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»Es gibt einen hohen Hilfebedarf«

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Kolja Riemenschneiders pädagogisches Kernziel ist, dass Kinder und Jugendliche gesund und sicher aufwachsen sowie soziale Kompetenz und Selbstständigkeit entwickeln. © Elfriede Maresch

Sein ganzes bisheriges Berufsleben hat Kolja Riemenschneider im Bereich der Jugendhilfe gearbeitet. Was fasziniert den Diplom-Sozialarbeiter, der die Jugendhilfe Nidda leitet, an diesem Feld?

Diplom-Sozialarbeiter Kolja Riemenschneider hat sein ganzes bisheriges Berufsleben im Bereich der Jugendhilfe gearbeitet: mit Kindern, mit Jugendlichen, mit Eltern und mit deren Umfeld. Durch den Wechsel von der Fachstellenleitung des Allgemeinen Sozialen Dienstes im Wetteraukreis zum freien Träger Jugendhilfe Nidda ist er in diesem Bereich geblieben - wenngleich mit anderen Arbeitsformen.

»Wir werden zum Teil mit einem hohen Hilfebedarf konfrontiert. Wir erleben Kinder und Jugendliche in Situationen von Vernachlässigung, Misshandlung, Missbrauch oder extremen Konflikten, wo ein dringender Handlungsbedarf besteht«, schildert Riemenschneider. »Gleichzeitig haben wir mit Familien zu tun, die vielleicht nicht dem Bild ›qualifiziert, wirtschaftlich abgesichert, sozial gut vernetzt‹ entsprechen, aber trotzdem ihren Kindern einen emotionalen Rückhalt geben, auch wenn sie punktuelle Hilfe brauchen.«

Kontinuierliche Begleitung

Ziel der Jugendhilfe Nidda seien niedrigschwellige Hilfen in passgenauen Arbeitsformen. »Wir setzen auf eine kontinuierliche Begleitung durch die sozialpädagogische Familienhilfe als ambulantem Dienst, die Tagesgruppe, die vier Familienklassen, die wir im Ostkreis begleiten, und die Multifamilientherapie. Die Prävention und das Bereitstellen von Lernfeldern für mehr soziale Kompetenz stehen im Mittelpunkt. Das tun wir im Auftrag des Jugendamtes des Wetteraukreises, mit dem wir uns auch abstimmen«, erklärt Riemenschneider.

Wie kann das konkret aussehen? Sechs- bis Zwölfjährige kommen montags bis freitags nach der Schule zum Mittagessen in die Tagesgruppe. Dort bekommen sie auch Hilfe bei den Hausaufgaben und verbringen ihre Freizeit mit kreativen oder sportlichen Angeboten. Gleichzeitig wird ein enger Kontakt zu den Eltern und zur Schule gehalten, man tauscht sich über Fortschritte aus oder sucht nach Lösungen für Konflikte.

In der Multifamilientherapie treffen sich Eltern und Kinder in Themengruppen, beispielsweise »Kochen und Mahlzeiten mit Kindern« oder »Wie können Eltern und Kinder Konflikte lösen?«. Es könne das Verhalten von Eltern stärken, wenn sie erleben, wie andere Väter und Mütter mit ungeschickten oder lustlosen Kindern umgehen, wie man Zusammenarbeit genießen könne, wie man Mahlzeiten ohne Fernsehen oder andere Ablenkung durchhalte, erläutert Riemenschneider. Einzelgespräche der Fachkräfte mit den Eltern, in denen auch nach Lösungen für wirtschaftliche oder Partnerschaftsprobleme gesucht wird, ergänzten das Konzept.

Auf einen Austausch und das Lernen der Eltern und Kinder voneinander setze das Team auch mit den Lehrkräften in den Familienklassen.

Riemenschneider: »Viele aus unserem Team haben selbst Kinder. Auch ich bin Vater von zwei Heranwachsenden. Wir erleben die Einflüsse von Werbung, Freizeitelektronik und Sozialen Medien sowie normale Entwicklungskrisen bei den eigenen Kindern. Das hilft, Abläufe in den von uns begleiteten Familien besser einordnen zu können.«

Allerdings gebe es Fälle von gravierender Kindeswohlgefährdung, bei denen die Kinder aus ihren Familien herausgenommen werden müssten, zumindest auf Zeit. Daher sei die Inobhutnahme-Gruppe für Säuglinge und Kinder unter sechs Jahren geschaffen worden. Diese Gruppe brauche eine besonders einfühlsame und kontinuierliche Betreuung, betont Riemenschneider. Und es dauere, bis ein Familiengericht über eine Rückführung in die Herkunftsfamilie oder eine dauerhafte Unterbringung in Pflegefamilien entscheide.

Kampf mit Personalmangel

Riemenschneider: »Auch schwer traumatisierte Mädchen im Jugendalter brauchen eine intensive Betreuung, oft auch externe therapeutische Hilfe. Und Verständnis dafür, dass sie sich nach dem, was sie erlebt haben, an nahen Bezugspersonen abarbeiten. Dennoch ist es unser Ziel, sie zur Selbstständigkeit zu führen«.

Ein Team von etwa 50 Fachkräften verschiedener Berufe, ein abgestimmtes Hilfenetz - ist die Jugendhilfe Nidda eine pädagogische »heile Welt«? »Nein«, entgegnet Riemenschneider. »Auch wir kämpfen mit dem Personalmangel. Das gilt insbesondere für die stationären Hilfen, wo unsere Fachkräfte an 365 Tagen rund um die Uhr im Einsatz sind. Wir achten bei allen Arbeitsformen auf einen kollegialen Austausch und Supervision sowie auf einen Freizeitausgleich für Wochenenddienste. Die pädagogische Arbeit im stationären Bereich ist eine Aufgabe, für die die Fachkräfte eine hohe Motivation haben müssen.«

Kolja Riemenschneider, geboren 1969, ist in der Wetterau aufgewachsen. Nach dem Abitur studierte er Sozialarbeit und schloss mit dem Diplom ab. Gleichzeitig betrieb er mit zwei Kollegen die Friedberger Gaststätte »Kaktus« unter dem Motto »Kulinarik und Kultur«. Er arbeitete zehn Jahre lang in der Jugendgerichtshilfe, dann im Allgemeinen Sozialen Dienst des Wetteraukreises. Dort übernahm er 2012 die Fachstellenleitung. Anschließend wechselte er zur Jugendhilfe Nidda, die er seit Februar 2022 leitet. Seit 2016 ist er Lehrbeauftragter an der Fachhochschule für Sozialarbeit in Frankfurt mit den Schwerpunkten Hilfen zur Erziehung und Kinderschutz. VON ELFRIEDE MARESCH

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