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Die Pracht ist verblüht

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WOLFERBORN - Für die Vögel der Starenschreck, für die Kinder der Stock. An die Kirschen am Holzberg durfte niemand. Der Gemeindearbeiter Geiß passte gut auf. Denn bald sollten die süßen Früchte versteigert werden. Der junge Manfred Hix und seine Freunde schafften es doch immer wieder, den Aufpasser auszutricksen, schlichen sich von der Seite an die Bäume ran, um mit diebischer Freude die Schwarzkirschen zu naschen.

Schnell weg, bevor der Geiß kam.

„Früher hab’ ich die Kirschen geklaut, später habe ich dann selbst für Ordnung gesorgt“, erzählt Manfred Hix lachend. Seit einem Jahr ist der ehemalige Erste Stadtrat Rentner, fährt jeden Tag einkaufen, kümmert sich um den Garten, seine Ehrenämter und eigene Obstbaumwiese.

150 Kirschbäume sind nach Kriegsende auf dem Holzberg auf drei Grundstücke der Gemeinde verteilt gepflanzt worden. Das hatte System. Zwei Achsen, eine gerade und eine diagonale, sind noch zu erkennen. Die Plantagen würden heute sämtliche Auszeichnungen erhalten: regional, ökologisch und ein bisschen sozial. Weil sie eben für die Bevölkerung waren.

Um 14 Uhr begannen die Versteigerungen. Die Interessenten liefen von Baum zu Baum, unter ihnen sogar welche aus Brachttal. Das Geld war damals knapp, das Obst begehrt. Jeder Baum hatte eine Nummer. Einen kleinen gab es schon für fünf Mark. „Noch ein Angebot?“, hatte Bürgermeister Landmann gefragt. „Ja, hier. Also sechs Mark. Zum Ersten, zum Zweiten, zum Dritten...“ Wer den Zuschlag erhielt, holte Leiter und Wäschekorb und begann zu ernten. Genau darauf achtend, dass niemand sich im Baum verirrte. „Was war das schön, wenn alle Bäume geblüht haben“, erinnert sich Hix. Ein weißes Blütenmeer oberhalb Wolferborns.

Bis 1993 versteigerte Manfred Hix, den Kinderschuhen entwachsen und mittlerweile Ortsvorsteher, noch die Bäume. Dann ließ das Interesse der Bürger nach, keiner wollte sich mehr die Mühe machen, wo es die Früchte doch bequem im Laden zu kaufen gab. Wer Kirschen von der Plantage wollte, durfte einfach pflücken.

Zwei der drei Wiesen sind dann noch an Landwirte beziehungsweise Pferdehalter verpachtet worden. Bis die Wasserschutzbehörden intervenierten. Die Wiesen liegen im Wasserschutzgebiet, die Statuten wurden strenger. Die Tiere verletzten die Grasnarbe, Dung und Mist könnten schließlich ins Grundwasser gelangen. Der Wasser-Hochbehälter steht auf der Ecke des oberen Grundstücks. Die Quelle, die Wolferborn und Rinderbügen mit Trinkwasser versorgt, liegt 200 Meter talwärts. Seitdem nutzt niemand mehr die Obstbäume.

Der Ortsbeirat Wolferborn hatte mit Helfern der Wetterauer Beschäftigungsgesellschaft (Waus) 2009 die Flächen gepflegt und im vergangenen Jahr zehn neue Bäume gepflanzt. Doch nun ist eine generelle Lösung gefragt. Denn es fehlen die Helfer.

Gerhard Seidel, Vorsitzender der Natur- und Vogelschutzgruppe, ist bereits seit zwei Jahren um eine Lösung bemüht. Sein Verein ist auch Mitglied des Naturschutzfonds Wetterau. Der Landschaftspflegeverband des Wetteraukreises pachtet und kauft Flächen für den Naturschutz an. Das könnte eine Lösung sein. Über den Ortsbeirat hatte er bereits einen Antrag beim Magistrat der Stadt Büdingen gestellt und zweimal nachgehakt. Doch bisher sei nichts passiert, erzählt er.

Jetzt startete er einen erneuten Anlauf. Während der jüngsten Ortsbeiratssitzung hatte Ortsvorsteher Wolfgang Faust wieder einen Antrag des Vereins auf der Tagesordnung. Der Inhalt: Die Kirschbaumplantagen müssen unter Schutz gestellt und gepflegt werden. Die Stadt soll das Gelände dem Naturschutzfonds kostenfrei überlassen.

„Unser Verein hat selbst genug Land, wir können das nicht auch noch machen“, begründet Seidel im Gespräch mit dem Kreis-Anzeiger. Er will noch klären lassen, welche Sorten Kirschen in der Plantage vertreten sind. Vermutlich sind es ältere und vielleicht auch besonders seltene.

„So alte Plantagen gibt es nicht mehr“, ist Wolfgang Faust überzeugt. Der Ortsvorsteher steht vor dem untersten Grundstück. Es ist vollkommen verwildert, viele Bäume sind wohl kaum noch zu retten. In den Ästen hängen mehrere Nistkästen des Natur- und Vogelschutzvereins, an einem baumelt eine Kauzröhre. Der Zustand der Baumwiese ist alles andere als erhebend. Es sei schade, dass sich niemand mehr dafür interessiere, bedauert er. „Da ist eine intensive Pflege notwendig.“ Und besondere Vermarktungsinitiativen, um das Wertvolle dieser Streuobstwiesen ins Bewusstsein zu rücken. Die Erinnerungen an früher sind eine schöne Beigabe.

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