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Dekanin Birgit Hamrich: Das Gebet gehört für mich genauso in den Alltag wie der Cappuccino am Morgen

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»Da hilft nur noch Beten« heißt es in einem Gottesdienst, der am Buß- und Bettag in der evangelischen Stadtkirche in Nidda stattfindet. © pv

Welche Bedeutung hat das Gebet in diesen so unruhigen Zeiten? Das hat der Kreis-Anzeiger Dekanin Birgit Hamrich vor einem Gottesdienst zum Buß- und Bettag in der Stadtkirche Nidda gefragt.

Der Frauenausschuss des evangelischen Dekanats Büdinger Land lädt zu einem Themengottesdienst am Buß- und Bettag ein. Er findet an diesem Mittwoch, 16. November, in der evangelischen Stadtkirche in Nidda statt. Beginn ist um 19 Uhr. Der Gottesdienst mit Posaunen- und Orgelmusik ist mit den Worten »Da hilft nur noch Beten« überschrieben. Darüber hat diese Zeitung von Dekanin Birgit Hamrich gesprochen.

Das Gottesdienst-Motto kann man so (miss)verstehen, als sei Beten der »allerletzte Notnagel«, nachrangig nach anderen Bewältigungsstrategien. Welchen Stellenwert messen Sie dem Gebet bei?

Für mich gehört das Gebet so selbstverständlich in meinen Alltag wie der Cappuccino am Morgen. Im Gebet fühle ich mich verbunden mit etwas Größerem, das über meine Wahrnehmung hinausweist. Für mich ist es Gott. Eine andere Ausdrucksweise von »da hilft nur noch Beten« ist »Not lehrt Beten.« Die Erfahrung zeigt, dass Menschen nach Katastrophen wie dem 11. September 2001, Amokläufen oder aktuell dem Krieg in der Ukraine, in Kirchen gehen, Kerzen anzünden, Gemeinschaft suchen. Es ist gut zu wissen, wohin ich mich in meiner Not wenden kann, wo es Orte in Reichweite gibt, die dafür offen sind. Doch damit das Gebet als Bewältigungsstrategie in einer Notsituation greift, brauchen Menschen positive Vorerfahrungen. Deswegen ist es sinnvoll, heute schon eine eigene Gebetspraxis zu pflegen. Betende Menschen werden vor Schwierigkeiten nicht bewahrt, aber Schwierigkeiten erscheinen in einem anderen Licht.

Viele Menschen finden es schon schwierig, aus dem Alltagsstress abends zur Ruhe zu kommen. Wie kann man die Ruhe zum Beten finden?

Mittlerweile gibt es eine Flut von Meditationsratgebern zum Thema »Ruhe finden«, auch für das Gebet. Ganz einfach: indem bewusst eine Insel der Ruhe freigehalten wird. Es tut nicht gut, aus einer hitzigen Debatte direkt nach einem intensiven Fernsehabend ins Bett zu gehen. Alle heftigen Bilder, Gedanken und Worte gehen mit. Ganz bewusst diese Inseln der Ruhe aufzusuchen und zu pflegen, hilft, aufgewühlte Gedanken zu sortieren.

Kann man Beten lernen? Ist es eine Hilfe, von Kind auf an das Tischgebet oder das Abendgebet gewohnt zu sein? Oder wird so das Beten zu einer konventionellen Pflicht?

Feste Rituale sind das A und O - je früher eingeübt, desto besser. Wenn Kinder von Anfang an damit aufwachsen, dass ein Tischgebet gesprochen und gemeinsam mit dem Essen begonnen wird, tut das allen gut. Alles ohne Zwang - sonst kann das Gebet zu einer wenig hilfreichen Pflichtübung werden.

In jeder Lebensphase gibt es den richtigen Zeitpunkt, die Kraft des Gebetes zu entdecken. Sich bei einem Gottesdienst hineinnehmen zu lassen in die Gebete der anderen, Worte und Texte mitzusprechen und dabei das Eigene zu entdecken ist eine gute Möglichkeit dafür. Menschen erzählen mir, dass einer der dichtesten Momente während eines Gottesdienstes für sie die Gebetsstille ist. Ohne große Worte sind Herz und Seele dann für das Göttliche offen.

Im Lauf der Jahrhunderte haben sich unterschiedliche Gebetsformen entwickelt: Einzelgebet, Gemeindegebet, Singen, Bewegungs- und Rhythmusbetontes wie die Taizégebete und anderes mehr. Ist es Wildwuchs oder die »Freiheit der Kinder Gottes«, sich Gebetsformen zu suchen, von denen man sich besonders angezogen fühlt?

Verschiedene Lebensphasen, verschiedene Anlässe erfordern unterschiedliche Formen des Sprechens mit Gott und diese Fülle der Formen sind eine unerschöpfliche Quelle, aus der wir unseren Durst stillen dürfen. Es ist legitim, Form und Inhalt zu finden, die in der aktuellen Situation das ausdrücken, was mich gerade umtreibt. Rhythmische Beats, eine Bach-Kantate, ein Psalm, eigene Worte oder Stille - das ist zweitrangig. Ich persönlich bin sehr dankbar, in einer Kirche beheimatet zu sein, in der die »Freiheit der Kinder Gottes« Raum hat. So ist für mich die Kraft der Gemeinschaft, des gemeinsamen Singens, Betens, Schweigens unverzichtbar geworden. Der Buß- und Bettag ist eine gute Möglichkeit, über die eigene Gebetspraxis nachzudenken.

Gibt es ein Gebet, das Ihnen persönlich viel bedeutet und Sie durch Ihr Leben begleitet hat?

Ja, das Vaterunser, das in seiner Kürze die Fülle des Lebens umspannt. Die einzelnen Bitten leuchten je nach Situation ganz unterschiedlich auf und das ist gut so. Den Tag beginne ich gerne mit einer Zeit der Stille, dem Lesen eines Bibelverses oder eines Abschnittes und lege Gott ans Herz, was mich beschäftigt und von dem ich weiß, was auf mich zukommt.

In diesen Tagen ist mir wieder das Friedensgebet nähergekommen, das dem heiligen Franz von Assisi zugesprochen wird: »Gott, mache mich zum Werkzeug deines Friedens, dass ich Liebe übe, wo man sich hasst…“

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