Debüt am Heiligen Abend

Am Heiligen Abend 1967 drückt Heinrich Nies, Organist der evangelischen Kirche in Ober-Seemen, dem damals 18 Jahre alten Herbert Vonhof ein Liedblatt in die Hand und sagt: »Ich kann heute Abend nicht.« Seither hat Vonhof in unzähligen Gottesdiensten und vielen Kirchen Orgel gespielt. Rückblick auf ein Organistenleben.
Dass der Junge Talent hatte, war offensichtlich. Als er vier oder fünf Jahre alt war, gab ihm der Vater eine Ziehharmonika, und schon nach kurzer Zeit spielte er auf dem Instrument seine Kinderlieder. Er hatte es sich selbst beigebracht. »Ich hatte wohl ein gutes Gehör«, erinnert sich Herbert Vonhof, Jahrgang 1949, an seine musikalischen Anfänge. Jahre später wird dieses Gehör seine Liebe zur Musik auf eine harte Probe stellen.
Herbert Vonhof wächst in Ober-Seemen als der Ältere von zwei Brüdern auf. Die Eltern, Vater Schuhmacher, Mutter Schneiderin, fördern die Begabung ihres Erstgeborenen und schicken ihn zum Akkordeon-Unterricht bei Lehrer Grunwald. Bezahlt wird mit Rauchware: »Zwei Packungen Zuban mit Filter«, weiß Herbert Vonhof noch. Weil der inzwischen Neunjährige das schwere Akkordeon nicht schleppen kann, fährt es der Großvater mit der Schubkarre zum Unterricht.
1959 stirbt die Großmutter und »plötzlich war sämtliche Fröhlichkeit aus dem Haus verbannt«, erzählt Vonhof. Alle tragen Schwarz, und Herbert darf sein Akkordeon nicht anrühren. Als das Trauerjahr endlich vorüber ist, hat er alles verlernt und muss bei null anfangen. Aber er macht rasch Fortschritte, und bald lernt der Junge beim Büdinger Chorleiter Heinrich Nagelschmidt Klavier. Nebenbei bringt er sich selbst das Gitarre spielen bei.
Ein Klavier in der Küche
In der Sängerklause der Kultur- und Singgemeinschaft (KSG) Ober-Seemen, deren Dirigent Nagelschmidt ist, darf Herbert Vonhof Klavier üben, muss dafür aber fortan im Chor mitsingen. Nach einem Jahr kaufen ihm seine Eltern ein Klavier, das sie in die Küche stellen, weil es in der kleinen Wohnung sonst keinen Platz dafür gibt. Günter Feig, sein Deutsch- und Musiklehrer an der Gederner Stolbergschule, wird sein Förderer. Herbert Vonhof sagt: »Ihm habe ich viel zu verdanken.«
Eigentlich soll er der Familientradition folgen und Schuster werden, »in fünfter Generation«, aber er hat andere Pläne. Mit 18 Jahren besteht er die Aufnahmeprüfung an der Musikhochschule Frankfurt und studiert Schulmusik für Klavier und Kontrabass und Germanistik an der Goethe-Universität. Nebenbei spielt er in der Kapelle »Regina« Akkordeon und Gitarre und verdient wochenends in den einschlägigen oberhessischen Tanzlokalen jener Zeit mit zwölf Mark Stundenlohn gutes Geld.
Neben dem Studium nimmt er Orgelunterricht - und wird am 24. Dezember 1967 von jetzt auf gleich vom damaligen Ober-Seemer Organisten Heinrich Nies zum Spielen im Gottesdienst verpflichtet. Eine Aufgabe, die er sich künftig mit drei anderen jungen Ober-Seemern teilen wird. »Wenn jemand gesagt hätte, du kriegst 50 Mark, wenn du mich spielen lässt, hätte ich das sofort gemacht«, berichtet er von jenem denkwürdigen Tag. Die Nervosität vor dem Spielen hat er nie ablegen können, »aber wenn es dann losgeht, ist alles gut«.
Zwölf Jahre ohne Musik
Bis 1990 bleibt er, inzwischen Lehrer am Büdinger Gymnasium, Organist in seinem Heimatdorf. Seit 2002 spielt er in den Kirchen Wallernhausen, Ober- und Unter-Lais, Fauerbach und Glashütten. Dazwischen liegen zwölf schmerzvolle Jahre ohne Musik. Ende der 1980er Jahre erleidet Herbert Vonhof zwei Hörstürze. »Danach war alles anders«, bekennt er. Von lauten Tönen bekommt er Schwindelanfälle. Er zieht sich zurück in die Stille und beendet alles, den Orgeldienst, den Klavierunterricht und die Chorleitung. Auf dem rechten Ohr ist er nun taub und muss lernen, mit der Beeinträchtigung zu leben: »Man legt sich Techniken zurecht und kann irgendwann damit umgehen.«
In zwei Minuten an der Orgel
Als Beate Henke, damals als Schulseelsorgerin am Büdinger Gymnasium seine Kollegin, 2001 Gemeindepfarrerin in Wallernhausen wird, lässt er sich überreden, es dort noch einmal als Organist zu versuchen. »Pfingsten 2002 habe ich dann tatsächlich wieder angefangen.« Zum Glück, denn es geht gut.
Seit zwei Jahren ist Herbert Vonhof auch einer von vier Organisten der evangelischen Kirchengemeinde Gedern, was er einen »Riesenglücksfall« nennt. »Ich bin zum Üben in zwei Minuten in der Kirche« und »die Chemie« zwischen ihm und dem Instrument stimme. Die Orgel, das weiß er schon lange, ist sein Instrument. »Für das Klavier sind meine Finger eigentlich ein bisschen zu kurz.«
Die Gottesdienste am Silvesterabend liegen ihm am Herzen. Und die zu Pfingsten, »da bin ich immer gespannt auf die Predigt«. Die Trinitatis-Gottesdienste vom ersten Sonntag nach Pfingsten bis zum Ewigkeitssonntag, die alle einem gleichen Ablauf folgen, bieten ihm die Gelegenheit, »auch mal etwas auszuprobieren und mit Liedern zur variieren«.
Deshalb schätzt er die Zusammenarbeit mit Beate Henke und Kerstin Hillgärtner, den Pfarrerinnen »seiner« Kirchengemeinden. »Da kann ich mir als Organist auch etwas wünschen.«
Seine berufliche Laufbahn als Lehrer für die Fächer Deutsch und Musik beginnt Herbert Vonhof 1973 am Kaiserin-Friedrich-Gymnasium in Bad Homburg. Sechs Jahre später, inzwischen verheiratet und Vater, kehrt er zurück in den Vogelsberg und baut in Gedern für sich und seine Familie ein Haus. Von 1979 bis 2012 unterrichtet er am Büdinger Wolfgang-Ernst-Gymnasium und engagiert sich mehrere Jahre als Pressesprecher des Hessischen Philologenverbandes sowie im Hauptpersonalrat beim Hessischen Kultusministerium. Neben seiner Organistentätigkeit leitet er mehrere Chöre, den gemischten Chor Burkhards, die KSG Ober-Seemen und die Harmonie Steinberg. Außerdem gibt er Klavierunterricht.
Die Vonhofs sind eine musikalische Familie. Ehefrau Rosi spielt Akkordeon, die beiden Töchter Stephanie und Christine haben mehrere Instrumente gelernt und Enkeltochter Nele (12) spielt seit einem Jahr mit wachsender Begeisterung Saxofon, sehr zur Freude ihres Großvaters, der Johann Sebastian Bach seinen Lieblingskomponisten nennt, aber auch gerne jazzige Töne anstimmt. Neben der Musik spielt Literatur im Leben von Herbert Vonhof eine große Rolle. Goethe (»Den Faust habe ich mindestens 50-mal gelesen und je nach Alter einen neuen Blick auf das Werk gewonnen«), Thomas Mann und Joseph von Eichendorff sind Autoren, die er besonders schätzt.