienstag und Freitag Prügeltag

Schalies’ Großvater Fritz Schalies wurde aus Glaubensgründen ebenfalls von den Nazis verfolgt, sein Großvater mütterlicherseits, Karl Giesenhagen, Berufstaucher in Lübeck, hatte Herbert Frahm, dem späteren Bundeskanzler Willi Brandt, zur Flucht nach Norwegen verholfen und sich später von den Bibelforschern taufen lassen.

Stellvertretend für die im Buch geschilderten Schicksale sei hier ein Bericht von Wilhelmine Hoffmann aus Wolferborn genannt, die ebenso wie ihr Mann Josef in mehreren Konzentrationslagern inhaftiert war:

»Im KZ Ravensbrück war jeden Dienstag und Freitag Prügeltag, 25 bis 100 Schläge mit dem Ochsenziemer auf das unbekleidete Gesäß. Die Bibelforscher lehnten es ab, für die Soldaten ›Liebesdienste‹ zu leisten. Daraufhin mussten sie fünf Tage in der Kälte stehen. Nach dem fünften Tag, am 24. Dezember, wurden ihnen die Schuhe abgenommen und zu jeweils fünf Frauen in eine dunkle Zelle gesperrt. Erst nach drei Tagen wurde sie geöffnet. Nun gab es jeden dritten Tag warmes Essen, Wasser mit Krautblättern. Die Dunkelhaft dauerte drei Wochen.«

Info: 16 Schicksale - Zeugen Jehovas durch Nazis verfolgt

Karl Heinrich Finkernagel, geboren 1869 in Altenstadt, gestorben 1937 in Buchenwald; Wilhelm Konstantin Hassler, 1892 in Nieder-Mockstadt, 1956 in Gießen; Josef Hoffmann, 1893 in Kinheim/Mosel, nach der Befreiung gelebt in Wolferborn, gest. 1972; Wilhelmine Hoffmann, 1902 in Wolferborn, 1977 in Offenbach; Renate Leischnig,1931 in Brunlos, von 1957 bis 1961 in Gedern, Opfer der Doppelverfolgung durch das NS-Regime und später in der DDR, gest. 2017; Ernst Schwalm, 1900 in Cronberg/NRW, von 1960 bis 1965 Heilpraktiker in Büdingen, Stolperstein für ihn verlegt 2022; Peter Christ, 1887 in Rockenberg; Georg Lutz, 1892 in Buchau/Württemberg, lebte später in Butzbach, ertrank am 3. Mai 1945 in der Ostsee nach dem Todesmarsch; Fritz Nicolai, 1897 in Bitterfeld, lebte in Butzbach; Emma Reuhl, 1882 in Gambach; Elisabeth Schäfer, 1884 in Heldenbergen, 1944 im KZ Ravensbrück; Rudolf Konrad Seip, 1890 in Stammheim; Margarethe Stöhr, 1891 in Stammheim; Ludwig Stumpf, 1896 in Frankfurt/Main, 1979 in Friedberg; Karoline Veith, 1882 in Ober-Wöllstadt, 1942 in der Euthanasie-Anstalt Bernburg und Johannes Möser, Wächtersbach-Leisenwald.

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