Einstimmung auf Ostern in der Stadtkirche

Über 100 Besucher lauschen den Streichern von »Capella instrumentalis« sowie vier Gesangssolisten. Es war eine gelungene Vertonung des Passionsabschnitts im Markusevangelium.
Nidda (em). Als Einstimmung auf die Karwoche führten der Kammerchor Nidda, das Streicherensemble »Capella instrumentalis« sowie vier Gesangssolisten in der Stadtkirche unter Leitung von Katrin Anja Krauße eine Vertonung des Passionsabschnitts im Markusevangelium auf. Das lange Zeit Reinhard Keiser zugeschriebene Werk war hier in der Fassung einer 1712 von Johann Sebastian Bach geleiteten Aufführung zu hören.
Das Programmheft hatte Chormitglied Pfarrer Martin Schindel mit Fotos von Reliefausschnitten der Niddaer Kanzel illustriert und machte damit auf dieses Renaissance-Kunstwerk aufmerksam. Keisers Komposition habe Bach eine Reihe musikalischer Anregungen gebracht, die er weitaus genialer weiterentwickelt habe. Gewiss besteht ein Unterschied an musikalischem Reichtum, vielleicht sogar an Monumentalität, zwischen dieser Passion und Bachs großen Passionsoratorien. Dennoch erlebten die Zuhörer in der Stadtkirche eine suggestive musikalische Begegnung mit der Leidensgeschichte und den darin handelnden Personen. Das Streichorchester war hier vier-, nicht wie in der historischen Aufführung fünfstimmig gesetzt und wurde von Krauße an der Truhenorgel begleitet.
»Capella instrumentalis« spielt auf barocken Nachbauinstrumenten, bestechend durch die feinen Nuancen des Zusammenklangs. Nach der Aufführung interessierten sich etliche Gäste für die Theorbe, ein historisches Lauteninstrument, hier mit der Basso continuo-Funktion gespielt von Mikiya Kaisho
Instrumental begleitet, setzten die Singstimmen ein mit dem Choral »Jesus Christus ist um unsrer Missetaten willen verwundet« in klagendem, manchmal dissonantem Moll. 15 geübte Sängerinnen und Sänger bilden diesen Kammerchor. Große Rezitative hatte der Tenor Martin Steffan als Erzähler auszuführen. Das gelang ihm mit einfühlsamer gesanglicher Gestaltung. Im Eingangsdialog am Ölberg übernahm Steffan auch den Part des Petrus. Der Bassist Marcus Licher sang die Jesusworte, die drängende Bitte an die Jünger, mit ihm zu wachen, das Gebet um Verschonung und den Wandel zur Ergebung«… doch nicht wie ich will, sondern wie du willst« musikalisch wie darstellerisch überzeugend. Katharina Jost brachte die in sehr hoher Tonlage gesetzte Sopranarie »Will dich die Angst betreten« innig und schwebend, erwies sich als ideale Besetzung. Die Chorstimmen unterstrichen den Augenblick der Ergebung mit dem vierstimmigen Satz »Was mein Gott will, das g’scheh allzeit«. Es folgten die Abschnitte des Verrats mit dem sprichwörtlichen Judaskuss und eine bewegte, innige Tenorarie »Wenn nun der Leib wird sterben müssen«, die zur Überwindung der eigenen Todesangst in Liebe zu Jesus aufforderte und zugleich die Falschheit des Judas verurteilte.
Nicht dramatisch, aber eindringlich
Nicht in greller Dramatik, wohl aber sehr eindringlich wurde bei den Szenen der Gefangennahme und des Verhörs die Wandlung des Petrus geschildert, wiederum in Tenorrezitativen. Er, der vorher seine unbeirrbare Treue behauptet hatte, empfand plötzlich selbst Bedrohung und Angst. Denn die Situation spitzte sich zu, Jesus wurde mit falschen Aussagen verleumdet, verspottet und misshandelt. Dissonante, aufgewühlte Chorabschnitte zeichneten dies klanglich nach. Petrus in seiner Angst leugnete dreimal, ein Jünger zu sein. Beim Hahnenschrei wurde ihm klar, was er da tat. Tiefe Beschämung drückte die Tenorarie »Wein, ach wein« jetzt um die Wette« aus, nur mit Theorbe, Cello und teilweise mit der Orgel begleitet. Die Verurteilung Jesu durch den hohen Rat, die Betonung seiner Unschuld durch eine eingeschobene Alt-Arie, die Beschuldigung vor Pilatus, dessen Part Licher sang - all dies baute Spannung auf. Dramatische Chorpassagen, das hektische »Kreuzige ihn!«, Spottchöre wie »Gegrüßet seist du, König der Juden« zeigten die Verblendung der Menge, die nicht einmal schwieg, als Jesus bereits gekreuzigt war. Ergreifend stand dagegen die Sopranarie »O Golgatha, Platz herber Schmerzen«. Schließlich der letzte, verzweifelte Aufschrei der Bassstimme »Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?« - noch beherrschten Tod und Verzweiflung die Szene, ausgedrückt in dunklen grollenden Instrumentalpassagen.
Langsam gewannen tröstende Elemente die Oberhand: der Choral »Wenn ich einmal soll scheiden«, von Stephanie Bonarius ausdrucksstark gesungen, die Beerdigungsszene, die abschließenden Chorstücke, insbesondere »O Jesu, du mein Hilf und Ruh«.
Wie vorgeschlagen, wurde auf Applaus verzichtet. Stattdessen gab es einen Moment nachdenklicher Stille und schließlich standen die über 100 Zuhörer schweigend ein paar Minuten - Zeichen der Anerkennung für Chor, Solisten, das Ensemble und vor allem für Katrin Anja Krauße.