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Erschütternder Aberglaube: Hexenverfolgung in Bingenheim

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In Spielszenen zeichnen Gemeindeglieder verschiedene Szenen der Bingenheimer Hexenverfolgung für die Teilnehmerinnen des Dekanatsfrauentags nach. © Elfriede Maresch

Eine Zeitreise in eine grausige Vergangenheit unternimmt der Dekanatsfrauentag des evangelischen Dekanats Büdinger Land. Er befasst sich vor Ort mit der Bingenheimer Hexenverfolgung.

Bingenheim (em). 53 Todesurteile wegen Hexenverfolgung in und um Bingenheim: Erneut wandeln beim Dekanatsfrauentag des evangelischen Dekanats Büdinger Land die Teilnehmerinnen auf historischem Pfaden. in Bingenheim gehen sie auf eine bewegende Zeitreise in die Ortsgeschichte nach dem 30-jährigen Krieg.

Im evangelischen Gemeindehaus stellten Beate Harbich-Schönert und Birgit Appel, Sprecherinnen des Dekanatsfrauenteams, den etwa 100 Teilnehmerinnen, darunter Dekanin Birgit Hamrich, die Aktivitäten ihres Gremiums und die alternativen Routen des Nachmittags vor.

Josef Tiefenbach, Familienforscher und Vorsitzender des Arbeitskreises Bingenheimer Geschichte, informierte über Orte und Beteiligte der Hexenverfolgung, zeigte historische Ortsbilder und Karten. Landgraf Wilhelm Christoph fand für die Verfolgung vermeintlicher Hexen willige Helfer bei seinen Beamten, rein formal waren die Prozesse »korrekt« und entsprachen der damaligen Gesetzeslage. Man verhaftete Denunzierte und zwang sie unter Folter zu Geständnissen, die weitere Beschuldigungen nach sich zogen. Schließlich kam es zu Todesurteilen, denen sogar fünf Kinder zum Opfer fielen. Auch in den weiteren Orten der Herrschaft - Echzell, Bisses, Gettenau und Heuchelheim - gerieten Unschuldige ins Netz der Hexenjäger. Bei einem Ortsrundgang zeigte Tiefenbach Orte des Geschehens, etwa das ehemalige Rathaus, die Hinrichtungsstätte vor der Kirche und die beiden sogenannten Hexentürme, die Gefängnisse. Der örtliche Geschichtskreis brachte den historischen Roman »Die Hexe von Bingenheim« von Georg Schäfer (1894) wieder heraus. Aufwendiger war die Suche nach verlässlichen historischen Quellen. Tiefenbach berichtete von weit verstreuten Dokumenten und Recherchen in hessischen Archiven.

Teilnehmerinnen, die auch am Naturraum um Bingenheim interessiert waren, bekamen auf Rundgängen mit Petra Stöppler und Christiane Wettig Informationen über die Nabu-Naturschutzflächen und dort lebende seltene Tierarten.

Spielszenen stellen Geschichte nach

Nach der Bewirtung im Gemeindehaus wanderte die Gruppe zur Kirche. Dort erlebte sie in Spielszenen einige der Ereignisse der Hexenverfolgung. Beate Harbich-Schönert nutzte für die Definition der Rollen, die Opfer wie Täter abbilden sollten, Recherche-Ergebnisse von Jochen Degkwitz (Echzell) und Pfarrer Reiner Isheim (Ulfa). Beide arbeiten an einer Dokumentation zu lokalen Hexenverfolgungen.

Gemeindeglieder stellten in freier Rede Beteiligte dar. Da kam Gela Tröster zu Wort, eine Mutter, deren Kinder unversorgt zurückblieben und deren Mann durch die Prozesskosten verarmte. Die Anklage traf den als gläubig bekannten Burgheinrich, Ortsbürgerin Else Saal wie auch die 14-jährige Anna Maria Bopp. Eine Chronistin schilderte die Verfolgungswellen, der junge Gehilfe des Scharfrichters wie auch der Amtmann und Ankläger Dr. Hünefeld zeigten sich als schuldig-unschuldig Verstrickte im grausamen Ablauf.

Es war gut, dass nach den erschütternden Szenen Musik einen Übergang zur Schlussandacht bildete. Organist Christof Feußner spielte reizvolle Kompositionen der Renaissance. Birgit Hamrich stellte das achte Gebot »Du sollst kein falsch Zeugnis reden gegen deinen Nächsten« mit der Katechismus-Auslegung «…sondern alle Dinge zum Besten wenden« in den Mittelpunkt. Sie erinnerte an die antike Weisheit von den drei Sieben des Sokrates: »Ist das, was du mir sagst, wahr? Ist es gut und ist es notwendig?« - eine wichtige Botschaft in Zeiten von Fake News und Hate Speech. Zugleich hatte sie unter den Gemeindeliedern auch »O Heiland, reiß die Himmel auf« von Friedrich von Spee gewählt. Der Jesuitenpater war einer der wenigen, die unter großem persönlichen Risiko öffentlich auf das Unrecht der Hexenverfolgung aufmerksam machten. Dagegen mahnten Pfarrer der Bingenheimer Angeklagten sie zur Buße.

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