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Bürgermeister Norbert Syguda: »Ich bin ein Dienstleister«

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Von: Judith Seipel

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Seit 23 Jahren ist Norbert Syguda (SPD) Bürgermeister von Altenstadt. Im Interview mit dieser Zeitung nimmt er Stellung zu Kritik an seiner Amtsführung. © Judith Seipel

Die Kritik an Altenstadts Bürgermeister Norbert Syguda wächst. Vor allem in den sozialen Medien hagelt es Vorwürfe. Ein Gespräch über Sündenböcke, Betriebsblindheit und die Zukunft des 64-Jährigen.

Er habe wohl eine besondere Gabe. Norbert Syguda, Bürgermeister der Gemeinde Altenstadt, kommt nach eigener Angabe mit drei bis vier Stunden Schlaf pro Nacht aus. Deshalb sitze er oft schon morgens um vier im Rathaus am Schreibtisch. Das freilich sehen die Altenstädter nicht. Viele werfen dem Verwaltungschef vor, in der Öffentlichkeit kaum mehr präsent zu sein und bei gesellschaftlichen Anlässen häufig zu fehlen. Ist er etwa amtsmüde? Immerhin ist der Sozialdemokrat seit 23 Jahren Bürgermeister. Im Sommer wird Syguda 65 und hat bislang offengelassen, ob er im nächsten Jahr für eine fünfte Amtszeit zur Verfügung stünde. Möglich wäre das, denn 2015 wurde in Hessen die Altersgrenze für Bürgermeister aufgehoben.

Herr Syguda, wenn in Altenstadt etwas schiefläuft, heißt es reflexartig: Daran ist der Bürgermeister schuld. Nehmen Sie die Rolle des Sündenbocks an?

Nicht geleerte Mülltonnen, fehlende Kita-Plätze, die Unfälle am Oberauer Kreisel, die vielen Flüchtlinge - ich bin an allem schuld ( lacht ). Als Bürgermeister ist man Dienstleister, Kritik trifft insofern zu, als der Bürgermeister für die Entscheidungen steht, die durch Mehrheitsbeschluss in den Gemeindegremien getroffen werden. Und wenn Menschen unglücklich oder frustriert sind, dann suchen sie sich eine Person aus, die sie dafür verantwortlich machen. Ich nehme die Rolle des Sündenbockes insoweit an, weil ich registriere, dass viele Menschen die Hintergründe von Entscheidungen nicht kennen. Dann muss man versuchen, Verständnis dafür zu wecken. Allerdings hat die Zahl der Kritiker und die Schärfe der Kritik durch die sozialen Medien enorm zugenommen. Das ist zum Teil richtig aggressiv. Damit befasse ich mich nicht. Meine Zeit lässt es gar nicht zu, in diesen Kommunikationsprozess auch noch einzusteigen.

Momentan baut sich Widerstand auf gegen eine mögliche Gemeinschaftsunterkunft für Flüchtlinge in Lindheim. Man nimmt Ihnen übel, dass sie dem Wetteraukreis die Waldsporthalle und später den Festplatz in Lindheim angedient haben.

Ich habe den Protest von Elternbeirat, Schule und auch Vereinen sowie die Ängste von Müttern und Vätern sehr ernst genommen, als der Wetteraukreis die Sporthalle der Limesschule mit Flüchtlingen belegen wollte, und deshalb dem Kreis als Alternative unsere Waldsporthalle in Oberau angeboten. Das kann aber nur eine Übergangslösung sein. Allerdings haben wir weder viel Leerstand noch gibt es eine große Bereitschaft von Eigentümern, Flüchtlinge aufzunehmen. Der Festplatz in Lindheim bietet sich für den Bau einer Halle an, weil er erschlossen ist. Dort gibt es Wasser, Kanal, Strom und eine Anbindung an den ÖPNV. Vom Kreis gibt es noch keine Festlegung. Das Flüchtlingsthema lief wegen Corona, Krieg und Inflation lange Zeit unter dem Schirm, aber es war immer da und wird uns noch lange Zeit beschäftigen.

Um die Flüchtlinge zu betreuen, haben Sie einen runden Tisch mitinitiiert. Bei der sogenannten Flüchtlingskrise 2015/2016 gab es in Altenstadt großes soziales Engagement. Die Freiwilligenagentur Altenstadt Aktiv, die Integrationslotsen ausbildete, gibt es nicht mehr. Auch die Bürgerstiftung Oase ist nicht mehr so breit aufgestellt. Engagierte kritisierten, sie seien von der Gemeinde nicht hinreichend unterstützt worden,

Das nachlassende ehrenamtliche Engagement ist kein Altenstädter Phänomen. Das können sie überall beobachten. 2015/2016 war das Engagement unfassbar groß, auch hier bei uns und insbesondere in der Verwaltung. Der überwiegende Teil der Ehrenamtlichen hat aufgegeben wegen Überforderung. Heute ist die Herausforderung so groß wie nie, denn es gibt immer mehr Flüchtlinge, aber immer weniger Haupt- und Ehrenamtliche für die Begleitung. Das ist ein großes Problem in diesem Land. Wir beschäftigen zur Zeit eine Vollzeitkraft und drei Honorarkräfte für die Flüchtlingsarbeit und wollen weitere Leute einstellen. Im Übrigen lasse ich keine Gelegenheit aus, um wertzuschätzen, was Menschen in diesem Bereich leisten. Es ist mir zu flach zu sagen, es liegt am Bürgermeister oder an der Verwaltung, wenn da im Laufe der Zeit etwas weggebrochen ist.

In der Kerngemeinde wird nicht mehr gefeiert: kein Altenstadtfest, kein Weihnachtsmarkt. Viele Altenstädter sind deswegen enttäuscht.

Wir haben uns im vergangenen Jahr gegen das Altenstadtfest entschieden, weil Corona noch nicht vorbei war und uns das Risiko zu groß erschien. Für diesen Sommer nun ist ein Altenstadtfest geplant, eventuell mit neuem Konzept. Denn die Bereitschaft der Vereine, sich einzubringen, hatte schon vor der Pandemie merklich nachgelassen. Für den Weihnachtsmarkt in Altenstadt hatten wir im Dezember schlicht kein Personal. Die Mitarbeiterin, die das eigentlich organisiert, ist in der Flüchtlingsarbeit eingesetzt. Dafür ist in den Ortsteilen viel passiert. In der Waldsiedlung, in Oberau, Höchst, Lindheim und Heegheim - überall gab es Weihnachtsmärkte. Und niemand brauchte dafür die Gemeindeverwaltung. So etwas wünsche ich mir auch für Altenstadt.

Der Personalnotstand im Rathaus führt immer wieder zu Unmut. Anrufer hängen ewig in der Warteschleife oder erreichen niemanden, und das seit Monaten. Die Fluktuation unter den Mitarbeitern soll hoch sein. Wie beurteilen Sie das Betriebsklima in der Verwaltung?

Krankheitsbedingt sind die Ausfälle in der Tat sehr hoch. Dementsprechend bleibt vieles liegen, das ist leider so. Da kann ich den Unmut der Bürger schon verstehen. Dagegen kann ich aber nichts tun. Wir hatten und haben eine Pandemie. Und ja, die Fluktuation ist hoch, sie ist in den vergangenen Jahren stetig angestiegen. Aber auch das ist kein Altenstädter Problem, sondern folgt einer allgemeinen Entwicklung. Die Gründe sind vielfältig: Das Lebensumfeld ändert sich, woanders öffnet sich eine neue Perspektive, man fühlt sich nicht wohl. Personalführung und Personalmanagement liegen mir jedenfalls sehr am Herzen.

Viele Bürger kreiden Ihnen an, dass Sie in Bruchköbel leben und Ihnen deswegen die Anbindung an die Gemeinde fehle.

Ich bin Altenstädter, durch und durch. Ich bin hier geboren, aufgewachsen und habe mein ganzes Berufsleben hier verbracht. Dass ich nach meiner Wahl zum Bürgermeister nicht von Bruchköbel zurück nach Altenstadt gezogen bin, liegt daran, dass meine Frau ihre Mutter betreute. In der Regel bin ich an sieben Tagen in der Woche im Rathaus. Vielleicht ist das meine Kompensation dafür, dass ich nicht hier wohne.

Sie haben ihr ganzes Berufsleben im Altenstädter Rathaus verbracht und sind die Karriereleiter stetig emporgestiegen. Salopp gefragt: Stellt sich in 45 Jahren eine gewisse Betriebsblindheit ein?

Ich nehme für mich das Gegenteil in Anspruch. Ich bin derjenige, der ständig nach Veränderung sucht. Meine Augen und meine Ohren sind immer offen, um zu sehen und zu hören, ob und wie man Dinge verbessern kann. Ich habe etwa vor ein paar Jahren unseren geplanten Rathaus-Anbau für mehr als sechs Millionen Euro gekippt, weil ich gesehen habe, wie die Arbeitswelt sich verändert und dass wir diesen Raumbedarf gar nicht mehr haben. Interkommunale Zusammenarbeit, Zusammenarbeit von kommunalen Bauhöfen, um die teuren Maschinen besser auszulasten, das alles sind Themen, an denen ich permanent arbeite.

Haben sich die Prioritäten in Ihrer Amtsführung in den vergangenen Jahren verschoben?

Nein. Meine Priorität war und ist es, mich um eine sehr gute Finanzausstattung der Gemeinde zu kümmern. Das ist die Basis für alles. Wenn du Geld hast, kannst du gestalten, dann kannst du unterstützen und Infrastruktur ausbauen. Darauf fußt im Grunde genommen alles. Und wir haben eine Menge auf die Beine gestellt, zum Beispiel in der Kinder- und Jugendarbeit. Der Erweiterung der Limesschule verdanken wir, dass wir heute in Altenstadt eine gymnasiale Oberstufe haben. Die Kitas in Altenstadt und Lindheim wurden erweitert, aktuell ist die in der Waldsiedlung dran. Ein Meilenstein für unsere Entwicklung war die 110-kV-Leitung. Wegen der mangelhaften Stromversorgung hatten Betriebe in der Waldsiedlung schon damit gedroht, wegzugehen Von den 3500 Arbeitsplätzen in Altenstadt ist der größte Teil in der Waldsiedlung. Auch für die Feuerwehren haben wir viel getan, gerade wurde die Planung für den Neubau in Höchst abgeschlossen und der Neubau für Lindheim beschlossen.

Nächstes Jahr endet Ihre vierte Amtszeit als Bürgermeister. Werden Sie noch einmal kandidieren? Einer fünften Amtszeit stünde nichts im Weg, denn die Altersgrenze für Bürgermeister wurde in Hessen 2015 aufgehoben.

Kennen Sie das Lied von Udo Jürgens: »Mit 66 Jahren…«? Aber um ihre Frage zu beantworten: Nein. Es sei denn, es gibt keine geeigneten Bewerberinnen und Bewerber.

Was werten Sie als den bisher größten Erfolg Ihrer langen Amtszeit? Und was als Ihre größte Herausforderung?

Da nehme ich Bezug auf eine vorhergehende Frage. Mein größter Erfolg ist sicher, die finanzielle Grundlage für die Entwicklung von Altenstadt geschaffen zu haben. Die größte Herausforderung ist, mich zu kümmern, dass es so bleibt. Denn jede Entwicklung der Gemeinde hat am Ende des Tages etwas mit Geld zu tun. Und man braucht Ideen, Pläne und Visionen für die Verwendung der Mittel.

Norbert Syguda kommt 1958 in Altenstadt zur Welt. Nach der Schule absolviert er in der Gemeindeverwaltung Altenstadt eine Ausbildung zum Verwaltungsfachmann. Er schließt ein Studium der Verwaltungs- und Betriebswirtschaftslehre an und steigt danach im Rathaus Sprosse um Sprosse auf der Karriereleiter empor. 2000 wird Norbert Syguda zum ersten Mal zum Bürgermeister seiner Heimatgemeinde gewählt. Inzwischen befindet er sich in seiner vierten Amtszeit. Norbert Syguda gehört der SPD an. Er ist verheiratet und Vater zweier erwachsener Kinder. Mit seiner Frau wohnt er in Bruchköbel.

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