Dokumentation eines außergewöhnlichen Lebens

Angesichts der aktuellen Situation im Nahen Osten drängte sich ein Besuch der Präsentation der Dokumentation »Walter Kaufmann - welch ein Leben!« für Schüler der Gesamtschule Konradsdorf im Niddaer Lumos-Kino regelrecht auf.
Schulleiterin Birgit Bingel hatte kurzfristig alle Wege geebnet und Fachbereichsleiter Tobias Stolte die Organisation übernommen, damit etwa 100 junge Konradsdorfer Schüler das außergewöhnliche Leben des jüdischen Schriftstellers Walter Kaufmann im Niddaer Lumos-Kino erleben konnten. Dort wurde am Mittwoch die Dokumentation »Walter Kaufmann - welch ein Leben!« von Karin Kaper und Dirk Szuszius präsentiert.
»Stellt euch vor, euer Großvater erzählt euch seine Lebensgeschichte«, sagt Regisseurin Karin Kaper, die die Veranstaltung moderiert, als sie die Vorführung einleitet. Manfred de Vries, Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde Bad Nauheim, mahnt den richtigen Umgang mit Menschen jüdischen Glaubens an und fordert die Jugendlichen auf, wachsam zu sein und die demokratische Grundordnung einzuhalten und zu pflegen. Das junge Publikum verfolgt den Film äußerst konzentriert und beeindruckt.
Bedenklicher Rechtsruck
Walter Kaufmann wächst in Duisburg auf und hat zunächst eine unbeschwerte Kindheit. Das ändert sich allerdings nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten. Seine Freunde spielen zwar noch gerne mit ihm, aber es fällt auch der Satz: »Schade, dass du Jude bist.« Er muss seine Schule verlassen und auf eine jüdische Schule wechseln. Immer wieder verschwinden Mitschüler auf scheinbar rätselhafte Art und Weise.
Der über 80-jährige Kaufmann erzählt mit Tränen erstickter Stimme vom Schicksal seines Vaters, der das Konzentrationslager Dachau überlebt. Kaufmann wird mit 15 Jahren nach England gebracht, wo ein Jahr später Winston Churchill beschließt, alle Ausländer zu isolieren. Er wird daraufhin nach Australien verschifft, wo er über mehrere Jahre hinweg Fuß fasst und seine erste Frau kennenlernt. Er arbeitet in zahlreichen Berufen, fährt jahrelang zur See, wirkt als Reporter und beginnt, literarisch zu schreiben.
In den 1950er Jahren kehrt er nach Duisburg zurück - und findet sein Elternhaus in fremden Händen. Frühere Bekannte wollen ihn nicht erkennen. Kaufmann hört, dass niemand von irgendetwas gewusst haben will, und beschließt, nach Ost-Berlin und damit in die sich damals bildende DDR zu gehen, weil der Sozialismus seiner Grundhaltung entspricht.
Er fliegt nach Kuba, erlebt zunächst Vorzüge des Sozialismus, aber auch Versorgungsengpässe. Kaufmann reist in die USA, wo er Rassismus in seiner Reinform erfährt, der in der Ermordung Martin Luther Kings 1968 gipfelt.
Zwischendurch überlegt Kaufmann, was passiert wäre, wenn er nach Israel ausgewandert wäre. Doch Israel will ihn nicht, weil er aus der DDR, also Deutschland, kommt. Den Mauerfall im Anschluss an den friedlichen Aufstand sieht er positiv, denn man könne ein Land nur lieben, das man auch verlassen dürfe. Mit Sorge verfolgt er, dass nicht alle Bürger die Wiedervereinigung gut verkraften, zu viel von dem, was an der DDR gut gewesen sei, sei einfach ausgelöscht worden, sagt er.
Diskussion über Situation in Nahost
Und diese überrollten und zurückgedrängten Menschen liefen nun der AfD zu. Der Rechtsruck sei bedenklich. Dazu gehörten auch die Anschläge auf die Synagoge in Halle und die Morde von Hanau. So bleibt für Kaufmann nur die Forderung: »Nie wieder.«
Im anschließenden Gespräch mit Kaper und de Vries stellen Schüler zahlreiche Fragen, etwa zur Entstehung des Films und zum Verhältnis zwischen den Regisseuren und den Protagonisten. Es entwickelt sich aber auch eine rege Diskussion über die aktuelle Situation in Nahost. De Vries sagt, dass ein friedliches Miteinander möglich sei.
Tobias Stolte schließt die Diskussion mit der Aufforderung, demokratisch zu denken und zu handeln und keine Vorurteile gegenüber irgendjemandem zu haben. Bela (Stufe 10) sagt, dass der Film sehr interessant gewesen sei, aber für Jugendliche eher weniger geeignet, Livt (ebenfalls Stufe 10) dagegen betont, dass es wichtig sei, sich mit der Problematik auseinanderzusetzen. Einig sind sich alle, dass Vorurteile, Hass und Gewalt keinen Platz haben dürfen. VON MARTIN RITTER
