Das Lebensende planen

Seit mehr als 30 Jahren geht Prof. Wolfgang George der Sterbesituation in Deutschland auf den Grund. Die Ergebnisse seiner aktuellen Studie zeigen Verbesserungen durch den Aufbau von Palliativstationen und ambulanter Palliativversorgung. Gleichzeitig besteht Anlass zur Sorge, denn die Mehrheit der befragten Ärzte und Pflegekräfte blickt skeptisch in die Zukunft.
Dass während der Corona-Pandemie viele Menschen in Pflegeheimen und Kliniken einsam gestorben sind, ist eine traurige Tatsache. Dass die soziale, aber auch fachliche Betreuung massiv zurückgefahren wurde und die Angehörigen kaum Zugang hatten, bestätigen Ärzte und Pflegepersonal nun in der aktuellen TransMit-Studie zur Sterbesituation. An der Umfrage beteiligt haben sich 855 Mitarbeitende der Gesundheitsversorgung aus allen Bundesländern. Über die Hälfte betrachten die Zukunft der Sterbebetreuung skeptisch. Personalnot, unzureichende Qualifikation und Ökonomisierung, aber auch die fehlende gesellschaftliche Auseinandersetzung mit dem Lebensende werden als Gründe genannt.
Prof. Wolfgang George, Diplompsychologe und Leiter des TransMit-Zentrums für Versorgungsforschung, zeichnet ein differenziertes Bild. Es habe in den vergangenen Jahren durchaus positive Veränderungen gegeben, was mit dem 2015 verabschiedeten Gesetz zur Verbesserung der Hospiz- und Palliativversorgung zusammenhänge. Darin sind Einrichtungen verpflichtet worden, eine bestmögliche, vorausschauende Planung für das Lebensende der Bewohner zu organisieren. In diesem Bereich habe sich viel getan, doch sei immer noch »sehr viel Luft nach oben«.
Dasselbe gelte für die Sterbesituation in den Krankenhäusern. Auf den Palliativstationen (die es längst nicht in jedem Krankenhaus gebe) herrschten die besten Bedingungen sowohl für die Mitarbeiter als auch für die Patienten und Angehörigen. Am problematischsten gestalte sich der Sterbeprozess auf den Allgemeinstationen. Das gelte z.B. für die Möglichkeiten der Schmerztherapie, aber auch für die personelle Betreuung. 65 Prozent der Befragten (2013 waren es noch 43 Prozent) gaben an, dass oft bzw. immer unnötig lebensverlängernde Maßnahmen ergriffen würden.
Dies illustriere auf erschreckende Weise einen alltäglichen Zustand, der von niemandem gewollt, aber im laufenden Krankenhausbetrieb üblich sei.
Vorausschauende Planung ist für George eine elementare Säule im Versorgungssystem. Sie sei ein wichtiges Instrument, um Bedingungen zu schaffen, die ein würdiges Lebensende nach den Wünschen der Patienten ermöglichten. Vor allem aber sei sie ein Instrument, das vor Ort von den Beteiligten in den Kommunen umgesetzt werden könne. Zweifellos vermittelten Probleme wie Fachkräftemangel und Fehlentwicklungen im Gesundheitswesen ein Gefühl der Ohnmacht, und tatsächlich erschwerten sie die Situation immens. Dennoch sieht George Handlungsmöglichkeiten auch »vor der Haustür«:
Er hat im vergangenen Jahr einen Leitfaden für Kommunen herausgebracht, der die vorausschauende Planung in den Fokus nimmt und konkrete Vorschläge macht, was die Akteure tun können. Zentrales Ziel ist die Vermeidung von Überversorgung, insbesondere die nicht vom Patienten gewünschten und/oder nicht indizierten Verlegungen von sterbenden Menschen weg aus ihrer gewohnten Umgebung in eine Klinik. Studien zufolge betrifft dies bundesweit zwischen 100 000 und 150 000 Patienten und Bewohner jährlich. Aktuell sterben etwa 50 Prozent der Patienten im Krankenhaus, 30 Prozent im Pflegeheim (davon ca. 3 Prozent in Hospizen), aber nur 20 Prozent zu Hause. George: »Es ist davon auszugehen, dass viele Patienten ihren Ort des Sterbens nicht wunschgemäß wählen können«.
Dies könne durch ein Zusammenspiel aller Beteiligten verändert werden, sie brauchen konkrete Entscheidungshilfen. Eine wichtige Voraussetzung dafür sei, dass sich die Menschen über das Lebensende Gedanken machten und ihre Wünsche auch formulierten. Die Kommune könnte Veranstaltungen zu beispielsweise Patientenverfügung und Vorsorgevollmacht mehr in den Fokus rücken und generell zur Auseinandersetzung mit dem Lebensende ermutigen.
In einigen Altenpflegeeinrichtungen, auch in der Wetterau, werde bereits eine umfassende Abschieds- und Trauerkultur praktiziert, mit allen Bewohnern würden Gespräche über das Lebensende geführt. Je besser man deren Wünsche kenne, desto besser könne man sie auch berücksichtigen. Dasselbe gelte für die Einbeziehung der Angehörigen. George: »Sie gehören unbedingt mit ins Boot«. Er wünscht sich zudem eine Stärkung der Hausärzte, damit mehr Menschen bis zum Schluss zu Hause bleiben können. »Viele engagierte Mediziner wünschen sich das ebenfalls, aber alleine schaffen sie es nicht«, weiß er.
George ist skeptisch, ob in allen Pflegeeinrichtungen aus den verheerenden Erfahrungen der Pandemie die richtigen Konsequenzen gezogen wurden. »Wo keine Strukturen aufgebaut werden, bricht schnell alles zusammen«, sagt er. Eine Situation wie sie durch Covid verursacht worden sei, könne sich durchaus wiederholen. Der Experte bezweifelt, dass man überall besser darauf vorbereitet ist. Es gebe Heime, die sich aktiv mit den neuen Herausforderungen auseinandergesetzt hätten und eine vorausschauende Planung betrieben, und andere, die diese Weitsicht nicht besäßen.
