Flächenhunger versus Flächenmangel: Warum uns die Böden das Leben auf unserer Erde ermöglichen

»Flächenhunger versus Flächenmangel« lautet der Titel eines Vortrags mit Diskussion am 9. März in Langen-Bergheim. Ein Interview mit der Referentin, Agrarwissenschaftlerin Dr. Maren Heincke.
Etwa 55 Hektar Flächen werden in Deutschland täglich neu ausgewiesen. Das entspricht einer Fläche von zirka 78 Fußballfeldern. Doch Böden sind endlich und damit unendlich wertvoll. »Flächenhunger versus Flächenmangel« lautet daher der Titel eines Vortrags mit anschließender Diskussion am Donnerstag in Langen-Bergheim, der im Zuge der bundesweiten ökumenischen Aktion »Klimafasten« stattfindet. Was die Böden für uns tun und was wir für sie tun können, darüber hat diese Zeitung mit Dr. Maren Heincke gesprochen.
Welche Bedeutung steckt hinter dem Titel »Klimafasten: Flächenhunger versus Flächenmangel«?
Es geht darum, in der Fastenzeit sowohl über den eigenen als auch über den gesamtgesellschaftlichen Lebensstil nachzudenken. Und gerade beim Flächenverbrauch kollidieren unterschiedliche Interessen. Zum einen haben wir übermäßige Ansprüche - deshalb der Begriff Flächenhunger oder auch Flächenfraß und zum anderen sind Böden eine begrenzte Ressource - daher der Ausdruck Flächenmangel.
Warum haben Sie sich entschieden, Ihre Arbeit in den Dienst der Gesellschaft zu stellen?
Es gibt das Bild der Mutter Erde, die uns nährt. 95 Prozent unserer Lebensmittel stammen aus den Böden. Das bedeutet, dass wenige Zentimeter der Erdkruste die ganze Ernährung weltweit sichern. Theologisch - und auch biologisch betrachtet - sind wir aus Erde und werden wieder zu Erde. Viele Religionen sprechen ja auch von Heiligkeit der Erde oder Muttererde. Dabei geht es mir nicht um ein verklärtes Bild, sondern darum, sich klarzumachen, dass wir fundamental von Böden abhängig sind, weil diese uns das Leben auf der Erde ermöglichen.
Weshalb spielt der Schutz des Bodens so eine große Rolle?
Bodenschutz ist ein absolutes Querschnittsthema aller Umweltthemen, da sie den Landschaftswasserhaushalt sowie das Klima regulieren. Als Laie stellt man sich den Boden oft statisch vor. In Wirklichkeit bieten Böden jedoch einen lebendigen Organismus. Darüber hinaus handelt es sich um ein sozioökonomisches Thema, bei dem verschiedenste Ansprüche - auf Wohnraum, Infrastruktur, Gewerbe oder Industrie - parallel bestehen.
Inwiefern tragen Böden zum Klimaschutz bei?
Böden haben eine klimatische Doppelfunktion. Zum einen können sie Kohlenstoff freigeben und zum anderen können sie ihn aufnehmen. Neben den Ozeanen sind Böden der zweitgrößte Speicher von Kohlenstoff. Erst danach kommen Biomasse und die Atmosphäre. Zwei Beispiele für Böden mit hohem Kohlenstoffgehalt sind Permafrostböden - die bis auf die oberen Meter ständig unter Frost sind - und Savannenböden. Wenn erstere aufgrund von steigenden Temperaturen tauen und letztere aufgrund von Ackerbau umgebrochen werden, dann wird der darin enthaltene Kohlenstoff freigesetzt und in die Atmosphäre freigegeben. Das heißt, Böden sind für Immissionen sehr wichtig.
Warum sind Böden für das ökologische Gleichgewicht so wichtig?
Man muss sich den Boden wie ein lebendiges Wesen vorstellen, in dem ununterbrochen Aufbauprozesse, Umbauprozesse und Verlagerungsprozesse stattfinden. Da gibt es zum einen die großen Tiere wie Insekten und zum anderen aber auch Bakterien, Pilze und Flechten. Das sind riesige Netzwerke, in denen verschiedene Interaktionen zwischen Pflanzen, Tieren, Mikroorganismen und Bodenorganismen stattfinden. Auch sauberes Trinkwasser resultiert daraus, dass Regenwasser in den Boden eindringt und durch Bodenmikroorganismen aufbereitet wird, wodurch es sauber unten im Grundwasser ankommt.
Bedarf es auch technischer Maßnahmen oder reguliert sich der Boden selbst?
Zweiteres, solange ich ihn schütze und nicht schädige. Der Boden ist - wie wir Menschen auch - anfällig für Verletzungen. Auch wir sind bedürftig in vielerlei Hinsicht - wir müssen schlafen, essen, uns bewegen und soziale Kontakte pflegen und so ist auch der Boden sehr sensibel. Wir wissen heute wirklich viel darüber, wie wir den Boden - beispielsweise die Bodenfruchtbarkeit - stärken können. Wir wissen aber auch, wie wir ihn schädigen können.
Sie haben auf unterschiedlichen Kontinenten geforscht. Welche Erfahrungen haben Sie dabei gemacht?
In Kenia handelt es sich um eine elementare Frage, die Bodenfruchtbarkeit zu erhöhen. Dort hängt die Hälfte der Ernährung vom Regen ab und aus diesem Grund ist die Abhängigkeit von Boden und Wasser sowie Klima elementar spürbar. Ich war zu einer Zeit dort, als sich die Regenzeit im Frühjahr verspätete und da merkt man die Anspannung der Menschen.
Costa Rica hatte das Glück, dass sie früh angegangen haben, ungefähr 25 Prozent der Landesfläche unter Naturschutz zu stellen und damit Naturschätze zu erhalten. Die Menschen dort sind stolz auf ihre Regenwälder und somit auf ihren Herd an Biodiversität.
In Indonesien existiert dieser krasse Unterschied hinsichtlich des Besitzes. Da gibt es die einen, die lediglich ein Reisfeld besitzen und die anderen, die drei Rolls Royce fahren. Der Umgang mit Ressourcen findet sehr unterschiedlich statt.
Was kann der Einzelne tun, um mit Flächen sparsamer umzugehen?
Uns geht es nicht darum, Vorschriften zu machen, sondern wir wollen ein Bewusstsein dafür schaffen, dass Flächen auch als Konsum wahrgenommen werden. Jeder Mensch kann sich fragen, wieviel Flächenbedarf er hat beziehungsweise braucht. Zudem können viele Dinge gemeinschaftlich genutzt werden. Ein mehrgeschossiges Haus ist sinnvoller als ein Einfamilienhaus, da der Boden ohnehin schon versiegelt ist und man lediglich in die Höhe baut. Statt einer asphaltierten Garage kann ich Rasengittersteine verwenden, um einen Austausch zwischen Luft und Wasser zu ermöglichen. Auch von Baulücken und Brachflächen können wir Gebrauch machen, statt neue grüne Flächen zu verbauen.
Wie bewerten Sie das Handeln der politischen Entscheidungsträger in Bezug auf diese Thematik?
Ich denke, dass über Jahrzehnte hinweg zu wenig Problembewusstsein in Bezug auf Flächenverbrauch vorhanden ist. Es wird zu kurzfristig und zu lokalpolitisch gedacht. Oft wird mehr an Fläche ausgewiesen als zunächst im innenpolitischen Konsens hergestellt wurde. Im Einzelfall mag die Abweichung einen guten Grund haben, aber das Problem ist die Aufsummierung. Dadurch kommt eine Begrenzung des Flächenverbrauchs nicht zustande. Zudem wurde das Ziel, den täglichen Flächenverbrauch bis 2020 auf 30 Hektar - statt ungefähr 55 Hektar - zu reduzieren, wegen Nichterreichung auf 2030 verschoben. Daher denke ich, dass vielen Politikern die Dimension der Problematik nicht bewusst ist.
Was denken Sie als Agrarwissenschaftlerin über Gewerbegebiete wie zum Beispiel das interkommunale Gewerbegebiet Limes an der A 45?
Der Grundidee, Ressourcen an einem guten Standort zu bündeln, stehe ich positiv gegenüber. Das entbindet die politischen Entscheidungsträger aber nicht davon, Alternativen zu prüfen. Statt eines neuen Gewerbegebietes könnte man unterausgelastete, aber schon erschlossene Gebiete nutzen. Natürlich ist dieses Vorgehen oft teurer, weil damit etwa Abrisskosten oder Abstriche bei der Planung einhergehen. Aber wir müssen weg von der einfachen Lösung, die freie grüne Wiese zu nehmen, hin zu einer regionalen beziehungsweise überregionalen Entscheidung, die der Zersiedelung entgegenwirkt.
Gefährden solche Projekte die Auenlandschaft der Wetterau?
Die Wetterau bietet neben ihren Lössböden und Auenlandschaften unzählige Naturschätze. Die Bundesregierung hat mit ihrem Aktionsprogramm »Natürlicher Klimaschutz« drei Hauptziele vor Augen: die Moorwiedervernässung, die Aufforstung und die Auenrenaturierung. Klar ist, dass es eine Priorität geben muss bei schutzwürdigen Landökosystemen, zu dem zum Teil auch die Auenlandschaften und Flussgebiete gehören. Hier sollte immer eine Abwägung stattfinden, um die Schönheit und Einzigartigkeit - so auch im Naturschutzgesetz - in der Landschaft zu erhalten.
Wie stehen Sie als ökologisch bewusster Mensch zu den Protestformen der Letzten Generation?
Ich verstehe, dass eine junge Generation auch andere Ausdrucksformen hat. Dennoch würde ich die Proteste immer an die politischen Entscheidungsträger adressieren statt an unbeteiligte Menschen, die dadurch teilweise genötigt werden. Der Zweck heiligt auch nicht die Mittel. Ansonsten würde sich für alle Protestformen das Tor öffnen und ein guter Zweck heiligt nicht Gesetzesverstöße. Auch ist mir völlig klar, dass die heutige junge Generation einiges ausbaden wird müssen, was Generationen zuvor wider besseren Wissens verursacht haben. Trotzdem möchte ich den jungen Menschen Mut machen. Es hat immer Krisensituationen in der Menschheitsgeschichte gegeben. Die junge Generation wird in einer veränderten Welt leben müssen, aber sie wird auch die Chance haben, diese Welt zu gestalten.