Fachwerk-Gefährten
Kaum ein Wohnzimmer ist im Ort so bekannt wie jenes im Obergeschoss der Kirchgasse 1 in Gelnhaar. Alexander und Marina Mebs erfuhren, dass in ihrem neuen alten Haus gleich neben der Kirche das halbe Dorf Konfirmationsunterricht erhalten hatte. Seit Ende September 2021 wohnen sie in dem Kulturdenkmal. Viel Arbeit, raunen die einen, viele Möglichkeiten, ergänzen die Mebs.
Das Fachwerkhaus mit Scheune und Garten inmitten des Dorfs in der Kirchgasse 1 in Gelnhaar wurde vermutlich um 1790 gebaut, die Scheune ist etwa 100 Jahre älter. Gleich nebendran steht die Michaeliskirche. Beide Gebäude stehen unter Denkmalschutz. Ein Zusammenhang ist anzunehmen, festzumachen ist er nicht, zumal das Gotteshaus später gebaut wurde.
Lange Jahre war das Gehöft im Besitz von Familie Triesch. In Balken, im Treppenschrank und auf altem Werkzeug hat sich Vor-Vor-Besitzer Wilhelm Triesch mit seinen Initialen verewigt. Lina Triesch, die ab 1970 dort lebte, war Küsterin und eine Instanz im Dorf. Halb Gelnhaar saß während des Konfirmationsunterrichts im oberen Stockwerk. Kein Wunder, dass das Interesse der Bürger beim Hoffest vor Kurzem groß war. Die Verwandlung während der vergangenen zwei Jahre ist offensichtlich. Hier wurde ein für das Dorf prägendes Gehöft wieder hergerichtet.
Das Haus wurde zum Gefährten
Seit September 2021, nach arbeitsreichen fünf Monaten Innensanierung, leben Marina und Alexander Mebs dort. Nicht nur im Haus, sondern auch im Hof ist mit viel Bezug zur Historie, Stil und Geschick erneuert beziehungsweise umgestaltet worden.
Dass es Alexander Mebs zu einem denkmalgeschützten Haus zieht, kommt nicht von ungefähr. Der selbstständige Zimmerermeister lebte und wirkte über 20 Jahre auf dem Herrnhaag in Büdingen. Wenn er das Haus beschreibt, hört es sich an, als ob er von einem Gefährten spricht. Für ihn war nach dem ersten Besichtigungstermin in Gelnhaar klar, dass das passt. Und auch seine jetzige Frau Marina erkannte in der von dem Vorbesitzer komplett zugestellten Außenanlage das Potenzial.
Beide sprechen nicht von der vielen Arbeit, sondern von den Möglichkeiten und der Freude, die ihnen das Gehöft bereitet. Die Adresse, Kirchgasse 1, habe Charakter, betont Mebs. Seine Frau ergänzt: »Es muss emotional Klick machen. Dann müssen auch die technischen Sachen stimmen, damit die Bauchentscheidung nicht ins Desaster führt.«
Für beide war klar, dass sie sich ein denkmalgeschütztes Haus zumuten würden. Schließlich sind sie zu zweit. Der Vorbesitzer war allein und hatte aufgegeben. Weitere wichtige Partner für solch ein Vorhaben seien die Helfer und Handwerker sowie die Denkmalpflege.
Der Hof ist im Portal Denkxweb als ein Bau mit Hinweisen aus dem Früh- und Spätbarock beschrieben, also einer Architektur, die sich eher durch Prunk und Pracht ausgezeichnet hatte und für einen feudalen Lebensstil steht. Den »Wilden Mann« im Fachwerk der Scheune, der dort angeblich sein soll, sucht man allerdings vergebens. Das Haus offenbart etliche Kapitel der vorhergehenden Generationen und Stilarten. Zum Beispiel im Obergeschoss, wo eine barocke Balustrade die Diele zur ziemlich steilen Treppe sichert. Oder der typische und schon etwas schiefe Treppenschrank. Begeistert war das Paar auch von den Zimmerdecken, in denen kein einziges Nagelloch zu finden ist. Sie sind original. Einfache, aber schöne Schnitzereien an der Schlagseite von zwei der vier historischen Kreuzstockfenstern an der Nordseite sind ihnen vor lauter Farbe und Lack erst einmal gar nicht aufgefallen. Sie wurden von einem Fachmann restauriert. Die Kosten dafür übersteigen die Neuanschaffung von zehn neuen dänischen Sprossenfenstern bei Weitem. Die Küche ist mit Fliesen bestückt, die ursprünglich auf dem liegenden Dachstuhl, wo das Getreide gelagert wurde, lagen. Liegend heißt, dass dort Streben statt Balken sind und damit mehr Platz ist.
Pflanzenfasern und Schafswolle
Typisch für derartige Häuser sind zum Beispiel die fehlende Symmetrie, eine Teilunterkellerung und die Isolierung mit langfaserigen Naturfasern, die sie noch zwischen den Gefachen fanden. Von innen wurde früher mit pflanzlichen Fasern, wie Hanf oder Holz, gedämmt, an den Außenwänden mit tierischen, wie zum Beispiel Schafswolle. Ein Fachwerk arbeitet, das Gewicht lässt den Lehm mit der Zeit zusammensacken, weiß Alexander Mebs. So ist es alle paar Jahre notwendig, die Verbindungen zum Holz wieder aufzufüllen. Marina Mebs, die sich darum kümmerte, kennt inzwischen jede Wandritze persönlich.
»Man muss die Handschrift des Hauses lesen«, erklärt Alexander Mebs. Einige Elemente passen nicht zum Fachwerk, wie zum Beispiel Fliesen, eine Klimaanlage oder der Anbau eines Balkons. Holz, Lehmputz, Kalkfarben, schlichte Holzleisten oder auch Kassettentüren harmonieren mit dem ehrwürdigen Charakter und Material.
Zwei Jahre Arbeit liegen hinter den Mebs. Die Nachbarschaft nimmt rege Anteil an den Fortschritten. In der Kirchgasse 1 trifft man sich heute wieder - nicht zum Beten, aber zum Plauschen.