1. Startseite
  2. Region
  3. Wetteraukreis
  4. Butzbach

Hilfe für Familien im Strafvollzug

Erstellt:

Von: Kays Al-Khanak

Kommentare

urnnewsmldpacom200901012_4c_3
Eine neue Landesfachstelle soll dafür sorgen, dass die Bedürfnisse von Kindern inhaftierter Eltern in Hessen stärker wahrgenommen werden und sie mehr Unterstützung bekommen. Auch in der JVA Butzbach. ARCHIV © DPA Deutsche Presseagentur

Wenn ein Elternteil eines Kindes ins Gefängnis muss, hat das oft weitreichende Folgen für die jungen Menschen. Um diese Kinder besser zu unterstützen, gibt es nun die Landesfachstelle Netzwerk von Inhaftierten in Hessen.

Bundesweit werden jedes Jahr 100 000 Kinder von einem Elternteil getrennt, weil in der Regel der Vater, manchmal die Mutter ins Gefängnis muss. Hessenweit sollen es 2700 Kinder pro Jahr sein. Astrid Dietmann-Quurk vom Gießener Verein Aktion - Perspektiven hält diese Zahlen für zu niedrig und für veraltet. Denn sie stammen aus einer Studie aus dem Jahr 2012. Dies ist besonders bitter angesichts der Tatsache, dass Kinder von inhaftierten Eltern selbst zum Opfer werden, weil sie psychisch und physisch unter dieser oft mehrjährigen Ausnahmesituation leiden. Für sie gibt es Hilfsangebote - aber bisher wenig Bewusstsein für deren Notwendigkeit. Dementsprechend wenig bekannt sind sie vor allem bei manchen Fachkräften. Dies soll die Landesfachstelle Netzwerk Kinder von Inhaftierten Hessen ändern. Federführend für das Modellprojekt im Bundesland ist seit Anfang des Jahres der Gießener Verein Aktion - Perspektiven.

Dass die Gießener mit dieser Aufgabe betraut sind, ist kein Wunder. Den freien Jugendhilfe-Träger gibt es seit über 50 Jahren; die Mitarbeiter haben viel Erfahrung, Inhaftierte, aber auch deren Familien zu unterstützen. Dementsprechend sind die Kontakte breit und ein Netzwerk bereits vorhanden. Deutschlandweit gibt es in sechs Bundesländern solche Projekte. Initiiert von Aktion - Perspektiven wird es in Hessen vom Sozial- und vom Justizministerium umgesetzt. Die Finanzierung ist für drei Jahre durch die gemeinnützigen Auridis Stiftung gesichert.

Projektmitarbeiterin Janina Bell erklärt, bei Kindern von Inhaftierten handele es sich um eine Risikogruppe. Ihre Lage habe vergleichbare Folgen wie die Trennung von einem Elternteil - nur mit dem Unterschied, dass ihre Situation noch mehr mit Scham besetzt sei. Es handele sich um ein gesellschaftliches Tabu, wenn ein Elternteil im Gefängnis sitzt. Dies wirke sich negativ auf die Entwicklung der Kinder aus: In der Schule lasse die Leistung nach, sagt Bell. Sie seien oft in sich gekehrt oder aggressiv. Wenn die Eltern nicht ehrlich mit den ihnen umgingen, verlören die Kinder das Vertrauen in sie. Physische Folgen wie Bauchschmerzen seien die Regel. Hinzu kämen soziale Folgen durch den Verlust von Freundschaften oder durch Ablehnung. Auch der zurückbleibende Elternteil ist betroffen, plötzlich von einem auf den anderen Tag alleinerziehend - mit allen auch wirtschaftlichen Konsequenzen.

Dass Kinder ihren inhaftierten Elternteil nicht mehr als zwei Stunden im Monat sehen dürfen, ist für Dietmann-Quurk ein Problem - auch angesichts der rechtlichen Grundlagen wie der Europaratsempfehlung und der UN-Kinderrechtskonvention. Um die Lage der Betroffenen zu verbessern, müssten Justiz und Jugendhilfe besser miteinander vernetzt werden. Das, sagt sie, sei das Hauptziel der Landesfachstelle.

Zielgruppe des Projekts sind Fachkräfte und Mitarbeiter in Justizvollzug, Jugendämtern, freien Trägern der Jugendhilfe und Familienbildung sowie der Schulsozialarbeit, Entscheider auf kommunaler und Landes-Ebene. Das Angebot richtet sich an nicht inhaftierte und inhaftierte Elternteile sowie deren Kinder zwischen 0 und zehn Jahren. »Ältere werden nicht weggeschickt«, betont Dietmann-Quurk.

Ziel ist es, Justiz und Jugendhilfe miteinander zu vernetzen, die Akteure in dem System zu sensibilisieren und zu qualifizieren und Betroffenen Angebote zu unterbreiten. Sie erhalten zum Beispiel Infomaterial als Orientierungshilfe und eine Erstberatung. Die Landesfachstelle soll dabei eine Lotsenfunktion für die Zielgruppe übernehmen. Dies geschieht zuerst in drei Modellregionen: In der JVA Butzbach, in einem Gefängnis für Frauen in Frankfurt und in einem für Männer in Kassel. Die dort geschaffenen Netzwerkstrukturen sollen langfristig auf ganz Hessen übertragen werden.

Es ist kein Hexenwerk, das sukzessive in Hessens Knästen Einzug halten soll. Wenn ein Kind sein inhaftiertes Elternteil besuchen will, kann es mit einem Bonbon an der Pforte durch den Vollzugsbeamten anfangen. Und Inhaftierte können in Kursen lernen, wie sich auf den Besuch ihres Kindes vorbereiten können. Es geht schlicht und ergreifend um den Ausbau der Familienorientierung im Strafvollzug.

Das macht die Taten nicht ungeschehen, kann aber helfen, die schwere Lage verständlicher und ein wenig erträglicher zu machen. Inge Bietz, Vorsitzende von Aktion - Perspektiven - und Geschäftsführerin Doris Wirkner betonen, dass davon auch die Gesellschaft insgesamt profitiere: Betroffene Familien rutschten nicht weiter in prekäre Lebenslagen ab. Und ein familienorientierter Strafvollzug sei förderlich für die Resozialisierung des Inhaftierten.

Auch interessant

Kommentare