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Büdinger Stadtarchivar Carsten Parré hält Vortrag wider das Vergessen

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Der Büdinger Stadtarchivar Carsten Parré hat das Thema in vielen Stunden und Tagen erarbeitet. © Andrea Weber

Büdingens Stadtarchivar Carsten Parré wird in Aschaffenburg über Hitlers Machtergreifung am 30. Januar 1933 referieren und einen Bezug zu den Ereignissen in Büdingen herstellen.

Stiefel, die im Gleichschritt marschieren, knallen laut auf das Kopfsteinpflaster. Fahnen mit Hakenkreuz-Symbol flattern im Wind. Überall braune Uniformen und Scheitel auf den Köpfen der Männer, messerscharf und präzise wie mit dem Lineal gezogen. In Reih und Glied stehende Menschen recken ihren rechten Arm zum Hitlergruß.

»Heil Hitler« und »Sieg Heil« tönt es aus Hunderten, Tausenden Kehlen. Es folgt das »Horst-Wessel-Lied«, die Parteihymne der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei (NSDAP), mit der Textzeile »Es schau’n aufs Hakenkreuz voll Hoffnung schon Millionen«. So hörten sie sich an und so sahen sie aus: die Versammlungen und Kundgebungen der Nazis. Auch in der damaligen Kreisstadt Büdingen.

Der Büdinger Stadtarchivar und Historiker Carsten Parré wird am Donnerstag in Aschaffenburg anlässlich eines Symposiums über Hitlers Machtergreifung referieren und einen Bezug zu den Ereignissen in Büdingen in der Zeit von Januar bis Mai 1933 herstellen.

Umfangreiche Recherche

Parré hat das Thema in vielen Stunden und Tagen erarbeitet. Er wälzte unzählige Ausgaben der damaligen Tageszeitung »Büdinger Allgemeiner Anzeiger«, eine Vorgänger-Zeitung des Kreis-Anzeigers.

»Eigentlich sind eher die Antike und das Mittelalter meine Spezialgebiete. Aber als mich die Veranstalter des Symposiums fragten, ob ich zum Thema NS-Zeit 1933 etwas aus dem Wetteraukreis sagen könne, habe ich zugesagt. Zu einem so wichtigen Thema möchte ich gerne etwas beitragen«, sagt der Historiker.

Außerdem ist die Stadt Büdingen Mitglied der Kulturregion FrankfurtRheinMain gGmbH, dem Veranstalter des Symposiums. Und: Parré hat mit den Initiatoren bereits zu einem anderen Thema zusammengearbeitet.

»Zu Beginn meines Vortrags werde ich deutlich machen, dass mein Wissen über die NS-Diktatur nicht lückenlos ist. Ich musste mich erstmal richtig einlesen. Was verrät uns die Geschichte über die Machtergreifung in Büdingen? Was kann ich dazu erzählen? Ich möchte meine Worte zu diesem Thema sensibel wählen. Denn hinter dem starren Wort Thema stecken so schrecklich viele traurige und erschütternde Biografien. Und hinter dem Wort Biografien stecken Menschen. Menschen, die damals Grauenvolles erlebten.«

Die Menschen in Oberhessen haben vor 1933 bitterste Not gelitten. Zu Jahresbeginn berichtete der »Büdinger Allgemeiner Anzeiger« über viele Familien, deren Ernährer eben dieses nicht mehr konnten: ernähren. Groß und Klein quälte schmerzender Hunger. Die Arbeitslosigkeit war eklatant hoch. Wo keine Arbeit, da kein Brot. Daher hatten es die Nationalsozialisten leichter, die Köpfe der Menschen zu infiltrieren.

Unverhohlener Aufruf

Bei der Reichstagswahl am 5. März 1933 erreichte die NSDAP laut »Büdinger Allgemeiner Anzeiger« in Büdingen bereits 62,6 Prozent (Zum Vergleich: Im gesamtdeutschen Reich waren es 43,9 Prozent). Dann nahm der Nationalsozialismus rasch Fahrt auf: Am 13. März wurde Joseph Goebbels in Berlin Propagandaminister und verbreitete seine Hassreden über den jüdischen Feind und seine Lobeshymnen auf den Heilsbringer Adolf Hitler in ganz Deutschland. Auch in den Büdinger Wohnstuben lauschte man gemeinsam an den Röhrenradios, den sogenannten Volksempfängern.

Carsten Parré: »Auch Lehrer wurden besonders auf den Nationalsozialismus eingeschworen. Im ›Büdinger Allgemeiner Anzeiger‹ stand Mitte Februar ein unverhohlener Aufruf, dem NS-Lehrerbund Kreis Büdingen beizutreten und Kinder nach der NS-Ideologie zu formen. Zitat: ›In seinen (des Lehrers) Händen liegt das kostbarste Gut, mit den Seelen der Kinder die deutsche Zukunft‹.«

Carsten Parré, studierter Historiker, ist in Offenbach geboren, wuchs aber in Mittel-Gründau auf. »Mittel-Gründau ist meine echte Heimat«, sagt der 47-Jährige. Er war zunächst Technischer Zeichner, holte später das Abitur nach und studierte anschließend Geschichte an der Frankfurter Goethe-Universität. Er lebt in Bad Salzhausen und liebt den Wald. Und bezeichnet sich selbst als Spaziergänger mit ordentlichem Tempo.

Die Kulturregion FrankfurtRheinMain gGmbH lädt Interessierte zum Symposium »90 Jahre Machtergreifung in der Rhein-Main-Region« mit vielen namhaften Referenten wie Carsten Parré sowie einer Podiumsdiskussion nach Aschaffenburg ins Schloss Johannisburg ein. Es beginnt am Donnerstag, 2. Februar, um 13 Uhr. Weitere Infos und die Möglichkeit, sich anzumelden, gibt es im Internet auf www.krfrm.de/1933. VON ANDREA WEBER

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