Ein unlösbarer Konflikt?!
Wetteraukreis (pm). Der aktuell im Zuge des geplanten Rewe-Lagers bei Wölfersheim offen diskutierte und ausgetragene Konflikt zwischen Neubauten und dem Verlust wertvoller Acker- und Naturflächen hat in den Augen des Nachhaltigkeitsnetzwerks »Wetterau im Wandel« eine weitaus größere Dimension: die Problematik, bezahlbaren Wohnraum zu erstellen. Das Netzwerk habe daher in seiner jüngsten Sitzung über Lösungsmöglichkeiten diskutiert.
Gibt es diese ohne weiterem Flächenfraß mit all seinen Konsequenzen weiter Vorschub zu leisten?
Verlust wertvollen Ackerbodens
»Der Flächenverbrauch schreitet in Deutschland weiter fort - derzeit um 92 Quadratkilometer pro Jahr«, schreibt Dr. Helmut Francke für das Netzwerk. Das sei etwas mehr als ein Hektar pro Stunde bzw. 175 Quadratmeter pro Minute. Dabei gehe auch wertvoller Ackerboden zum Teil unwiederbringlich verloren. »Dieser Flächenfraß ist auch ein wesentlicher Treiber für Natur- und Artenverlust.«
Das Problem fehlenden, bezahlbaren Wohnraums habe verschiedene Ursachen. »Zum einen ist der Wohnflächenbedarf pro Person in den letzten Jahrzehnten deutlich gestiegen, was auch einen wesentlichen Treiber der Klimaproblematik in Deutschland darstellt, da dieser umbaute Wohnraum im Winter geheizt und im Sommer zum Teil gekühlt werden muss.
Zum anderen ist die Wohnungsproblematik sehr stark auf die sogenannten Ballungszentren konzentriert«, heißt es in der Pressemitteilung. Durch eine unzureichende Strukturpolitik würden dort Arbeitsplätze »wie ein Staubsauger« angezogen (und damit auch die Wohnraumproblematik), während anderswo ganze Landstriche verödeten. In den Ballungszentren würden ferner die Bestandsmieten steigen und viele Mieter an die Grenze ihrer finanziellen Belastungsfähigkeit bringen. Auch massiv gestiegene Baupreise trügen erheblich zur Problematik bei.
Die scheinbar einfache Lösung sei der flächenverbrauchende Neubau in Form von Einfamilienhäusern auf grüner Wiese, ohne dass dabei ausreichend bezahlbare Wohnungen im Sinne eines sozialen Wohnungsbaus entstünden. Diese auch oft durch »Bürgermeisterstolz« auf die wachsende Gemeindegröße geförderte Vorgehensweise treibe aber gerade den dargestellten Flächenverbrauch massiv an, urteilt das Netzwerk. »Vor durchaus sinnvollen innerstädtischen Verdichtungen schreckt man dagegen oft aufgrund von Protesten der Anwohner zurück.«
Renovieren statt neu bauen
Deshalb müsse über Alternativen nachgedacht werden. Zunächst sei auch im Klima-Sinne zur Senkung der CO2-Belastung jede sinnvolle Renovierung einem Neubau vorzuziehen. Es könne oft durch Ausbau, Aufstockung bzw. Umstrukturierung noch zusätzlicher Wohnraum geschaffen werden, schreibt Dr. Franke.
Es müsse ferner eine nachhaltigere bundesweite Strukturpolitik in dem Sinne betrieben werden, dass Arbeitsplätze (und mit ihnen die Menschen) nicht mehr in Richtung der Ballungsräume wandern, sondern in Richtung strukturschwacher Gebiete, wo es heute schon massive Wohnungsleerstände gebe. »Bei Gelingen ist es dann zum Vorteil sowohl der Ballungsräume durch Entspannung des Mietmarktes als auch zum Vorteil der strukturschwachen Regionen durch deren Belebung.«
Die Förderung dieser Entwicklung sei jetzt umso aussichtsreicher, als wegen der Pandemie viele Arbeitgeber und -nehmer eine sinnvolle Nutzung des Homeoffice gelernt hätten. Firmenarbeitsplätze und Wohnort könnten mehr entkoppelt werden.
Plädoyer für Leerstandsabgabe
Konkret und kurzfristig müsse der Wohnungsnot auch durch eine »fühlbare Leerstandsabgabe« begegnet werden, um Wohneinheiten schneller an die Nutzer zu bringen bzw. mit dem Geld Maßnahmen zur Verminderung der Wohnungsnot zu fördern, begleitet von einem Zugriffsrecht der Kommunen.
Da ältere Menschen teilweise allein in ihren inzwischen viel zu groß gewordenen Häusern wohnten, könne die Förderung eines Tausches »Haus gegen kleinere Wohnung« gerade jungen Familien schnell zu geeignetem Wohnraum verhelfen. Ergänzend sollten in den Kommunen Wohnraummanager beschäftigt werden, deren Aufgabe es ist, auf Immobilienbesitzer zuzugehen, die einer Vermietung skeptisch gegenüberstehen oder mit der Immobilie insgesamt überfordert sind, fordert das Netzwerk.
Ergänzend sollte die Erstellung von kleinen, bezahlbaren Seniorenwohnungen auch im dörflichen Bereich vorangetrieben werden.