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Ein Jahr Krieg in der Ukraine: Wie Helfer zu Brückenbauern einer Gemeinschaft werden

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Von: red Redaktion

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Es sind Symbole der Hoffnung und stehen für Mut, Liebe und Gemeinschaft: Diese Steine haben Menschen bemalt, die aus der Ukraine vor dem Krieg geflüchtet sind und derzeit im Büdinger Land leben. © pv

In Büdingen kümmert sich der Malteser Hilfsdienst um die Ukraine-Hilfe. Ein Gespräch über Emotionen, Herausforderungen, über Lichtblicke und eine Andacht, die an diesem Freitag stattfindet.

Am 24. Februar 2022 begann die Invasion russischer Truppen in die Ukraine. Seit Kriegsbeginn sind über eine Million Ukrainer nach Deutschland geflohen. Mit im Gepäck sind Schicksale, die auch die Helfer tief berühren. Isidro Perez, Stadtbeauftragter der Malteser in Büdingen sowie Leiter des angegliederten Integrationsdienstes, und Jurgita Aniunaite-Ott, zuständig für die Ukraine-Hilfe im Integrationsdienst der Malteser, wissen um das Leid dieser Menschen, um deren Sorgen und Nöte. Welche Projekte helfen den Kriegsflüchtlingen und wie schafft man es, ihnen emotional beizustehen? Darüber hat diese Zeitung mit Jurgita Aniunaite-Ott und Isidro Perez gesprochen.

Die Malteser decken eine Vielzahl unterschiedlicher Hilfsangebote ab. Unterscheidet sich die Ukraine-Hilfe von Ihren bisherigen Projekten?

Perez : Da gibt es keinen großartigen Unterschied. Zwei Leitsprüche prägen die Philosophie der Malteser: Überzeugung des Glaubens und Hilfe den Bedürftigen. Wir sind stets getragen von der Überzeugung, Menschen zu helfen, die in Not geraten - unabhängig vom Grund, auch wenn hier der Grund ist, dass Menschen fliehen mussten.

Wie sieht die konkrete Hilfe für einen Menschen aus, der aus der Ukraine geflohen ist?

Aniunaite-Ott: Als erstes muss eine Unterkunft gefunden werden, falls dies nicht schon aufgrund persönlicher Kontakte erfolgt ist. Mit der Anmeldung nimmt dann die Bürokratie ihren Lauf. Bis zu den ersten Auszahlungen vergehen zwei Monate, weshalb wir diese Zeitspanne überbrücken, beispielsweise mit Gutscheinen sowie Spenden von Supermärkten. Zudem helfen wir bei den Anmeldungen für Integrationskurse, die auch Sprachkurse beinhalten. Anschließend erfolgt die Ummeldung von Flüchtlingshilfeempfänger auf Arbeitssuchender. Im letzten Schritt unterstützen wir die Menschen, am gesellschaftlichen Leben teilzuhaben.

Hat sich diese Hilfe im Laufe des Jahres verändert?

Aniunaite-Ott: Zu Beginn ging es vor allem darum, den bürokratischen Hürdenlauf zu überwinden. Jetzt ist es für viele Menschen von größter Bedeutung, einen Job zu finden. Nicht wenige haben auch aufgrund des Erlebten und der Ungewissheit depressive Verstimmungen. All dies versuchen wir, aufzufangen.

Mit welchen Strategien koordiniert man die Hilfe für so viele Menschen?

Perez: Das läuft über eine WhatsApp-Gruppe, in der 145 Menschen Mitglieder sind. Dazu muss man sagen, dass stets nur eine Person einer Familie der Gruppe angehört. Somit gibt es mindestens doppelt, wenn nicht sogar zweieinhalb so viele Mitglieder, da die meisten noch Familie haben.

Stehen Sie auch in Kontakt mit Menschen, die noch in der Ukraine leben?

Perez: Wir als Malteser Hilfsdienst sind als Backoffice zuständig für alle Tätigkeiten in Deutschland sowie für Hilfsgüter, die in die Ukraine und deren Anrainerstaaten geliefert werden. Daneben leistet Malteser International als Frontoffice Hilfe vor Ort. Aber selbstverständlich hilft man sich auch gegenseitig.

Aniunaite-Ott: Unabhängig davon organisieren sich die Menschen, die in Büdingen und Umgebung leben, sehr gut selbst. Vor Weihnachten haben Ukrainer Hilfspakete verschickt, denen selbst gemalte Bilder von hier lebenden ukrainischen Kindern beigefügt wurden. Auf Facebook wurden dann Soldaten mit ebendiesen Bildern gepostet.

Gibt es ein Ereignis, das Ihnen im Zuge Ihrer Tätigkeit besonders in Erinnerung geblieben ist?

Aniunaite-Ott: Ein Höhepunkt war eine Weihnachtsfeier, die für die Ukrainer ausgerichtet wurde, auf der die Menschen trotz all der Schwere, die dieser Krieg mit sich bringt, einen Moment der Leichtigkeit erleben durften. Ganz schlimm ist es, wenn Mütter durch den Krieg ihre Kinder verlieren und man ihnen Trost spenden muss, obwohl man in dem Moment die Stärke nicht hat.

Perez: Mein schönster Augenblick war ein Ausflug mit Flüchtlingskindern unterschiedlicher Herkunft, die unabhängig von der jeweiligen Sprache miteinander gespielt haben, während ihre Eltern eine Weile abschalten konnten. Niederschlagende Ereignisse sind Verluste von in Büdingen lebenden Ukrainern, weil sie sterben, und man diese Menschen ein Stück weit begleiten konnte und dann realisiert, dass sie nicht mehr da sind.

Wie halten sie diesen emotionalen Belastungen stand?

Perez: Die Malteser verfügen über ausgebildetes Personal, das haupt- und ehrenamtlich zu jeder Tages- und Nachtzeit erreichbar ist. Auch das Verhältnis zwischen Nähe und Distanz trägt zur Stressbewältigung bei. Wir müssen den Menschen nah sein, um ihnen zu helfen, aber uns dann auch zurückziehen, um weiter Nähe geben zu können. Ich schöpfe zudem aus meiner ehrenamtlichen Arbeit Kraft.

Aniunaite-Ott: Zusätzlich zur professionellen Hilfe coachen wir uns gegenseitig. Mein Ventil für den Umgang mit schwierigen Situationen ist Zeit für mich, in der ich mich gerne in der Natur aufhalte oder mit Musik umgebe. Ganz wichtig ist auch mein Glaube, ohne den ich das nicht schaffen würde. Der Gottesdienst fängt für mich an, wenn sich die Kirchentüre schließt. Es ist ein Dienst für die Menschen, die unsere Hilfe brauchen.

Viele Menschen möchten geflüchteten Ukrainern helfen. Welche Pfade haben Sie zur Leitung des Integrationsdienstes beziehungsweise zur Leitung der Ukraine-Hilfe im Integrationsdienst der Malteser geführt?

Perez: Ich war zuvor für die Malteser als Betriebsleiter der Hessischen Erstaufnahmeeinrichtung (HEAE) tätig und konnte mit meinem Team mit der Gründung der Gliederung in Büdingen 2019 da weitermachen, wo ich in der HEAE aufgehört habe.

Aniunaite-Ott: Ich war während des Hochwassers in Büdingen 2021 ehrenamtlich aktiv. Daraus resultierte ein hauptamtlicher Einsatz.

An diesem Freitag findet anlässlich des Jahrestages des Kriegsbeginns eine ökumenische Andacht in Büdingen statt. Welche Bedeutung steckt hinter dem Titel »In der Stille angekommen«?

Aniunaite-Ott: An diesem Tag wird es viele Menschen geben, die durch politische Reden aufgewühlt sein werden. Diese Menschen sollen aufgefangen werden, indem ihre Gedanken in Stille zur Ruhe kommen können.

Die Andacht wird organisiert von der katholischen Kirchengemeinde, dem Malteser Hilfsdienst, der evangelischen Kirchengemeinde Büdingen und der Sozietät Herrnhaag. Wer ergriff die Initiative?

Aniunaite-Ott: Wir alle hatten diese Idee. Schließlich geht es nicht um das, was uns unterscheidet, sondern um das, was uns verbindet. Nur dann können wir als Brückenbauer eine gemeinschaftliche Idee in der Gemeinschaft austragen.

Perez: Die große Verbundenheit zwischen den Kirchen sowie den Maltesern ist im Zuge des Hochwassers 2021 nochmals gestärkt worden durch die enge Zusammenarbeit. Auch da ging es vordergründlich um die Frage, was wir gemeinsam tun können.

Hintergrund auf Seite 18

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Isidro Perez © pv
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Jurgita Aniunaite-Ott © pv

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