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»Extrem nach der Decke strecken«

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Der schwebende Elefant schaut dem Ersten Kreisbeigeordneten Dr. Jens Mischak beim Arbeiten über die Schulter. © Joachim Legatis

Am 8. Oktober findet die Wahl des Landrats für den Vogelsberg statt. Fünf Kandidaten treten an. Im Interview mit dieser Zeitung spricht der Erste Kreisbeigeordnete Dr. Jens Mischak über seine Motivation, Klimaschutz und den teuren Krankenhausneubau.

Sie waren Richter, nun wollen Sie Landrat werden, weshalb?

Ich bin seit 2016 Erster Kreisbeigeordneter und in dieser Zeit habe ich Geschmack daran gefunden, Großes im Kleinen zu leisten. 80 Prozent der Aufgaben, die der Kreis erfüllt sind, vorgegeben, aber die übrigen 20 Prozent machen den Reiz aus. Nehmen wir die medizinische Versorgung mit einem Medizinischen Versorgungszentrum, das wir als Kreis gemeinsam mit den Gemeinden Grebenhain und Freiensteinau gegründet haben, oder die Frage, wie man eine verlässliche Wirtschaftsförderung organisiert. Und dann gibt es das Ehrenamt oder den Kulturbereich. Die Arbeit ist unglaublich vielfältig, sie macht nach wie vor unheimlich viel Spaß. Und ich weiß, was auf mich zukommt.

Hilft die Erfahrung als Richter im Job als Landrat?

Auf jeden Fall sind die juristische Ausbildung und die Arbeit als Richter hilfreich. Der Kern der Juristerei ist es, sich immer neu in einen Sachverhalt einzuarbeiten. Das Gesetz setzt nur einen Rahmen und man muss schauen, was könnte der Gesetzgeber zu dem konkreten Sachverhalt gemeint haben. Als Richter muss man sich auch in die Position der Kontrahenten hineinversetzen, um eine gute Lösung zu finden. Das ist in der Politik ähnlich. Der eine will eine Umgehungsstraße, der andere ist strikt dagegen. Man muss zuhören, oft wabert da auch etwas Unausgesprochenes im Hintergrund.

Was wabert da?

Schauen Sie sich einen klassischen Nachbarschaftsstreit um eine zehn Zentimeter zu hoch geratene Hecke an. In der Gerichtsverhandlung zeigt sich dann, es geht um etwas anderes. Da wurde einmal nicht gegrüßt oder der eine hat die Frau des anderen komisch angemacht. Dann muss der Richter zuhören und eine Entscheidung treffen. Das ist in der Politik ähnlich. Wenn das Geld nur für die Sanierung einer Kreisstraße reicht, muss man sehen, welches Vorhaben man auf das nächste Jahr schiebt. Der Richter hört zu und entscheidet, in der Politik kommt der dritte Schritt, das Machen, hinzu.

Kreispolitik ist aber nicht immer angenehm, oder?

Ja, die Corona-Zeit war sehr belastend, aber nicht nur für die Politik. Da mussten wir Schulen schließen und das öffentliche Leben herunterfahren. So richtig schön ist das nicht. Aus heutiger Sicht würde wohl vieles anders gemacht. Kultur war kaum noch möglich, die Gastronomie knappst noch heute an den Folgen herum und es gab nahezu täglich Sitzungen zur Corona-Strategie. Hinzu kamen Montags-Demos und der Ukrainekrieg - das braucht man nicht wirklich.

Was macht das mit einem Politiker?

Politik - so wie ich sie verstehe - geht auf die Leute zu und erklärt Dinge - das ging in Corona-Zeiten lange nicht. Dazu kommt die Erwartungshaltung der Bürgerinnen und Bürger. Ich habe den Eindruck, da ist in den letzten Jahren die Frustrationstoleranz gesunken. Oft können wir als Kreispolitiker wenig tun, wenn es klare Vorgaben aus Berlin und Wiesbaden gibt. Vieles geht an der Lebenswirklichkeit der Menschen vor Ort vorbei.

Bleibt genug Zeit für Familie und Privatleben?

Den Stress nimmt man mit nach Hause. Auch in der Freizeit und im Urlaub habe ich mein Handy und iPad immer dabei. Mails werden gecheckt. Unter der Woche ist die Arbeit nicht um 17 Uhr abgeschlossen. Mein Amt bringt es mit sich, dass ich auch abends und am Wochenende Termine habe. Das macht aber auch den Reiz aus. Ich versuche, mir die nötige Zeit zu nehmen. Mein Sohn aus meiner ersten Ehe ist jede zweite Woche bei uns, da will ich Zeit für ihn haben. Seit vergangenem Jahr bin ich wieder verheiratet, meine Frau hat ebenfalls einen Sohn mit in die Ehe gebracht. Diese Familienzeiten sind mir wichtig. Ich brauche meine Auszeiten in der Sauna, beim Hundausführen und mal beim Joggen. Der Ausgleich ist wichtig.

Ist es ein Vorteil, in einer Partei zu sein?

Ich bin Kreisvorsitzender der CDU und denke, dass ich 80 bis 90 Prozent der Entscheidungen in Bund und Land auch mittrage Wenn Leute mich fragen, was ich von einem bestimmten Thema halte, sage ich auch einmal, das mache ich nicht mit oder sehe ich anders. Ich lege Wert darauf, in bestimmten Positionen eine eigene Haltung zu bewahren.

Wie stehen Sie zum Umgang mit der AfD?

Wir hatten bislang im Kreistag keine absolute Konfrontation wie ich sie aus anderen Regionen wahrgenommen habe. Es gibt in der Politik Grenzen, ob man Menschen herabwürdigt, ob man sich ehrverletzend oder verwerflich äußert. Allerdings muss ich als Politiker auch schauen, weshalb sich viele im Land nicht mitgenommen fühlen. Aber die AfD hat klare rechtspopulistische Züge im Programm und in Äußerungen ihrer Vertreter. Eine Zusammenarbeit ist daher völlig undenkbar.

Ist beim Ausbau der Windkraft im Kreis eine Grenze erreicht?

Wir haben in den vergangenen Jahren die richtigen Entscheidungen getroffen. Die Kernkraft ist Geschichte, in meinen Augen ein Fehler, aber so ist das jetzt entschieden und wir müssen damit umgehen. Fast 14 Prozent der erneuerbaren Energien in Hessen werden im Vogelsberg erzeugt, bei der Windkraft sind es knapp 25 Prozent, wir sind da eine Vorzeigeregion. Die Energiewende wird ohne Windkraft und Photovoltaik nicht funktionieren. Dabei braucht es aber auch die Akzeptanz aus der Bevölkerung. Nun geht es darum, dass von der Wertschöpfung etwas bei den Bürgern ankommt. Das kann über die Energiegenossenschaft geschehen. Es ist eine spannende Frage, wie sich der Bereich weiterentwickelt. So muss zum einen Energie gespeichert werden können und Wasserstofftechnologie auf der anderen Seite ist sehr teuer. Aber: Für die Grundlast braucht es verlässliche Energielieferungen auch dann, wenn keine Sonne scheint und kein Wind weht. Da gibt es noch keine befriedigende Antwort aus meiner Sicht. Bei der Photovoltaik sollte man vor allem zunächst Dächer und befestigte Flächen nutzen, um Konflikte um die Nutzung der Freiflächen zu vermeiden.

Wie sieht es beim öffentlichen Nahverkehr ais?

Der Nahverkehr kostet den Vogelsberg aktuell 6 Millionen Euro jährlich und es wird mehr werden, um nur das aktuelle Angebot aufrechtzuerhalten. Wir halten für einen relativ kleinen Teil der Bevölkerung ein gar nicht so schlechtes Angebot an Bussen und Bahnen bereit. Obwohl die Kilometer und die Linien immer weiter ausgebaut wurden, blieben die Fahrgastzahlen relativ konstant. Wir müssen vor allem eine Elektrifizierung der Vogelsbergbahn und eine bessere Anbindung an den Ballungsraum erreichen. Klar ist aber auch: Im ländlichen Raum werden wir weiter auch auf das Auto angewiesen sein.

A propos Ballungsraum, wird zu viel Wasser nach Frankfurt gepumpt?

Wir sind als Vogelsberg gerne bereit, zur Versorgung mit Wasser beizutragen. Wir erwarten aber, dass andere mit den Ressourcen sparsam umgehen. Das sehe ich nicht unbedingt. Da geht es um die Nutzung von Regenwasser und von dortigen Brunnen. Der Vogelsberg muss selbstbewusster gegenüber den Regionen auftreten, die das Wasser nutzen.

Ruhiger ist es in der Diskussion um Flüchtlingen geworden?

Das ist nicht einfach, ich erwarte eine erneute Zuspitzung der Situation. Dabei ist klar, dass die Menschen zu uns kommen und wir sie unterbringen müssen. Dazu sind wir als Landkreis gesetzlich verpflichtet. Eine tragbare Lösung kann also nur auf Bundesebene gefunden werden, unsere Möglichkeiten sind bei allem guten Willen begrenzt. So kann es nicht weitergehen.

Reicht das Geld bei der Finanzierung des neuen Kreiskrankenhauses?

Viel kleiner als nun geplant können wir nicht bauen. Wir brauchen eine gewisse Bettenzahl, um die Fixkosten zu decken. Zurzeit gibt es Zusagen des Landes für rund 25 Prozent der Kosten von etwa 85 Millionen Euro. Ich bin dem Finanzministerium sehr dankbar, dass uns kürzlich zusätzlich acht Millionen Euro zur Verfügung gestellt wurden. Trotzdem müssen wir uns extrem nach der Decke strecken. Ich habe eine hohe Erwartung, dass das Land mehr zur Verfügung stellt, die 25 Prozent sind mir zu wenig. Da muss noch etwas aus dem Krankenhaus-Programm des Landes kommen. Die Förderkriterien dazu wird es wohl erst 2024 geben. Ein wichtiges Thema bleibt, ob ich genug Ärzte und Pflegekräfte bekomme.

Wo sind Chancen für wirtschaftliche Entwicklung?

Das Hauptaugenmerk liegt auf Bestandspflege und Fachkräftesicherung. Wir müssen schauen, wie wir Fachkräfte finden und die Berufsschulen erhalten. Als ländlicher Landkreis in der Mitte Europas ist die Ausgangslage per se nicht schlecht.

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