Die »Seele« einer Orgel

Die neue Orgel in Bad Nauheims Dankeskirche soll in gut eineinhalb Jahren erklingen. Als einer der Ersten war Intonateur Andreas Saage in der Kirche. Er ist auch der Letzte, der die Kirche vor der Einweihung verlässt. Weltweit hat er viele bedeutende Orgelprojekte betreut und freut sich jetzt auf Bad Nauheim, erklärt er im Gespräch.
Herr Saage, wann sind Sie das erste Mal in der Dankeskirche gewesen?
Das war schon im Sommer 2020. Die ersten Gespräche finden immer ganz zu Anfang mit den verantwortlichen Fachleuten statt, also dem Organisten und dem Orgelsachverständigen, um die klanglichen Eigenschaften des neuen Instrumentes zu diskutieren.
Was ist Ihre Aufgabe als Intonateur?
Als Intonateur ist man sozusagen von der ersten Stunde in die Entwicklung und Realisierung eines Projektes eingebunden. Hier werden für die Klanglichkeit des Instrumentes die Weichen gestellt. Im Anschluss werden die Maße aller Pfeifen festgelegt. Mit diesen Maßen legt der Konstrukteur die Dimension der Windladen fest, auf denen die Pfeifen stehen werden. Nachdem die Pfeifen gefertigt wurden, werden sie in der Werkstatt aufgebaut und zum ersten Mal zum Klingen gebracht.
Wann kommen Sie in die Kirche?
Wenn die Orgel in der Kirche technisch aufgebaut wurde, kommen wir mit unserem Intonationsteam dazu, um das Instrument im Raum zum Klingen zu bringen und es auf die jeweilige Akustik anzupassen.
Welchen Eindruck haben Sie von den Bedingungen in der Dankeskirche?
Die Dankeskirche verfügt über eine ausnehmend gute Akustik! Räume mit so hervorragenden Eigenschaften findet man als Orgelbauer ganz selten. Ein alter Orgelbauerspruch lautet: Die Akustik ist die halbe Intonation.
Was bedeutet das?
Dieser Spruch soll sagen, wir haben mit der Akustik einen großen Unterstützer an unserer Seite, welcher uns die Arbeit erleichtert.
An welchen »Stellschrauben« drehen Sie, um den optimalen Klang zu erreichen?
Durch die Disposition sind die Register in ihrer spezifischen Charakteristik festgelegt. Durch die Bestimmung des Pfeifenmundes und dem dazugehörigen Windbedarf der Pfeife werden die wesentlichen Parameter festgelegt. Da das Orgelmetall weich ist, können wir durch Weiten oder Verengen der Windbahn die Lautstärke und die Ansprache der Pfeife steuern.
Gibt es weitere »Stellschrauben«?
Es gibt Manipulationsmöglichkeiten am sogenannten Kern, an welchem das Windband vorbeiströmt. Hier können wir jeden Teilton sowie die Ansprache-Charakteristik beeinflussen.
Bei 2500 Pfeifen ist das eine Menge Arbeit. Wie lange brauchen Sie dazu?
Rein für die klanglichen Arbeiten in der Dankeskirche rechnen wir mit etwa 2000 Stunden.
Sie sind auch gelernter Orgelbauer und Organist. Sie müssen also eigentlich von allem Ahnung haben, oder?
Oh, das wäre wunderbar, aber ganz so ist es nicht. Orgelbau ist nie eine Einzelleistung, sondern Teamwork. Genau das ist das Wunderbare an diesem Beruf, der Austausch mit den Menschen, welche sich für ein solches Projekt engagieren. Zugegeben, mit einem solchen Hintergrund an Ausbildung, wird der Horizont, auf welchem diskutiert werden kann, breiter.
Warum haben Sie sich auf den Intonateur spezialisiert?
Mit der Intonation hat man mit Sicherheit einen der wesentlichen künstlerischen Parameter zur Verfügung. Damit wird die »Seele« einer Orgel bestimmt und man hat auch auf alle anderen Bereiche einer Orgel Einfluss, um das Endergebnis zu beeinflussen.
Sie waren auch in der Elbphilharmonie tätig, der ein Klangwunder nachgesagt wird. Was war dort das Besondere?
Jeder Konzertsaal ist eine Herausforderung. In der Regel verfügen Konzertsäle über eine trockene Akustik. Anders als in der Dankeskirche, hilft dort der Orgel nichts, um in Resonanz mit dem Raum zu geraten. Durch die Weinbergarchitektur der Zuhörerränge und die zentrale Position der Bühne in der Raummitte, sind die Distanzen zwischen Orgel und Zuhörer relativ kurz.
Was bedeutet das für die Orgel?
Die Orgel muss zum einen ausreichend Kraft generieren, um mit dem Orchester als gleichberechtigter Partner zu agieren. Auf der anderen Seite sollten auch sehr leise Passagen erreicht werden können, was in einem hellhörigen Saal nicht ganz einfach ist.
Und was waren Ihre beeindruckendsten Orgelbauten?
Beeindruckend ist jedes Projekt auf seine Weise. Durch die besondere Aufgabenstellung und die damit verbundenen Recherchen war die totale Rekonstruktion der Engler-Orgel in der Elisabeth-Kirche zu Breslau eine der größte Herausforderungen. Das Eintauchen in eine vergangene Zeit, das Verständnis von historischen Fertigungsweisen sowie die klanglichen Intensionen des 18. Jahrhunderts waren extrem spannend und geben uns Intonateuren für unser Handeln für zukünftige Projekte wesentliche Impulse.
