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Ein Anwalt gegen Hitler

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Patricia Litten leiht ihrer Großmutter Irmgard ihre Stimme. © pv

Hans Litten, bekannt als linker Anwalt in der TV-Serie »Babylon Berlin«, machte sich Adolf Hitler zum Feind. Seine Nichte Patricia Litten erinnert am 18. November in Florstadt an ihren Onkel.

Im Rückblick scheint es so, als sei der Aufstieg der Nationalsozialisten unvermeidbar gewesen. Doch es gab Punkte, an denen die Geschichte anders hätte verlaufen können. Einer dieser Momente war der Berliner Edenpalast-Prozess im Jahr 1931, der das Zeug dazu hatte, der NSDAP wichtige Stimmen zu kosten. Der 28-jährige Anwalt Hans Litten (1903-1938) berief »den Schriftsteller Adolf Hitler« in den Zeugenstand und versuchte nicht weniger als die Demontage des braunen Terrors. Zwei Jahre später gehörte Litten zu den ersten Oppositionellen die verhaftet wurden und nahm sich 1938 im Konzentrationslager Dachau das Leben. Seine Mutter Irmgard Litten (1879-1953) setzte sich vergeblich für seine Freilassung ein. 1940 erschien ihr Buch »Eine Mutter kämpft gegen Hitler«. Ihre Enkelin - und Hans Littens Nichte - Patricia Litten ist mit dem Buch auf Lesereise, um die Mission ihrer Großmutter fortzusetzen.

Frau Litten, in der TV-Serie »Babylon Berlin« spielt Hans Litten eine sympathische Nebenrolle als linker Anwalt. Sind sie mit der Darstellung Ihres Onkels zufrieden?

Trystan Pütter ist fantastisch in der Rolle! Es hätte mich auch gewundert, wenn Hans nicht vorgekommen wäre. Eine Geschichte über das Berlin der Weimarer Republik wäre ohne ihn unvollständig, so prominent wie er damals war als Verteidiger so vieler Arbeiter, Sozialisten und Kommunisten. Überhaupt finde ich die Balance zwischen Fiktion und Historie in der Serie gelungen: Chapeau! Und wenn das meinen Onkel einem größeren Publikum bekanntmacht, wäre das grandios.

Litten zitierte Adolf Hitler vor Gericht. Warum wurde ihm das zum Verhängnis?

Sein Vater hatte Hans gezwungen, Jura zu studieren. Vermutlich wurde Hans zum »Anwalt der kleinen Leute«, um es diesem deutsch-national gesinnten Vater heimzuzahlen. Doch als Anwalt muss er brillant gewesen sein. Das bekam auch Hitler zu spüren. Nach dem brutalen Überfall der SA auf das Tanzlokal im Berliner Edenpalast hat Hans ihn als Zeugen vor Gericht geladen und mehrere Stunden befragt. Er wollte Hitler nachweisen, dass die gezielten Übergriffe seiner Schlägertruppe zur Strategie der NSDAP gehörten. Hitler hatte aber zuvor unter Eid ausgesagt, dass seine Partei nur auf verfassungsgemäßem Wege an die Macht kommen wolle. Unter den Augen der Öffentlichkeit, der Presse und seiner Anhänger verwickelte sich Hitler in Widersprüche und machte insgesamt keine gute Figur. Diese Schmach hat er meinem Onkel nie verziehen. Der Name »Hans Litten« durfte in seiner Gegenwart nie genannt werden.

»Eine Mutter kämpft gegen Hitler« heißt das Buch Ihrer Großmutter Irmgard, aus dem Sie in Florstadt lesen. Inwiefern hat sie sich auch mit Hitler angelegt?

Irmgard Litten war eine unpolitische Frau. Doch nachdem Hans verhaftet worden war, ist sie über sich hinausgewachsen. Fünf Jahre hat sie vergeblich versucht, ihren Sohn aus der Haft frei zu bekommen und ist dabei ein enormes Risiko eingegangen. Nach seinem Tod ging sie nach England, wo das Buch 1940 erschien. Das Ministry of Information schickte meine Großmutter dann mit Vorträgen durch das gesamte Vereinte Königreich, außerdem hat sie wöchentlich in der BBC dazu aufgerufen, dem Wahnsinn in Deutschland ein Ende zu setzen. Ich bin unendlich glücklich, dass der Verlag Ars Vivendi das Buch wieder aufgelegt hat, nachdem es lange vergriffen war.

Wie wurde mit der Erinnerung an Ihren Onkel und ihre Großmutter in Ihrer Familie umgegangen?

Ich war vielleicht vier Jahre alt, saß auf dem Schoß meines Vaters und fragte ihn nach den Fotos auf seinem Schreibtisch. Er sagte: »Das sind mein Bruder und meine Mama, die sind schon lange tot« und geriet in eine solche Erschütterung, ja Verzweiflung, dass ich ihn nie wieder dahin bringen wollte. So habe ich leider keine Fragen mehr gestellt. Zwei Tage nach dem Tod meines Vaters, da war ich 17, habe ich das Buch meiner Großmutter zum ersten Mal gelesen. Doch diese schmerzhafte Büchse der Pandora habe ich schnell wieder geschlossen. Erst durch äußere Einflüsse habe ich mich mit meiner Familiengeschichte beschäftigt und verstanden, was für eine mutige und unkorrumpierbare Großmutter ich hatte.

Wodurch kam das?

2011 kam die BBC auf mich zu, als eine Dokumentation über Hans gedreht wurde. Ich dachte: Die Historiker wissen viel mehr über meinen Onkel als ich. Das war mir sehr peinlich. Also, Kinder: Fragt Eure Eltern!

2016 haben Sie Ihre Großmutter Irmgard in dem Stück »Der Prozess des Hans Litten« im Nürnberger Staatstheater gespielt. Wie kam es dazu und was war das für eine Erfahrung?

Für die deutsche Erstaufführung des englischen Stücks schlug der Nürnberger Intendant mich als ideale Besetzung vor. Für mich eine Mischung aus wahnsinnige Freude und dem Gefühl einer Anmaßung. Sollte ich mich als Schauspielerin so eitel dahin stellen und diese großartige Frau spielen, die auch noch meine Oma war? Doch irgendwann hatte ich das Gefühl, dass sie mir Absolution erteilte. Am Abend der Premiere war es, als stünde meine Oma neben mir und würde mich an die Hand nehmen. Ihre Geschichte zu erzählen ist das wenigste, was ich tun kann. Und zwar als Vehikel: Wir müssen in die Puschen kommen, denn wir sind derzeit wieder in Gefahr, unsere fragile Demokratie zu verlieren.

Sie ziehen Parallelen zwischen der Zeit um 1930 und unserer Gegenwart?

Ja, erschreckende Parallelen. Wir haben heute in Deutschland eine ähnliche Gemengelage wie damals: Perspektivenlosigkeit, Zukunftsangst, Verunsicherung. Damit möchte ich keinesfalls den Holocaust relativieren. Doch all das ist ein guter Humus für Verschwörungstheorien und Extremismus. Seit den schrecklichen Entwicklungen im Nahen Osten müssen Juden hierzulande wieder in Angst leben. In Hessen ist die AfD zweitstärkste Partei! Als sie erstmals in den Bundestag einzog und Alexander Gauland sagte: »Wir werden die Bundesregierung jagen und uns unser Land und unser Volk zurückholen«, musste ich daran denken, wie die Nazis damals als erstes die Opposition ausgeschaltet haben. Mein Onkel Hans wurde am 28. Februar 1933 verhaftet, noch in der Nacht des Reichstagsbrandes. Wir sind da in eine gefährliche Schieflage geraten und wie gelähmt im Angesicht der Katastrophe.

Welches Anliegen verbinden Sie mit Ihrer Lesung?

Man spricht zu selten von der Zeit vor der Machtergreifung der Nationalsozialisten. Doch damals gab es viele, die versucht haben, auf den Wahnsinn der Nazis aufmerksam zu machen und ihn zu verhindern. So wie meinen Onkel Hans, dieser aufrechte und mutige Verfechter von Gerechtigkeit und Rechtsstaatlichkeit. Mir ist es wichtig, den Blick zu schärfen für die Scharnierstellen der Geschichte, an denen man anders hätte reagieren müssen.

Das klingt nach politischer Bildung?

Inzwischen sehe ich das so, ja. Manchmal zweifle ich selbst, was ich mit meinen Lesungen erreichen kann. Vielleicht kann ich Menschen erreichen, berühren und im besten Falle in Bewegung bringen. Ich bin mir sicher, wenn Hans heute leben würde, er würde sich gegen Menschenrechtsverletzungen einsetzen. Wenn ich beispielsweise in Schulen lese, dann versuche ich den Kindern klar zu machen, dass wir eine Verantwortung für unseren Planeten haben und jeder einzelne seinen Beitrag leisten muss. So bin ich zum Sprachrohr geworden für Hans und Irmgard. Die Welt wäre eine andere, wenn wir uns an Menschen wie ihnen orientieren würden und nicht an irgendwelchen, pardon, Arschlöchern. Es geht darum, Hass zu transformieren in gute Energie. Verdammte Hacke, das ist anstrengend!

INFO

Unter dem Titel »Hans Litten - Anwalt gegen Hitler« liest Patricia Litten am Samstag, 18. November, ab 20 Uhr im Saal Lux aus dem Buch »Eine Mutter kämpft gegen Hitler« ihrer Großmutter Irmgard Litten. Musikalisch begleitet wird sie von Cellistin Birgit Saemann. Schüler haben bei Vorlage des Schülerausweises freien Eintritt. Unter dem Titel »Trotz der Tränen« hat Litten das Buch auch als Hörbuch eingelesen.

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