1. Startseite
  2. Region
  3. Wetteraukreis

Das Aulendiebacher Erfolgsrezept

Kommentare

bg_DSC02390_060623
»Wir motivieren die jungen Leute mit Übungen und der Teilnahme an Wettkämpfen«, sagen Sandra Kristek und Jochen Wagner von der Freiwilligen Feuerwehr Aulendiebach. © Anja Carina Stevens

Wie man im kleinen Büdinger Stadtteil Aulendiebach die Jugend motiviert und welche Rolle dabei die Verantwortung spielt, darüber sprechen die Vorsitzende und stellvertretende Jugendwartin Sandra Kristek und Jochen Wagner, Jugendwart und Schriftführer.

Am 17. Juli 1841 wurde im sächsischen Meißen die erste Freiwillige Feuerwehr Deutschlands - das freiwillige Feuerlösch- und Rettungskorps Meißen - offiziell gegründet. Die neue Idee verbreitete sich wie das künftig zu verhindernde Lauffeuer und wurde im ganzen Land aufgegriffen. Jochen Wagner, Jugendwart und Schriftführer der Freiwilligen Feuerwehr Aulendiebach, und die Vorsitzende und stellvertretende Jugendwartin Sandra Kristek schildern unter anderem, wie man die Jugend motiviert und mit welchen Herausforderungen die Wehren heutzutage zu kämpfen haben.

Oft gibt es nur wenige Mitglieder in der Jugendfeuerwehr, Sie dagegen sind in einem kleinen Ort sehr erfolgreich. Wie holen Sie die Kinder und Jugendlichen ins Boot?

Wagner: Wir betreuen seit 20 Jahren gemeinsam die Kinder und Jugendlichen im Verein. Angefangen haben wir dank der Hilfe des damaligen Ortsvorstehers mit einer Gruppe von sechs jungen Leuten. In den ersten Jahren betrieben wir eifrig Werbung, bis immer mehr Jugendliche teilnahmen. Später waren auch unsere Kinder und deren Freunde mit von der Partie. Viele sind auch privat miteinander verbunden, sodass wir uns wie eine große Familie fühlen. Zwischenzeitlich hatten wir 25 Kinder und Jugendliche. Das wurde organisatorisch zunehmend schwierig - und so warben wir dann bewusst nicht mehr weiter. Derzeit sind 16 Sieben- bis 18-Jährige aktiv.

Kristek: Wir wurden und werden oft bestaunt, weil wir als sehr kleiner Ort lange die größte Jugendfeuerwehr in Büdingen hatten. Mittlerweile ist auch Wolf von der Personenzahl her sehr stark. Der Wetteraukreis bezeichnete uns einst als charismatische »Menschenfänger«. Wir sind schon mit viel Herzblut und reichlich Motivation im Einsatz. So ist oft von der »blauen Meute« die Rede, wenn die Kinder und Jugendlichen mit ihren hellblauen T-Shirts zu den Wettbewerben fahren.

Wie halten Sie die Kinder und Jugendlichen bei der Stange?

Kristek: Wir motivieren die jungen Leute mit Übungen und der Teilnahme an Wettkämpfen. Jedes Jahr im März fahren wir von Freitag bis Sonntag nach Mengerskirchen, um zu trainieren. Dort versorgen sich die jungen Menschen selbst, unter anderem kochen sie und spülen ab. Neben dem Training runden Spiel und Spaß das Programm ab. Auch sonst finden immer wieder Aktivitäten außerhalb der Übungen statt, um so ein Rundumprogramm für das ganze Jahr zu schaffen.

Wagner: Unsere Kinder und Jugendlichen sind selbst so gepolt, dass sie engagiert trainieren wollen. Insofern führt unser Weg über die Wettbewerbe und das verbindet in der Form, dass man dabeibleiben möchte. Unser Ziel ist es, zu den Wettstreiten zu fahren und zu gewinnen, ob das jetzt funktioniert oder nicht. In vier Wochen finden die Wetterauer Kreismeisterschaft und die Stadtmeisterschaft in Büdingen statt.

Büdingen besteht aus 16 Stadtteilen. Warum sind ausgerechnet in Aulendiebach so viele Kinder und Jugendliche bei der Feuerwehr?

Wagner: Ich denke, ein großer Punkt ist unser gleichbleibendes Engagement seit über 20 Jahren. Wir sind beide über 50 und dennoch bin ich Jugendfeuerwehrwart. Jetzt kann man sich fragen, was das für eine Außenwirkung hat, gerade wenn viele Jugendwarte um die 18 sind. Die Antwort ist, dass gerade diese Konstanz einzigartig ist. Ein weiterer wichtiger Grund ist meiner Meinung nach der gegenseitige Respekt. Den leben wir den Kindern und Jugendlichen vor - und den wollen wir auch zurückhaben.

Sie legen Wert auf Disziplin, Verantwortung und Verlässlichkeit. Wie leben Sie diese Tugenden vor?

Kristek: Ein Beispiel ist, dass wir - wo auch immer wir hinfahren - die Handys außen vor lassen. Bei unseren Fahrten haben wir einen kleinen Kindergartenrucksack im Gepäck. In den kommen bei der Ankunft sämtliche Telefone, nach dem Wettbewerb werden sie wieder ausgehändigt. Das geschieht auf freiwilliger Basis. Wir wollen Kameradschaft pflegen, und ich glaube, dass es gerade im Handyzeitalter von enormer Bedeutung ist, dass man sich auch abseits von elektronischen Geräten amüsieren kann.

Wie überträgt man Kindern und Jugendlichen Verantwortung?

Wagner: Ein Aspekt ist ein funktionierendes Teamgefüge. Unsere 18-Jährigen haben beispielsweise keine Chance, bei den Wettbewerben in die erste Mannschaft zu kommen, weil das Alter eine Rolle bei der Punktevergabe spielt. Je älter die Mannschaft ist, desto weniger Punkte gibt es. Daher liegt der Altersdurchschnitt bei 13 oder 14 Jahren. Dennoch akzeptieren die 18-Jährigen ihre Rolle als Joker. Sollte jemand ausfallen, dann müssen sie einspringen und in allen Positionen fit sein.

Kristek: Die Zusammenarbeit im Team bewährt sich, wenn wir unterwegs sind. Die älteren Jugendlichen erstellen selbstständig Küchenpläne und beachten, dass sowohl ältere als auch jüngere Kinder dabei sind, da letztere noch keine Zwiebeln schälen können. Insofern übertragen wir den jungen Leuten Verantwortung, die sie wiederum weitergeben. Dieser Blickpunkt ist gerade bei der Feuerwehr wichtig. Denn wenn es brennt, dann sind wir nicht auf die Leistung eines Einzelnen angewiesen, sondern können das Feuer nur als Team löschen.

In vielen gemeinnützigen Vereinen sind neben Hauptamtlichen auch Ehrenamtliche aktiv. Wälzt der Staat die Verantwortung auf die Ehrenamtlichen ab oder ist es eine Verpflichtung der einzelnen Bürger, sich ehrenamtlich zu engagieren?

Kristek: Bei der Freiwilligen Feuerwehr wird das Ehrenamt ein Stück weit mehr gepflegt als beispielsweise in einem Fußballverein. Auch ist bei uns von vornherein klar, dass es sich um eine ehrenamtliche Tätigkeit handelt. Wenn man mit der Vereinswelt nicht aufgewachsen ist, dann kann das schon unverständlich oder schwer nachvollziehbar sein, dass man Zeit für etwas opfern soll, wofür man kein Geld bekommt. Dieses Argument wiegt womöglich in der Großstadt mehr als auf dem Land, wo man quasi in die Vereinskultur hineingeboren wird und diese von den Großeltern und Eltern mitgegeben bekommt.

Wagner: Ich denke, die Mischung, wie es sie derzeit gibt, ist gut. Der Staat duckt sich nicht weg, wenn ich überlege, wie sozial unser Land im Vergleich zu anderen Staaten ist. Demnach ist es legitim, dass sich die einzelnen Bürger nicht nur bedienen lassen, sondern selbst aktiv werden. Andere Vereine sind Kulturvereine. Diese können vom Staat nicht gesteuert werden, sondern das Bestreben muss aus dem Ort kommen. Bei der Feuerwehr haben wir die Besonderheit, dass wir kommunale Aufgaben erledigen. Wenn wir finanzielle Unterstützung benötigen, dann regelt das die Stadt. Allerdings brauchen wir diese Ausstattung auch und sind im Gegenzug 24 Stunden einsatzbereit.

Wie ist es generell um die gesellschaftliche Verantwortung bestellt?

Kristek: Ich denke, dass es in Zukunft schwieriger wird, freiwillige Helfer für Aktionen zu finden. In Aulendiebach findet in vier Wochen ein Dorffest statt. Und da ich im Festausschuss sitze, suchte ich zusammen mit anderen nach Menschen, die helfen könnten. Manche fragten, ob Leute gesucht werden, damit wir nicht selbst arbeiten müssen. In einigen Fällen sagten Menschen, dass sie lieber spenden als selbst zu helfen. Bezüglich der Feuerwehr höre ich manchmal die Frage, warum man sich dieses Ehrenamt antun sollte, wenn es teilweise Angriffe auf Rettungskräfte gibt.

Wagner: Ich glaube auch, dass es künftig schwerer wird, genügend Freiwillige an Land zu ziehen. Deutschland war in Europa immer besonders, was die Vereinskultur angeht. Aber auch bei uns wird die Globalisierung zu einem Rückgang des Vereinslebens führen. Büdingen hat die Auflage, neue Stützpunkte zu bauen, weil die bestehenden Feuerwehrgerätehäuser nicht mehr den aktuellen Sicherheitsstandards entsprechen. Bei der Zusammenlegung der Wehren in die Stützpunkte wird man dann sehen, ob wir Kameraden und Kameradinnen verlieren. Das wird in den nächsten fünf bis sechs Jahren eine spannende Phase werden.

Sandra Kristek (50) ist seit ihrem zwölften Lebensjahr Mitglied der Feuerwehr in Aulendiebach. Sie betreibt seit 25 Jahren Vorstandsarbeit und ist seit sechs Jahren Vorsitzende. Kristek war bis zur Geburt ihrer zweiten Tochter als Floristin und anschließend in der Gastronomie tätig. Sie ist verheiratet und hat zwei erwachsene Töchter. Jochen Wagner (54) ist seit seinem 14. Lebensjahr Mitglied der Feuerwehr Aulendiebach. Er arbeitet seit über 30 Jahren im Vorstand mit, ist seit 2003 Jugendwart und seit diesem Jahr Schriftführer. Wagner arbeitet im Vertrieb. Er ist verheiratet und hat eine erwachsene Tochter. VON ANJA CARINA STEVENS

Auch interessant

Kommentare