»Cannabis ist immer noch ein Suchtmittel«

Beatrix Falkenstein und Maren Alen vom Zentrum für Jugendberatung und Suchthilfe für den Wetteraukreis sehen in der Legalisierung von Cannabis, wie sie derzeit geplant ist, keinen Vorteil.
Der Besitz von bis zu 25 Gramm Cannabis und der Eigenanbau von maximal drei Pflanzen sollen in Deutschland künftig straffrei sein. Zudem sollen der Anbau und die Abgabe von THC in speziellen Vereinen - den Cannabis-Clubs - erlaubt sein. Die teilweise Entkriminalisierung und Legalisierung ist zunächst in sogenannten Modellregionen vorgesehen. Beatrix Falkenstein und Maren Alen vom Zentrum für Jugendberatung und Suchthilfe für den Wetteraukreis sehen in der Legalisierung von Cannabis, wie sie derzeit geplant ist, allerdings keinen Vorteil.
Der Virologe Hendrik Streeck erklärte in einem Interview mit der »Welt«, dass »Menschen nach fast allem süchtig werden können«. Sehen Sie das genauso?
Alen: Unser Beratungsspektrum umfasst unter anderem Medien-, Konsum-, Spiel-, Pornografie-, Drogen-, Tabletten- und Alkoholsucht. Von Sucht spricht man dann, wenn die Aktivitäten des alltäglichen Lebens leiden. Indizien dafür sind, dass soziale Kontakte vernachlässigt und Erledigungen aufgeschoben werden, dass nicht mehr auf die Körperhygiene geachtet und der Job aufgegeben wird.
Sie beraten Menschen mit Suchtproblemen, auch jene mit Drogenproblemen. Ab wann spricht man bei Drogen von Sucht?
Falkenstein: Zwei Faktoren können zur Beurteilung von Drogenabhängigkeit herangezogen werden. Zum einen die Regelmäßigkeit des Konsums und zum anderen die Menge. Letztere ist stark davon abhängig, wie der Einzelne reagiert. Bei dem einen dauert der Fall in ein Suchtverhalten länger, bei dem anderen kürzer. Aus diesem Grund mögen die Definitionen der ICD-11 - der weltweiten Klassifizierung von Krankheiten - der Medizin helfen, uns in der Beratung jedoch weniger. Wir haben vor allem den Menschen als Individuum vor Augen.
Die Hemmschwelle, eine Suchtberatungsstelle aufzusuchen, ist bei einigen Menschen höher und bei anderen niedriger. Kommen Ihre Klienten freiwillig oder nach externer Anordnung?
Alen: Die Beratung bei uns ist sehr niedrigschwellig. Sie ist freiwillig, kostenfrei und - bei Bedarf - auch anonym. Es reicht ein Anruf, woraufhin ein Termin vereinbart wird. Auch ist keine Überweisung vonnöten. Zwar gibt es auch Fälle, in denen die Klienten kommen müssen, beispielsweise wegen einer gerichtlichen Auflage. Aber auch dann wird niemand dazu gezwungen, uns aufzusuchen. Dieser erste Schritt, zum Telefon zu greifen, wird oft als der schwerste empfunden, weil man sich in dem Moment eingestehen muss, dass man ein Problem hat. Wir bieten keine Therapie an, sondern beraten sowohl die Betroffenen als auch ihre Angehörigen und vermitteln an die weiterführenden Stellen.
Der Besitz und der Verkauf von Cannabis sind in Deutschland (noch) strafbar. Welchen Einfluss hat diese Sanktionierung auf Ihre Arbeit und wie würde sich eine Legalisierung auf Ihre Tätigkeit auswirken?
Alen: Die Beratung erfolgt unter der Einhaltung der Schweigepflicht. Insofern beeinträchtigt weder die Kriminalisierung von Cannabis unseren Arbeitsalltag noch würde die Entkriminalisierung eine Änderung unseres Arbeitsprozesses bewirken.
Manche Menschen betrachten Cannabis als klassische Einstiegsdroge. Wie sehen Sie das?
Falkenstein: Alkohol und Zigaretten sind sicher eher Einstiegsdrogen als Cannabis. Wobei Zigaretten im Gegensatz zu anderen Suchtmitteln keine Persönlichkeitsveränderung bewirken. Durch die bewusstseinsverändernde Wirkung von Alkohol besteht hingegen eher die Gefahr, auch andere Drogen zu konsumieren. Deshalb finde ich es fatal, dass man in Deutschland bereits mit 16 Jahren Alkohol kaufen darf.
Alen: Wir sollten eigentlich über die gesellschaftliche Akzeptanz von Alkohol sprechen. An fast jeder Supermarktkasse gibt es über oder unter den Süßigkeiten die alkoholischen Klopfer. Familien mit Kindern gehen daran vorbei, auch Menschen, die aufhören möchten, zu trinken. Zudem wird für Alkohol nach wie vor Werbung gemacht, auch in den Pausen von Fernsehsendungen, die für Kinder oder Jugendliche ausgestrahlt werden.
Frau Alen, Sie haben sieben Jahre in Kalifornien gelebt. Wie haben Sie den Umgang mit Alkohol, Drogen und Zigaretten in den USA wahrgenommen?
Alen: In Amerika ist der Erwerb von Alkohol erst ab 21 Jahren gestattet. Auch sonst ist der Alkohol- und Zigarettenkonsum in der Öffentlichkeit ein völlig anderer. Niemals wäre jemand mit einer Zigarette in der Hand an einem Kleinkind auf der Straße vorbeigelaufen.
Diese Einschränkung haben wir in Deutschland nicht. Sollte hierzulande mit dem Verkauf von Alkohol strikter umgegangen werden, um beispielsweise Minderjährige zu schützen?
Falkenstein: Ja, das sollte es. Das betrifft auch die Werbung. Diese wurde mittlerweile für Zigaretten verboten. Alkohol hingegen wird weiter beworben. Das bringt uns viele Klienten. Das muss man einfach so sagen. Und wenn man sieht, was manche Suchtmittel aus Menschen machen können, die aufgrund der Abhängigkeit nichts mehr haben und mit externer Hilfe versuchen, wieder zurück ins Leben zu finden, dann muss aus meiner Sicht eingegriffen werden.
Sie bieten unterschiedliche Formen der Hilfe an. Ist der Bedarf an Beratung bezüglich der Abhängigkeit von Cannabis gestiegen oder gesunken?
Falkenstein: Von 2020 auf 2021 ist der Cannabiskonsum im Wetteraukreis gestiegen und von 2021 auf 2022 eher der Alkoholkonsum. Wenn man sich das über unseren Trägerverein ansieht, der in ganz Hessen verteilt ist, dann ist die Abhängigkeit einmal mehr und einmal weniger stark vorhanden. Alkohol und Cannabis sind dabei die am häufigsten vertretenen Gesellschaftsdrogen und diejenigen, die man wahrscheinlich am einfachsten bekommt.
Die Bundesregierung plant eine teilweise Entkriminalisierung von THC. Besteht durch die eingeschränkte Legalisierung die Gefahr der Verharmlosung?
Falkenstein: THC ist nicht harmlos oder plötzlich gesünder, nur weil es jetzt vielleicht legal werden soll.
Alen: Cannabis ist immer noch ein Suchtmittel, das - unter anderem - Psychosen auslösen kann.
Vorgesehen sind der Besitz und Eigenanbau von THC in geringen Mengen sowie der Anbau und die Abgabe in speziellen Vereinen. Was halten Sie davon?
Falkenstein: Schlichtweg gar nichts. Ich glaube, dass das geplante Vorhaben nicht durchdacht ist und zu mehr Verunsicherung führen wird als zu klaren Regelungen. Letztere existieren bis jetzt noch nicht, sondern lediglich Eckpunkte.
Alen: Wir bieten auch Prävention in Schulen an, um Schüler zu informieren. Viele Jugendliche denken im Moment schon, dass der Konsum von Cannabis bereits legal ist und dass sie THC kaufen dürfen, auch wenn der Entwurf dies erst ab 21 beziehungsweise eingeschränkt ab 18 Jahren vorsieht.
Die Grünen halten die Verbotspolitik rund um Cannabis für gescheitert. Sehen Sie neben den erwähnten Nachteilen auch Vorteile?
Alen: Der medizinische Einsatz ist sicherlich nicht von der Hand zu weisen. Beispielsweise können Patienten während einer Chemo- oder Schmerztherapie durch Cannabis Erleichterung erfahren. Dafür muss es aber nicht legal sein, sondern - wie schon teilweise üblich - rezeptiert ausgestellt werden.
Falkenstein: Aktuell sehe ich keinen Vorteil in der Legalisierung, so wie sie derzeit geplant ist. Diese wird auch nicht anders umgesetzt werden, da das EU-Recht nicht gebrochen werden kann. Bei der jetzigen geplanten Umsetzung sehe ich - gerade in Bezug auf die speziellen Vereine - die Gefahr von Grauzonen.
Sie sprechen von nicht vorhandenen Vorteilen der derzeitig geplanten Cannabis-Legalisierung. Das heißt, Sie sind nicht grundsätzlich gegen eine Legalisierung?
Falkenstein: Ich glaube nicht, dass Cannabiskonsum für die Menschen zu einer verbesserten Situation führt, solange dieser nicht medizinisch indiziert ist. Vielleicht muss man in der Medizin darüber nachdenken, ob die Therapie mit THC zu streng gehandhabt wird. Ansonsten wird stark unterschätzt, wie schnell Cannabis Psychosen auslösen und zu einer psychiatrisch-stationären Behandlung führen und damit das komplette Leben auf den Kopf stellen kann. Es geht eben nicht nur darum, mal einen Joint zu rauchen.
Alen: Genau das ist das Problem. Man kann im Vorhinein nicht abschätzen, wie der Körper auf den Konsum reagieren wird.
Beatrix Falkenstein (59) absolvierte eine Ausbildung als Kinderkrankenschwester. 25 Jahre lang war sie in der Krankenhausleitung als Pflegedirektorin angestellt. Seit eineinhalb Jahren ist sie in der Einrichtungsleitung im Zentrum für Jugendberatung und Suchthilfe für den Wetter-aukreis tätig. Beatrix Falkenstein ist verheiratet und hat zwei erwachsene Stieftöchter. Maren Alen (36) studierte Soziale Arbeit und ist ausgebildete Sozialassistentin und Heilerziehungspflegerin. Sie arbeitete mehrere Jahre mit Menschen mit Schwerst-/Mehrfachbehinderung. Seit zweieinhalb Jahren ist sie als Sozialarbeiterin Beraterin im Zentrum für Jugendberatung und Suchthilfe in Büdingen. Maren Alen ist verheiratet und hat eine vierjährige Tochter.
Der Trägerverein Jugendberatung und Jugendhilfe betreibt im Wetteraukreis das Zentrum für Jugendberatung und Suchthilfe in Friedberg (Bismarckstraße 2). Außenstellen gibt es in Bad Vilbel (Friedberger Straße 84), Butzbach (Langgasse 22-24), Büdingen (Gymnasiumstraße 2), Nidda (Schillerstraße 42) und Karben (Ramonville Straße 1-3). Die Mitarbeiter stehen unter Schweigepflicht, die Hilfs- und Beratungsangebote können auch anonym wahrgenommen werden. Am Samstag, 1. Juli, können sich Interessierte während der Selbsthilfe-Meile in Bad Nauheim von 10 bis 15 Uhr informieren. Weitere Informationen gibt es im Internet auf der Webseite des Zentrums für Jugendberatung und Suchthilfe: https://zjswk.jj-ev.de/. VON ANJA CARINA STEVENS
