Ein treuer Begleiter ohne Namen

Spielzeug aus der Kindheit ist für Menschen mitunter bis in hohe Alter wichtig. Ganz besondere Erinnerungen hängen daran. Peter Mielke aus Friedberg verbindet mit seinem Lämmchen eine schwere Zeit - und eine Treue, die schon über 70 Jahre währt. Hier erzählt er die Geschichte.
Über manche schrecklichen Ereignisse, besonders wenn sie in der Kindheit passieren, legt unser Gehirn den barmherzigen Schleier des Vergessens. Ich war ungefähr drei Jahre alt und ein unternehmungslustiger Junge. Einer meiner Lieblingsplätze war die breite Fensterbank in der Küche unserer Altbauwohnung. Von dort aus hatte ich einen guten Blick auf einen typischen Berliner Hinterhof, in dem es häufig Interessantes zu sehen gab. Ende der 40er Jahre gab es noch den Leierkastenmann, der seine Lieder spielte und dem man als Dankeschön einen Groschen, eingewickelt in ein Stückchen Zeitungspapier, hinunter warf.
Wie schon so oft vorher kletterte ich eines Tages wieder am Küchenschrank hoch und stellte mich auf die breite Fensterbank. Unter mir auf dem Herd stand eine Zinkwanne mit Kochwäsche. Gerade war ich noch glücklich, dass ich wieder aus dem Fenster schauen konnte. Und im nächsten Moment verlor ich das Gleichgewicht. Ich fiel rücklings in das siedend heiße Wasser.
An die Zeit danach kann ich mich kaum noch erinnern. Verbrennungen dritten Grades verteilten sich über die untere Hälfte meines Rückens und die Rückseite der Oberschenkel. Wochenlang lag ich im Krankenhaus.
Dort bekam ich einen Freund geschenkt, ein kleines, schwarzes Lämmchen, das ich nicht mehr hergab. Es begleitete mich durch die schlimme Zeit voller Angst und Schmerzen. Und auch als ich endlich wieder zu Hause war, musste das Lämmchen immer in meinem Bett liegen.
Die Narben der Brandwunden sind im Laufe von über siebzig Jahren verblasst. Aber das Lämmchen ist geblieben. Es hat ein gutes Dutzend Umzüge mitgemacht. Mein Lebensweg führte mich von Berlin über Wiesbaden und den Rheingau bis in die Wetterau.
Das Lämmchen ist kein Markenprodukt und hat keinen Knopf im Ohr. Aber es ist immer noch prall und fest und hat trotz seines hohen Alters kein einziges graues Haar. An manchen Stellen ist es etwas abgewetzt. Auch die Ohren mussten schon einmal mit Nadel und Faden »operiert« werden. Aber für mich hat es keinen Makel. Es nimmt nichts übel, ist wohl tausendmal nachts aus dem Bett gefallen und wurde morgens wieder hineingesetzt. Einen treueren Begleiter kann man nicht haben. Das Lämmchen hat nie einen Namen bekommen, es war immer nur mein Lämmchen. FOTO: NICI MERZ