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Ein Tätowierter und die Heldin der Arbeit

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_10_min_in_oberhessen © pv

Das Gros der Parkplätze ist belegt, gerade mal ein Handwagen ist noch übrig. Sein Griff klebt, das Rad hinten links gerät beim abrupten Wenden ins Stocken - egal, der Getränkevorrat im Keller ist nahezu erschöpft, zudem läuft die Kiste mit den Pfandflaschen und -dosen über. Höchste Zeit also, den Logo-Markt »Über der Seeme« anzusteuern. Allein, die Idee haben an diesem Samstagvormittag natürlich viele.

Vor der Pfandrückgabe staut es sich bereits.

Der Vordermann ist ein Kerl wie ein Baum. Er wirkt bullig mit seinen tätowierten Oberarmen, dem ausgewaschenen Muskelshirt, das die vom Wetter gegerbte Haut betont. Sollte auf der Baustelle mal ein Bagger ausfallen, der Mann könnte mit seinen Pranken die Grube bestimmt in Windeseile auch ohne maschinelle Hilfe ausheben. Drei Säcke voller Leergut hat er geladen - ach herrje. Wir verständigen uns, er lässt mir den Vortritt. Wir kneifen beide die Augen zusammen und nicken uns zu - für einen Moment sind wir Brüder im Geiste am Pfandautomat.

Aber schon nach der ersten Flasche piepst das Ding. Verdammt, der Behälter ist voll. Beim Blick in Richtung Kasse, an der sich ebenfalls schon die Wochenendeinkäufer aufgereiht haben, fällt eine junge Frau auf, die an diesem Vormittag den Titel »Heldin der Arbeit« aber sowas von verdient hat. Sie kassiert ab, beruhigt eine Dame, die ihren Pin am EC-Kartenlesegerät falsch eingegeben hat, berechnet nebenbei den Wert von Bierkisten, die ein Vater mit seinem Sohn ins Geschäft schiebt, und kommt im nächsten Moment herüber, um die Tür des Automaten aufzusperren. Der dunkelgraue Sack in dem Behälter dahinter ist riesig. Sie wuchtet ihn auf den Rollwagen, greift zum Tape, verschließt ihn und bedankt sich freundlich fürs Angebot des Tätowierten, der helfen möchte. Zudem moderiert sie die Situation bestimmt, aber nicht gestresst, sodass erst gar keiner auf die Idee kommt zu murren.

Wohl dem, der solche Mitarbeiterinnen im Team hat. Mein Pfand wandert nach wenigen Augenblicken in den geleerten Behälter, es scheppert ordentlich. Mein neuer Bruder, denke ich, wird seine gesammelten Werke ohne Unterbrechung eines maulenden Automaten loswerden können. Noch einmal nicken wir uns zu. Durch den Gang mit den Bieren geht’s nach hinten. In der Kurve zum Wasser falle ich fast über das linke Hinterrad, das abermals blockiert - eine Petitesse an diesem Morgen. Zwei Kisten Wasser aus der Rhön, zweimal Sprudel und eine Kombikiste mit Saft. Zack, zack, zack ... Multivitamin, Maracuja- und Johannisbeernektar - während ich auf der Suche nach dem Barcode fast verzweifele, leuchtet an der Kasse schon die Gesamtsumme auf. Wow, sie sollte wirklich Mitarbeiterin des Monats werden.

Die Schlange am Pfandautomat reicht nun bis hinaus auf den Parkplatz. Aber die Heldin der Arbeit, sie wird’s schon richten. BJÖRN LEO

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Im Getränkemarkt »Über der Seeme« in Büdingen arbeitet eine absolute Powerfrau. © Björn Leo

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