Den Klezmer wiedergefunden

Klezmer, die charakteristische Musik des jüdischen Schtetl, war bei einem Konzert in der Liebfrauenkirche zu hören, das vom Kulturprojekt »Tra-Vogelsberg« initiiert wurde.
Klezmer, die charakteristische Musik des jüdischen Schtetl, ist ein Klang mit bewegter Geschichte und zugleich Inspirationsquelle neuer Kompositionen.
Ungewöhnlich auch, wie dieses Klezmer-Trio, das in der Liebfrauenkirche auftrat, zusammenfand. Elisabeth Schwartz (Gesang) und Yale Strom (Violine), ein Musikerpaar aus dem kalifornischen San Diego, trafen in Prag den jungen weißrussischen Akkordeonisten Sasha Yasinsky und entdeckten die gemeinsamen Interessen am Musizieren, an Klezmer zwischen Lebensfreude und Melancholie. Eine suggestive Zusammenarbeit baute sich auf. Erfreulich, dass »Tra-Vogelsberg« das Trio während dessen Tournee durch die Niederlande und Norddeutschland auch nach Schotten bringen konnte.
Eigentlich hatte das Konzert eine weit längere Vorgeschichte, wie im Nachgespräch deutlich wurde. Die tradtionellen Klezmerstücke wurden über Jahrhunderte gar nicht aufgeschrieben, sondern allein durch Hören und Nachspielen von Generation zu Generation weitergeben. Zeiten der Verfolgung, etwa im zaristischen Russland oder in der Shoah, unterbrachen diese musikalische Weitergabe-Kette.
Die Recherche war oft sehr schwierig
Seit 1960 erwachte weltweit das Interesse an diesem Musikstil, verbunden mit einer Recherche, die oft schwierig war. Diese Erfahrung machte auch Yale Strom, Filmemacher, Komponist, Autor, der mehrfach in die Länder des damaligen Warschauer Pakts reiste, um Klezmerspieler und ihre Zuhörer, Melodielinien, Texte aufzuspüren und zu dokumentieren - Schwartz spricht von der »ethnografischen Suche« ihres Mannes. Das wurde damals von der offiziellen Regierung der Länder nicht gerne gesehen, zwischen Klezmer und den offiziellen Märschen und Hymnen der«staatstragenden Musik« lagen Welten. Strom musste sein recherchiertes Material oft subversiv versteckt über die Grenzen bringen. Aber so wurden faszinierende Begegnungen dokumentiert, etwa in Stroms Film »The last Klezmer« über Leopold Kozlowsky.
Im Schottener Programm wechselten Traditionals mit Eigenkompositionen Stroms und Yasinskys. So erklangen die rhythmisch mitreißende Tanzmelodie des »Berditshever«, das »Berhometlid«, der«Pilky« und ein weiterer Tanz, bei dem Strom aufzeigen konnte, wie sehr Bela Bartok von dieser Melodie fasziniert gewesen war und sich davon zu einem Stück hatte inspirieren lassen.
Was dem Publikum zunächst auffiel, war die Liedhaftigkeit der Melodien, unterstrichen durch die tragende, ausdrucksstarke Stimme von Schwartz. Oft seien die Melodien inspiriert vom Gesang des Kantors in der Synagoge, betonte Strom. Doch die Zuhörer erlebten weit Vitaleres als getragene »liturgische« Musik. Stroms stimmungsvolles Geigenspiel mit vielen Variationen, elektrisierenden kleinen Trillern und Intervallen, Yasinskys Akkordeon, das meist das rhythmische Gerüst gab und doch melodische Akzente setzte, begeisterten.
Das Trio zeigte eine hohe Kunst der Improvisation. Oft gab das Publikum Tumultapplaus, besonders nach Eigenkompositionen, etwa nach einem Akkordeonsolo zwischen Klage und Aufschrei, das Yasinsky seinem weißrussischen Volk und den Kämpfern und Leidenden in der Ukraine gewidmet hatte oder nach Stroms Lied »Ben Avrameni«. Und immer wieder erklangen musikalische Vernetzungen, etwa bei zwei hessischen Liedern, die Strom in Klezmermanier verwandelt hatte.
So endete das Konzert mit langem lebhaftem Beifall und der inoffiziellen Einladung der Zuhörer: »Kommt wieder!«
Am Vormittag in der Grundschule
Bereits am Vormittag hatten Yale Strom und Sasha Yasinsky mit einem 45-minütigen Auftritt rund 90 Kinder der Schottener Grundschule und der Digmudisschule mit ihrem Repertoire von jüdischen, ukrainischen, deutschen und amerikanischen Volksliedern begeistert.
Dank einfacher Erläuterungen und der direkten, kindgemäßen Ansprache fanden die beiden Musiker schnell Kontakt mit den Kindern, die immer wieder mitsangen und zum Rhythmus der Musik in die Hände klatschten. Am Ende wurden Yale Strom und Sasha Yasinsky nicht ohne Zugabe aus diesem besonderen Konzert entlassen.
