Christian Herrmann ganz persönlich
Ein rollendes R, gurgelnde Vokale, scheppernde Konsonanten. Die Wetterauer Mundart muss man hören. Das wusste schon Christian Herrmann, der Seniorchef der Buchhandlung Bindernagel. Diese Mundart zu bewahren, war ihm zeitlebens wichtig. Im Mai 2022 ist der Friedberger gestorben. Seine Kinder haben jetzt seine vergriffene CD wieder herausgebracht. Eine besondere Aufnahme als besonderes Andenken.
Es ist ein ganz besonderes Andenken an den Vater und ein sehr persönliches Geschenk, das Friederike Herrmann und ihr Bruder Moritz der Familie sowie allen Freunden machen: Sie legen eine CD von Christian Herrmann erneut auf. »Nach dem Tod unseres Vaters war uns das sehr wichtig«, sagt Friederike Herrmann. Entstanden sind die Aufnahmen bereits 2008 bei einer Mundart-Lesung im Bibliothekszentrum Klosterbau. Oliver Zenz hatte den Abend mitgeschnitten, um daraus zum 175-jährigen Bestehen der Buchhandlung Bindernagel eine CD zu machen: Die Mundart-CD »Wie kann mer net von Fribberch sei!«.
Fünf Friedberger Autoren hatte Christian Herrmann damals ausgesucht und deren Texte in Wetterauer Mundart vorgetragen. Zeilen von Franz Scriba, Henry Benrath, Wilhelm Konrad Philipps, Erich Stümpfig und Wolf Schmidt. Alle haben sie die Friedberger Mundart auf ihre ganz eigene Weise verwendet, in Prosa, Lyrik und Drama.
Als gelernter Schauspieler hat Christian Herrmann diese Texte professionell vorgetragen, die Besonderheiten durch Betonung herausgearbeitet, dazu eine Einführung über den jeweils berühmten Friedberger Literaten gegeben. »Die CD war schnell vergriffen, ist aber nie in Vergessenheit geraten«, sagt Moritz Herrmann.
Er hatte sie aufgrund der Nachfrage auf den gängigen Streaming-Plattformen eingestellt. Friederike Herrmann hat über die Mundart-CD in der Weihnachtszeitung der Buchhandlung berichtet. »Kunden wollten diese CD wieder in den Händen halten und anhören«, sagt die heutige Inhaberin der Buchhandlung auf der Kaiserstraße. Also hat sich die Familie entschieden, die 79-minütige Aufnahme erneut herauszugeben. Aktualisiert wurde die Vita des Sprechers im inneren des Covers. Die Außengestaltung der CD ist gleich geblieben. Das Titelbild zeigt eine Lithographie des historischen Friedbergs - Ein Blick auf das alte Bindernagel-Haus in der Burg, das heute ein Schulgebäude ist. Das Bild stammt aus dem Fundus, den Christian Herrmann auch zum Gestalten der Weihnachtsgrüße für seine Kunden verwendete.
Die Familie hat sich die Ursprungsaufnahmen von 2008 zunächst angehört: Geschnitten oder verbessert wurde nichts. »Es klingt sehr authentisch, das Publikum ist zu hören, eine ganz besondere Atmosphäre«, meint Friederike Herrmann. »Ein sehr persönliches Stück unseres Vaters. Ganz viel Christian Herrmann - so wie er eben war«, ergänzt Moritz Herrmann. Er war damals als Zuhörer im Bib- liothekszentrum, kann sich noch an den Abend erinnern. »Jetzt erlebe ich die Lesung durch den Mitschnitt noch einmal anders und neu«, sagt er.
Zu hören sind unter anderem »Des Brustbild«, »Der geschait Peter«, Auszüge aus »Die Mutter der Weisheit«, »Die Stotterschul«, »Es leiht on de Schul« und »Mei(n) Fribberg«. Besonders charmant: »Gespräch mit London« von Wolf Schmidt, in dem Christian Herrmann zwischen Hochdeutsch und Mundart wechselt. Auszüge aus einer Zeit, in der man noch mit einem Fernmeldeamt verbunden werden musste. Da fallen auch englische Sätze. Das Publikum lacht. »I will my woman speak.« »I understand gar nix«. Man muss sich einhören: Steine heißen »Staa«, viel wird »väil« ausgesprochen, die Frau wird zur »Fraa«, uns heißt »uus« und nirgends »nerjends«. Ein großer Vokalreichtum und ein rollendes R sind die Markenzeichen.
»Diese Mundart muss man hören, davon lebt sie«, ist die Buchhändlerin überzeugt. Christian Herrmann interpretiert die Mundart in Perfektion: die gurgelnden Vokale oder die scheppernden Konsonanten.
Seit einigen Jahren bringt der Verlag der Buchhandlung Bindernagel zur Weihnachtszeit Hörenswertes auf CD heraus. Wie die Erzählungen von Jack London oder die Liebesgeschichten - jeweils gelesen von Schauspieler und Bruder Mathias Herrmann. Alle CDs waren absolute Familienprojekte.
Dieses Jahr ist die CD noch persönlicher und stellt Friedberg - die Heimat der Familie Herrmann - und die Mundart in den Mittelpunkt. Christian Herrmanns Stimme kann man nun wieder hören und sich an ihn erinnern. An einen besonderen Friedberger, der die Wetterauer Mundart auf seine eigene Weise bewahrt hat. Festgehalten auf CD - Dank seiner Kinder.

