Der letzte Büdinger Landarzt

Nach mehr als 45 Jahren hat Peter Itzel Ende 2022 seine Praxis geschlossen. Einen Nachfolger hat der Allgemeinmediziner nicht gefunden. Itzel war der letzte Büdinger Landarzt klassischer Prägung.
Für das Büdinger Land war Dr. Peter Itzel ein Glücksfall. Für den Allgemeinmediziner entpuppte sich die Arbeit nie als Belastung, sie war im Gegenteil immerzu Berufung. »Weil ich selbst gesund bin, finde ich jeden Tag die Kraft, Menschen, denen es nicht so gut geht, etwas zurückzugeben«, sagt der Mann, der zum Jahresende nach mehr als 45 Jahren seine Praxis in der Gymnasiumstraße aufgegeben hat.
Peter Itzel traf diesen Entschluss freilich schweren Herzens. Zu vielen seiner Patienten pflegte er über Jahrzehnte eine besondere Beziehung. Diagnosen und medizinische Entscheidungen gingen stets mit einem privaten Wort, voller Fürsorge und häufig genug mit einer freundschaftlich-familiären Ansprache einher. Peter Itzel sorgte mit seiner ruhigen und besonnenen Art für eine Grundzuversicht in vielen Häusern. Der Doktor war als guter Geist stets Teil der Familie. Somit kam die Praxisaufgabe tatsächlich dem Ende einer Ära gleich, Peter Itzel war der letzte Büdinger Landarzt klassischer Prägung.
Praxiseröffnung im April 1977
Als er im April 1977 seine Praxis eröffnet, kennt Itzel Büdingen schon recht gut. Drei Jahre arbeitete er zuvor als Assistenzarzt im Mathilden-Hospital. Seine erste Stelle hatte der gebürtige Offenbacher nach seinem Medizinstudium in Marburg am Kreiskrankenhaus Schotten inne. »Das Schicksal meinte es immer gut mit mir, vor allem hier in Büdingen«, sagt Peter Itzel in der Rückschau. Seine Worte klingen nach Dankbarkeit und tiefer Zufriedenheit.
Der berufliche Start in der früheren Kreisstadt fiel ihm leicht. Als Hausarzt übernahm er viele Patienten von Ärzten, die damals gerade in den Ruhestand gingen. In mehr als viereinhalb Jahrzehnten musste Itzel nur zweimal für jeweils zwei Wochen seine Praxis schließen - nach einem Verkehrsunfall und zuletzt nach einem positiven Corona-Test, jedoch ohne Krankheitssymptome. Davon profitierten gleich mehrere Generationen von Patienten.
Peter Itzels Stärke war stets das persönliche Gespräch. »Jemand muss vor mir sitzen und erzählen dürfen. Ich höre zu, wäge ab und treffe eine Entscheidung. Danach soll der Patient meine Praxis zufrieden verlassen.« Was einfach klingt, braucht stets die richtige Mixtur aus Fachwissen, Erfahrung und Gespür für Menschen. Peter Itzel verstand es immer, sein Gegenüber in den Fokus zu rücken. Die eigene Person, der Schick in der Praxis, gesellschaftliche Attitüden oder das Mitmachen aktueller Trends waren ihm dagegen einerlei.
Der Arzt war gewiss konservativ in seiner Ausrichtung - 45 Jahre lang derselbe Schreibtisch, dieselben Schränke, dieselbe Umgebung. »Mir war wichtiger, dass nie mehr als zwei Patienten im Wartezimmer sitzen, denen ich mich in Ruhe widmen kann.« Das konnte dann auch mal am Sonntag in aller Früh so sein. Vor dem Brötchenholen saß er in der Praxis, ging Befunde durch, bearbeitete die Post und plante die neue Woche. »Für einige meiner Patienten war der Sonntagmorgen ein Geheimtipp. Vor allem solche, die Angst hatten, kamen dann gerne vorbei.«
Die Digitalisierung hingegen war seine Sache nicht. Einen Computer suchte man bei ihm lange vergebens. »Ja ja, die Technik«, seufzt er und muss dann doch lachen. »Mir ist natürlich klar, dass es ohne sie nicht geht.« Es saßen viele Patienten vor ihm, die nach bestimmten Symptomen gegoogelt haben »und sich plötzlich mit der schlimmsten Krankheit konfrontiert sahen«, erinnert sich Itzel. »Mit ihnen habe ich geschimpft. Keine Technik und kein Computer werden je einen Hausarzt ersetzen können.«
Selbstlosigkeit, Einfühlungsvermögen und die richtigen Schlüsse ziehen - so behandelte Peter Itzel im Laufe der Jahre eine große Anzahl an Patienten, die sich bestimmt im fünfstelligen Bereich bewegt. Stets agierte und dachte er im Team. Itzel schätzt die Nähe seiner Praxis zum Krankenhaus, das keine 400 Meter entfernt lag. Er spricht von hervorragenden Kollegen und tollem Teamwork. Ausdrücklich gilt das auch beim Blick auf die eigene Praxis. »Vor allem meine Arzthelferinnen haben Großartiges geleistet.« Besonders hebt Peter Itzel seine langjährige erste Kraft Gudrun Wolf, die ihm stets den Rücken freigehalten hat, hervor. »Dafür bin ich ihr für immer dankbar.«
Seinen Angestellten hatte der passionierte Eintracht-Fan es auch zu verdanken, dass er den Empfang der Mannschaft nach dem Europa-League-Sieg im vergangenen Jahr in Frankfurt miterleben durfte. »Sie haben mir für diesen Nachmittag heimlich die Sprechzeiten blockiert und mich aus der Praxis geschickt. Nur so konnte ich diesem Jahrhundertereignis beiwohnen«, schwärmt er.
Familie als Lebensglück
Peter Itzel betont, dass ein solches Leben nur mit einer Familie funktionieren konnte, die bereit war, auf den Ehemann und Vater häufig zu verzichten. Seine Frau, die drei Kinder und fünf Enkelkinder sind es, mit denen der 74-Jährige fortan mehr Zeit verbringen möchte. »Sie bereiten mir große Freude. Mein Lebensglück hat mir immer die Kraft gegeben, in Ruhe und Ausgegleichenheit meiner verantwortungsvollen Arbeit erfolgreich nachzugehen.« Er spielt mit dem Gedanken, demnächst Italienisch zu lernen, da seine Frau großer Italien-Fan ist.
Man merkt, dass Peter Itzel mit seinem neuen Lebensabschnitt noch ein wenig fremdelt. Zumal er für seine Praxis gerne einen Nachfolger gefunden hätte. »Somit müssen die Büdinger Ärzte meine Patienten übernehmen, obwohl sie doch schon weiß Gott genug zu tun haben.« Peter Itzel weiß, dass sich der Beruf, dem er fast fünf Dekaden mit großen Leidenschaft nachgehen durfte, verändert hat. In vielen Bereichen bedauerlicherweise nicht im Sinne der Ärzte und des Gros der Patienten...