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Der zweite Blick statt der ersten Emotion

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Von: Myriam Lenz

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Büdingen (myl). Seit 2019 ist Gwen Trebing Schöffin beim Amtsgericht Büdingen. Sie macht das gerne. Und auch im fünften Jahr ihres ehrenamtlichen Engagements ist das Interesse keineswegs geringer geworden. Die Finanzbeamtin will sich für die kommende Wahl erneut aufstellen lassen.

Vier- bis fünfmal im Jahr sitzt die 29-Jährige mit einem weiteren Schöffen an der Seite von Richterin Barbara Lachmann, urteilt in meist kleineren Verfahren wie zum Beispiel Drogendelikten. In der Regel ist es ein Verhandlungstag. »Meist ist man in ein, zwei Stunden durch.«

Doch es gibt auch Ausnahmen. Gerade als Gwen Trebing schwanger war, musste sie über den Besitz und die Weitergabe von Kinderpornografie urteilen. Genau erinnern kann sie sich auch an den Fall, als ein älterer Mann seine Frau mit einem Hammer erschlagen hatte. Er war sauer, weil sie nicht für ihn gekocht hatte. »Da sitzt man da, denkt: Werde ich jetzt gerade veräppelt? Ist es sein Ernst, dass er sich in der Rolle des Opfers sieht?« Der Mann war vorher nie negativ in Erscheinung getreten, wollte seine Frau sicherlich nicht umbringen, sagt sie.

Das habe sie über die Jahre im Gericht gelernt: Dass man die eigenen Emotionen und die ersten Gedanken etwas zurücksteckt und neutral betrachtet: Was ist eigentlich passiert? Was ist das für ein Mensch? Wie sind die sonstigen Umstände? Und: Was gibt das Gesetz her?

Für das Urteil zählt das, was in dem Hauptverfahren thematisiert wird. Die Schöffen erhalten vorher nur die nötigsten Informationen, um unbefangen in die Verhandlung zu gehen. Eine rechtliche Vorbereitung gibt es nicht, nur eine Broschüre mit allgemeinen Informationen. Einerseits kann Gwen Trebing dies nachvollziehen, andererseits könnte sie sich vorstellen, dass Beispielsachverhalte die eigene Neutralität schulen könnten.

Die Verantwortung für ein Urteil zu tragen, falle ihr nicht schwer, »weil ich weiß, ich habe Frau Lachmann an meiner Seite.« Was ein komisches Gefühl verursache, sei, dass sie vielleicht jemanden aus dem Gericht in der Stadt treffe. Dann fragt sie sich: »Wie verhält er sich mir gegenüber?«

Hier das rebellierende Bauchgefühl, dort das Gesetz - das sei das Spannende an diesem Ehrenamt. Als Schöffin erfahre sie, wie wichtig es ist, einen funktionierenden Rechtsstaat zu haben. Das Gegenteil erlebe man aktuell im Iran. »Auch erfahre ich bei Gericht, dass man nicht wegen einer Banalität, so ungerecht sie sich anfühlt, verurteilt wird. Denn man könnte einem auch seine Zukunft verbauen.«

Gwen Trebings Fazit: »Man lernt, Situationen mit Abstand zu betrachten. Das finde ich sehr wichtig.«

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